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SelbstversuchMit Meditation den Stress des Alltags bewältigen

Lesezeit 7 Minuten

Sobald der Gong ertönt, heißt es, die Augen zu schließen und dem eigenen Atem zu folgen.

Euskirchen-Billig – Zu Beginn ein Experiment: Schließen Sie die Augen, atmen Sie tief durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus. Wie fühlen Sie sich? Und haben Sie den kurzen Moment zwischen Ein- und Ausatmen wahrgenommen? Diese Millisekunde, in der Ihr Atem die Richtung wechselt? Beim nächsten Mal werden Sie merken: In diesem Richtungswechsel zwischen den Atemzügen ist ein Raum. Und den gilt es zu entdecken. Durch Achtsamkeit und mithilfe von Meditation.

Die gesundheitlichen Vorteile, die in der Meditation liegen, sind, zumindest aus medizinischer Sicht, mittlerweile unumstritten. Menschen, die regelmäßig meditieren, sind Studien zufolge gelassener im Alltag und stressresistenter. Und es ist ganz einfach: Um zu meditieren, braucht es nichts weiter als einen ruhigen Ort und ein paar Minuten Zeit.

Man kann auf einem Stuhl oder Kissen sitzend meditieren oder auch im Liegen oder Gehen. Ist Meditation also nun der Schlüssel zur allgemeinen Gesundheit, zu mehr Lebensqualität und Glück?

Gerade in den vergangenen Jahren hat sich ein regelrechter Trend um Themen wie Selbstfürsorge, persönliche Entwicklung, Meditation und Achtsamkeit entwickelt. Warum das so ist und was genau es mit dieser Achtsamkeit auf sich hat, wird mit zwei Experten besprochen, die unterschiedlicher kaum sein könnten.

Der Gong ertönt

Beim Surfen im Internet, einer zugegebenermaßen wenig achtsamen Tätigkeit, bin ich vor einigen Jahren auf eine Meditations-App gestoßen und probierte sie aus. Seitdem hat sie einen festen Termin in meinem Kalender und ist zur täglichen Routine geworden, die ich nicht mehr missen möchte. Aufwachen, auf dem Kissen Platz nehmen, Kopfhörer auf, App an. Es ertönt der Gong einer Klangschale. Ich schließe die Augen, folge der ruhigen Stimme des Sprechers und meinem Atem. Ein und aus. Einige Minuten der Stille, ganz bei mir, bis mich ein weiterer Gong zurück in den Raum bringt. Nun beginnt der Tag.

Auch an Literatur hält Birgit Hegemann einiges vor.

Doch natürlich hat es Meditation bereits lange vor dem Einzug des Digitalen in unseren Alltag gegeben – sie wird klassischerweise ohne App praktiziert. Mit der buddhistischen Meditation kennt sich vor allem Birgit Hegemann aus. Freudig öffnet sie in Billig die Türen zu ihrer Yoga- und Meditationspraxis. Sie hat sich im Pützfelder Hof vor einigen Jahren ein Studio eingerichtet. Hier sprechen wir bei Kräutertee und sanfter Hintergrundmusik über Spiritualität und die Kraft der Meditation. „Frieden in mir, Frieden in der Welt“ hängt als Leinwand in ihrem Treppenaufgang. Es ist Hegemanns Lebensmotto, wie sie später erzählt. Mit streng katholischen Wertvorstellungen aufgewachsen, hat sie sich mit 17 Jahren dem Yoga und dann der buddhistischen Meditationslehre gewidmet: „Ich habe immer nach etwas Anderem gesucht.“ Mit 23 Jahren habe sie die Meditationslehrerin Ursula Lyon kennengelernt. Diese sei inzwischen 93 Jahre alt und unterrichte immer noch. Zu damaliger Zeit seien Spiritualität und Meditation etwas ganz Exotisches gewesen – sie standen für Hegemann im starken Kontrast zu den gewohnten Wertevorstellungen.

Und um mit allen Vorurteilen aufzuräumen: Meditation habe nichts mit dauerlächelnden Hippies in Jute-Kutten zu tun, die immerzu glücklich seien. Birgit Hegemann kennt diese Skepsis: „Durch die Meditation habe ich eine neue Form von Freiheit entdeckt.“ Die Erklärung folgt zugleich. Sich Zeit zu nehmen, um in die Stille zu gehen, sei essenziell. „Viele haben aber Angst vor der Stille“, sagt Hegemann: „Wenn man in die Stille geht, kommen manchmal auch Gedanken auf, die man gerne beiseite schiebt.“

Negative Gedanken

Doch wenn man die negativen Gedanken einmal registriere und sie annehme, anstatt sie wegzuschieben, könne man sich von ihnen befreien. „Das ist wichtig zu verstehen“, sagt sie: „Zu mir gehören auch Traurigkeit, Wut und Sorgen.“ Wenn man dies erkenne, entstehe Mitgefühl mit sich und mit den anderen. Wenn man sich liebevoll und achtsam annehme, könne man auch anderen liebe- und respektvoll begegnen und alles annehmen, was sei. Das sei für sie das Ziel der Meditation. Also: In die Stille gehen, Gedanken beobachten, sie annehmen und Mitgefühl entwickeln, dadurch Freiheit erfahren.

Jede Menge Kissen und Decken: Bequem soll es beim Yoga und bei der Meditation in Birgit Hegemanns Praxis im Pützfelder Hof schon sein.

