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Neues ProjektDie „sprechenden Grabsteine“ am Euskirchener Friedhof

Lesezeit 4 Minuten
Werner Jacobs hat auf dem Handy die Homepage des Projekts „Lebendiger Friedhof“ aufgerufen, die anderen Projekt-Mitwirkenden schauen mit ihm darauf.

Das Projekt „Lebendiger Friedhof“ stellten Christina Güldenring (IT/v.l.)), Jens Schramm (evangelischer Diakon), Iris Hanke (Projektmanagerin evangelische Kirche), Kurt Lingscheidt (Kirchenvorstand St. Martin) und Werner Jacobs (katholischer Diakon) vor.

Viele Grabsteine weisen auf die spannende Geschichte Euskirchens hin. Nun werden sie auf eine moderne Art für viele Menschen zugänglich.

Die Euskirchener Tuchmacher-Dynastien blieben gerne unter sich. Kurt Lingscheidt deutet auf das an die Wand gebeamte Bild eines Grabsteins: „Hier sieht man: Der Fritz Lückerath war mit einer geborenen Schiffmann verheiratet.“ Weitere Fotos vom Euskirchener Friedhof bestätigen, was Lingscheidt sagt: „Man hat unter sich geheiratet.“ Quasi „von Tuch zu Tuch“, wie es damals in Euskirchen hieß.

Lingscheidt war viele Jahre Leiter der Euskirchener Friedhofsverwaltung. Währenddessen hat er seinen Beruf zum Hobby gemacht. Regelmäßig führt er seit Jahren Gruppen mit zuweilen rund 50 Interessierten über den Friedhof der Kreisstadt, um anhand der Grabsteine die riesige Bedeutung der Tuchindustrie für die Entwicklung der Stadt darzustellen, basierend auf zahlreichen Aufzeichnungen, die er im Laufe der Zeit angefertigt hat.

Wenn die Fabriken gefärbt haben, sah der Veybach entsprechend aus.
Kurt Lingscheidt, Friedhofsexperte

Wenn nun in wenigen Wochen an zunächst 16 Grabstellen Metallständer mit QR-Codes zu sehen sein werden und die Besucher damit auf ihrem Handy über die Internetseite der Aktion „Lebendige Friedhöfe“ Audiodateien über die Geschichte der dort Ruhenden hören können, wäre das ohne das wandelnde Lexikon namens Kurt Lingscheidt kaum denkbar.

Doch es handelt sich um ein ökumenisches Projekt der evangelischen und katholischen Kirchengemeinden in Euskirchen, und Lingscheidt gehört als Mitglied des Kirchenvorstands von St. Martin sozusagen zum Team.

„Lebendiger Friedhof“ in Euskirchen ist ein ökumenisches Projekt

„Entstanden ist das Projekt in unserem Trauercafé, bei dem wir den Trauernden anbieten, mit ihnen zu den Gräbern der Angehörigen zu gehen“, erklärt der katholische Diakon Werner Jacobs.

Sein evangelischer Kollege Jens Schramm berichtet von einem Urlaub in Schleswig-Holstein, in dessen Verlauf ihm die QR-Codes auf einem Friedhof aufgefallen seien. „Die führten zu Audiodateien mit sehr unterhaltsamen, auch mit Seemannsgarn gesponnenen Geschichten über die Verstorbenen“, erzählt der Diakon. Da habe er sich gedacht: Das sei doch auch was für Euskirchen.

Audiodateien als Appetithäppchen

Lingscheidt mit seinem Wissensschatz hatte man da schnell im Boot. Dass seine reichhaltige Expertise für Menschen, die zwar interessiert sind, aber sich (noch) nicht so tief in die Thematik reinfuchsen wollen wie er, in verdauliche Audio-Häppchen zubereitet wurde, störe ihn keineswegs.

