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Kunst im FlutkellerHermann-Josef Gemünd belebt die Bäckerei Rodert in Eicherscheid wieder

Lesezeit 5 Minuten
Hermann-Josef Gemünd steht mit verschränkten Armen neben einem Porträt einer Frau mit knallroten Haaren. Auf der anderen Seite steht Kurator Jürgen Roder.

Eindringliche Blicke nicht nur auf dem Kunstwerk, sondern auch von Künstler Hermann-Josef Gemünd (l.) und Kurator Jürgen A. Roder.

Der Sohn der letzten Bäckerei-Inhaber stellt vom 3. August bis 28. September im Keller der früheren Backstube in Eicherscheid aus.

141 Jahre Backtradition gingen in einer Nacht zu Ende. 141 Jahre wurden einfach weggeschwemmt und im Schlamm begraben. Am Nachmittag des 14. Juli 2021 wurden zum letzten Mal die Öfen der Bäckerei Rodert in Eicherscheid beheizt. Nur kurze Zeit später stand die Backstube unter Wasser – und ging nie wieder in Betrieb. Der Ofen war buchstäblich aus für die Bäckerei Rodert, in der zum Zeitpunkt der Flut 120 Menschen arbeiteten.

Bis heute mutet das Erdgeschoss des Hauses an der Bitburger Straße 8, gegenüber der Kirche, vor deren Eingang sich nach der Flutkatastrophe ein tiefer Krater befand, wie ein Rohbau an. Die Fläche, in der sich seit 1924 ein kleiner Markt befand, ist ebenso leer wie die Backstube. Nur der Keller ist aktuell wieder belebt. Der Künstler Hermann-Josef Gemünd, Sohn der letzten Bäckerei-Inhaber Peter und Anita Gemünd, stellt dort etwa 55 Bilder aus, darunter auch 25 Großformate.

Früherer Bäcker öffnete Hermann-Josef Gemünd die Augen

Es war der frühere Bäcker Pawel Kowalewski, der dem Künstler die Augen öffnete – ganz so, wie einige Protagonistinnen seiner Porträts die Augen weit aufgerissen haben. Hermann-Josef Gemünd hatte sich zwei Jahre nicht in den Keller getraut, obwohl er im Haus lebt und sein Atelier hat, in dem sich geschätzt rund 370 Bilder befinden. Beim Kehren erkannte Kowalewski die ungewöhnliche Kulisse des „Flutkellers“ und machte das Gemünd mit dem Ausruf „Artist, Artist, Artist!“ deutlich. Der Putz war abgeschliffen, neuer Estrich verlegt worden. Gemünd gibt zu: „Vom Effekt her ist das nicht unansehnlich.“

Schutt liegt vor dem kleinen Markt. Im Gebäude befand sich auch die Backstube. Ein Rettungswagen hält auf der Straße.

Das Gebäude in Eicherscheid, in dem sich Backstube und der kleine Markt befanden, wurde bei der Flut am 14. Juli 2021 in den beiden unteren Geschossen stark beschädigt.

Kowalewski und die Bäcker, die am Nachmittag des Fluttages noch in der Backstube tätig gewesen waren, hatten zunächst noch versucht, mit Mehlsäcken die Ritzen zu verschließen und das Gebäude zu schützen. Doch schnell stand das Wasser im Haus – und die Bäcker zogen sich ins Büro zurück, wo sie übernachteten.

Erst vier Tage nach der Flutkatastrophe in Eicherscheid

Hermann-Josef Gemünd sah erst vier Tage später, was passiert war. Er war während der Katastrophe nicht in Eicherscheid, seine Mutter meldete sich und bat ihn, er solle bleiben, wo er in Sicherheit sei. Als er erstmals in sein Zuhause kam, waren eine Spezialfirma und Einheimische aus dem Dorf im Haus mit Aufräumen und Entschlammen beschäftigt. Seine Wohnung im ersten Stock war zum Glück ebenso wenig betroffen wie das Stockwerk darüber, in dem seine Eltern leben. Ein Wiederaufbau der Backstube kam allerdings nicht infrage, unter anderem auch, weil das Geld der Versicherung nicht ausgereicht hätte.

Hermann-Josef Gemünd schließt den Keller zur Ausstellung auf.

Ein dickes Vorhängeschloss sichert die Ausstellung im früheren Vorratskeller der Bäckerei Rodert.