Das klingt plausibel und scheint zu wirken. Nicht nur in der Gruppe, die Hegemann seit Jahren leitet, sieht sie den positiven Einfluss von Meditation. Das Interesse an spirituellen Themen rund um Achtsamkeit steigt. Einen Grund hierfür liefert mit Sicherheit die Reizüberflutung, die dazu führt, dass immer mehr Menschen nach einem Ausgleich suchen. Doch auch die Bedürfnisse haben sich verschoben. Der US-amerikanische Psychologe Abraham Maslow hat dazu Mitte des 20. Jahrhunderts eine Bedürfnispyramide aufgestellt. Basierend auf der Sicherung der Grundbedürfnisse (Hunger und Durst, Dach über dem Kopf, Arbeit) findet sich an der Spitze das Feld „Selbstverwirklichung“. In unserer westlichen Gesellschaft, in der wir die Basis gesichert haben, ist es daher nicht verwunderlich, dass der Mensch an seinem persönlichen Glück arbeiten möchte.

„Meditation ist in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen“, sagt dazu Manuel Ronnefeldt, einer der drei Gründer von 7Mind, der erwähnten Meditations-App. Die Zahlen geben ihm recht: Die App verzeichnet inzwischen mehr als 1,5 Millionen Downloads. Es muss also etwas dran sein an der Achtsamkeit.

Wir treffen uns online via Skype zum Interview. Er in Berlin, ich in Euskirchen. „In der U-Bahn zu meditieren, ist natürlich schon die Königsdisziplin“, lobt er mich zu Beginn des Gesprächs. Denn das habe ich probiert, damals in Berlin. Die Stadt war laut und die App eine willkommene Pause der Stille in der Hektik der Metropole.

Ronnefeldt ist 2009 während seines Zivildienstes in Indien mit Meditation in Berührung gekommen. Die Kinder in der Gastfamilie meditierten dort täglich, wie er erzählt: „Ich habe mir das drei Monate lang skeptisch angeschaut, was die Kinder da so jeden Tag machen.“ Dann habe er es ausprobiert und war begeistert von dem Effekt der Meditation. Zurück in Deutschland führte er diese Routine fort, gründete 2014 mit Studienfreund Jonas Leve sowie Unternehmer und Zen-Lehrer Paul Kohtes 7Mind.

„Wir fragten uns, was wohl der niederschwelligste Einstieg in das Thema Meditation sein könnte“, so Ronnefeldt. Das Smartphone sei ständiger Begleiter, es würde den Menschen also recht leicht gemacht, sich Zeit zur Meditation zu nehmen. In der Tat – die App bietet kleine Sequenzen an Meditationen zu unterschiedlichen Themen. Jeder kann sich die App herunterladen und die Basiskurse nutzen. In geführten Meditationen geht es zunächst einmal um die Grundlagen: Atmung und Wahrnehmung. Konzipiert werden diese von erfahrenen Lehrern. Die Krankenkassen fördern mittlerweile die Premium-Version der App, die man im Abo beziehen kann (siehe „Kostenerstattung“).

„Willkommen bei dir“ – so lautet der Slogan der App. Doch was bringt Meditation? „Ich bin der Überzeugung, dass Meditation hilft, seine eigene Emotion und alles, was um einen herum passiert, wahrzunehmen und zu regulieren. Eine Fähigkeit, die man als Erwachsener natürlich braucht, die aber auch mühselig ist zu lernen, wenn man das nicht schon als Kind gelernt hat“, sagt Manuel Ronnefeldt.

Medidation in der Schule?

Und da im deutschen Schulsystem aktuell die Diskussion um die Einführung neuer Schulfächer im Gange ist, planen er und sein Team gerade, das Thema Meditation vermehrt Kindern und Jugendlichen nahezubringen. Einige Kurse zum Thema „Kids und Schule“ gibt es schon bei 7Mind. Ein wichtiges Thema für die Zukunft.

Die Gründer arbeiten mit Schulen und Kindergärten an Pilotprojekten im Unterrichtsfach „Glück“. Es sei wichtig, dass die Kinder direkt mit dem Thema aufwachsen, so Ronnefeldt. „Ich hätte mir selbst auch einiges an emotionalen Dramen ersparen können, wenn ich das als Kind schon gelernt hätte“, sagt er und fügt mit einem Lachen hinzu: „Wenn man das den Zehn- bis Zwölfjährigen schon beibringt, könnte das eine entspanntere Pubertät werden.“

Mit Zen-Lehrer Paul Kohtes haben er und Jonas Leve sowohl einen Experten als auch eine angenehme Sprecherstimme mit im 7Mind-Gründerteam, der auch im „Kids und Schule“-Kursus angenehm durch die sieben Einheiten leitet. Und hier schließt sich der Kreis: Birgit Hegemann war damals für die weibliche Stimme der App im Gespräch. Man hört sie nun nicht aus dem Kopfhörer, sondern während der Meditation im Pützfelder Hof, wo regelmäßig Impulse für ein achtsames Leben gegeben werden.

Achtsamkeit

App oder klassisch? Im Grunde geht es bei beiden Varianten darum, mehr Achtsamkeit in den Alltag zu bringen. Die App hilft dank der kurzen Sequenzen, eine Regelmäßigkeit zu etablieren, und die klassische buddhistische Meditation liefert einen etwas anderen Zugang zum Thema. Beim Meditieren in der Gruppe entsteht schnell eine ganz besondere Form von Ruhe und Verbundenheit. Anders als in der App, findet die Meditation bei Birgit Hegemann einmal wöchentlich für eine Stunde statt – außerhalb des corona-bedingten Lockdowns natürlich. Hier geht es um den Wechsel von geführter Meditation und Momenten der Stille. Zwei Formen von Mediation, die sehr gut aufeinander aufbauen und Achtsamkeit in den Alltag bringen.

Mehr Infos über Birgit Hegemann gibt es auf ihrer Website.