„Für meine Führungen mache ich mir immer Karteikarten“, erzählt er. Nicht, weil er die Vorträge nicht ohne halten könnte. „Sie sollen helfen, dass ich nicht zu ausschweifend erzähle“, gesteht er lachend. Ansonsten könnte es mal wieder einen kleinen Hinweis aus der Gruppe geben: Jetzt mal langsam zum Ende kommen!

Die Audiodateien, so Iris Hanke von der Projektgruppe, sollen denen ein „Appetithäppchen“ bieten, die einen Zugang zum Thema erlangen möchten. Weitergehende Informationen gebe es dann auf der Website, etwa eine Karte, die die Standorte der alten Tuchfabriken zeige.

Über QR-Codes erfährt man viel über Personen, die ein Stück Euskirchener Geschichte schrieben

„Einige Gebäude stehen ja noch“, sagt Kurt Lingscheidt: „Das von Ruhr-Lückerath, das von Wolfgarten an der Gansweide und das von Schiffmann jun. an der Gerberstraße.“ Steinerne Erinnerungen also an die Hoch-Zeit der Tuchindustrie so um 1880 und 1900, als in Euskirchen zeitgleich 21 Fabriken standen. Die anderen seien inzwischen abgerissen worden.

Die Krise in der Tuchindustrie fing Lingscheidt zufolge Mitte der 1950er-Jahre an, als günstigere Stoffe aus Italien kamen, locker und flockig. Die Fabriken in Euskirchen hätten überwiegend die groben Stoffe aus Schafswolle gewebt, zumeist für militärische Zwecke: „Die Soldaten in Bürgerkriegen auf der ganzen Welt, etwa in Amerika oder Griechenland, haben Stoffe aus Euskirchen getragen.“ Überwiegend seien sie blau gewesen, so Lingscheidt: „Wenn die Fabriken gefärbt haben, sah der Veybach entsprechend aus.“

„Montags wurde blau gemacht“ – Was hinter dieser Redewendung steckt

Aus dieser Zeit stamme auch die Redewendung vom „Blaumachen“, erzählt der Experte: „Montags wurde blau gemacht.“Was bedeutete: Der Stoff wurde meist sonntags in ein Färbebad gelegt, damit die Farbe einziehen konnte. Die Fabrikarbeiter hatten während dieses chemischen Prozesses, also montags, frei.

So können die „sprechenden Grabsteine“ die Besucher nicht nur an das Thema „Leben und Tod“ heranführen, was besonders den Diakonen Jacobs und Schramm wichtig ist. Sie geben auch Einblicke in Euskirchens Wirtschaftsgeschichte.

„Es gab die Fabrik Lückerath in der Spiegelstraße und es gab die Fabrik Ruhr zwischen Euskirchen und Euenheim“, kramt Lingscheidt eine weitere Episode hervor: „Irgendwann haben die sich zu einer Genossenschaft verbunden. Ruhr-Lückerath war die letzte Tuchfabrik, die in Euskirchen gearbeitet hat.“ Des Hinweises, dass die Frau Ruhr eine geborene Lückerath war, hätte es angesichts seiner einführenden Worte gar nicht mehr bedurft. Tuch zu Tuch halt.


In der alten Trauerhalle wird eine Dauerausstellung eingerichtet

Am 12. Mai findet ab 15 Uhr die Eröffnung des „Lebendigen Friedhofs“ in Euskirchen an der Frauenberger Straße statt.   In der alten Trauerhalle wird dann eine Dauerausstellung auf die historischen Grabstätten aufmerksam machen.

Das Angebot richtet sich auch an Schulklassen, Konfirmanden oder Firmlinge. 16 Grabstellen, die auf die Tuchmacher-Historie Euskirchens hinweisen, sollen am 12. Mai mit QR-Codes versehen sein, weitere sollen folgen: etwa an Gräbern von bedeutenden Frauen, Sternenkindern oder Soldaten.

Neben den Audiodateien, die über den QR-Code an den „sprechenden Steinen“ erreichbar sind, bietet eine Website weitere Informationen und Bilder zu den Gräbern.