Für Hermann-Josef Gemünd ist die Ausstellung eine Rückkehr in den Familienbetrieb. Nach der 1983 begonnenen Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in der elterlichen Bäckerei arbeitete er in Berlin als Praktikant bei Edeka, bis 1991 war er dann wieder in Eicherscheid. Es folgte ein Studium im Fach Grafikdesign, 1994 wurde er Brotwagenfahrer bei Rodert. Nun ist Gemünd zurück in der Bäckerei – genauer: im Vorratskeller. „Hier standen Gefrierschränke, hier eine Brotschneidemaschine, da war ein Regal mit Mehlsäcken“, erzählt er, während er durch den Keller stapft.

Jürgen A. Roder und Dieter Laue sind Kuratoren der Ausstellung

An seiner Seite Jürgen A. Roder aus Effelsberg, der mit dem Kölner Künstler Dieter Laue, an dessen Malschule Gemünd war, als Kurator der Ausstellung in Erscheinung tritt. Viel zu kuratieren gab es tatsächlich nicht, denn Gemünd hatte schnell eine Vorstellung davon, wie die Ausstellung auszusehen hat. Und der Vorteil, wenn das Atelier im gleichen Haus ist: Wenn etwas nicht passte, konnte Gemünd einfach zwei Stockwerke nach oben gehen und ein anderes Bild holen. „Wir haben eher mentale Unterstützung geliefert, aber auch Kontakte geknüpft“, berichtet Roder. „Ich bin froh, dass ich Jürgen und Dieter, der auch eine Rede halten wird, habe“, sagt Gemünd.

Hermann-Josed Gemünd als Siebenjähriger mit Freddy Quinn. Der Sänger hält eine Gitarre in der Hand und kniet neben dem Jungen.

Mit Freddy Quinn auf der Bühne.

Manchmal müsse der Künstler auch gebremst werden, berichtet Roder. So würde Hermann-Josef Gemünd gerne bei der Vernissage am Samstag, 15 Uhr, das Lied „Drei Sterne (am Himmel der großen Manege)“ von Freddy Quinn singen. Ganz überzeugt scheint Roder noch nicht zu sein. Zu dem Sänger hat Gemünd eine besondere Verbindung: Als Siebenjähriger stand er 1972 mit ihm in der Kölner Sporthalle auf der Bühne und sang „Weißt du, wie viel Sternlein stehen?“. Vater Peter Gemünd ist leidenschaftlicher Verehrer.

In der Werkreihe „Habitat“ fallen Flammen vom Himmel

Ansonsten dreht sich aber alles um die darstellende Kunst. Es ist eine Mischung aus abstrakten Bildern, die an Jackson Pollock erinnern, und Porträts. Aber es sind auch Werke aus seiner Reihe „Habitat“ zu sehen. In Schutzbehausungen suchen Menschen Zuflucht vor Flammen, die vom Himmel fallen. Es geht um Liebe und Leid – und immer wieder symbolisieren Kreise den Lauf des Lebens.

Ein Wagen von Rodert's Brot hält im Schnee. Daneben steht Hermann-Josef Gemünd.

Als Brotwagenfahrer kehrte Hermann-Josef Gemünd Mitte der 1990er-Jahre in den elterlichen Betrieb zurück.

Die runde Form war es auch, die den Eicherscheider zur Kunst gebracht hat. Fasziniert habe er mit seinem Teleskop die Ringe des Saturns beobachtet. „Diese Schönheit soll das Herz erfüllen“, so Gemünd, der die Intention von „Habitat“ mit der von Picassos Werk Guernica vergleicht. „Picasso hat es leider nicht geschafft, dem Pazifismus zum Durchbruch zu verhelfen. Ich habe aber immer noch die Hoffnung, dass wir irgendwann gemeinsam zu den Sternen reisen.“ Auffällig sind die großformatigen Porträts. Damit habe er vor 32 Jahren angefangen, dahin ist er zurückgekehrt. „Es macht Spaß, Leuten in die Augen zu schauen“, erklärt Gemünd.

Gemünds bislang einzige Ausstellung fand im Haus des Gastes statt

Für den Künstler markiert die Ausstellung – erst seine zweite, die erste fand 2001 im Haus des Gastes in Bad Münstereifel statt – aber auch einen Neubeginn. „Die Flut hat nicht nur Menschen zu Tode gebracht, sondern sie auch zusammengeführt“, sagt er. So wie ihn und Jürgen Roder, der unter anderem für „Kunst im Fluss“ in Gemünd verantwortlich ist. Klar ist für den Eicherscheider: „Kunst im Flutkeller findet nicht noch mal statt.“

Kunst im Flutkeller startet am Samstag, 3. August, 15 Uhr, und ist bis 28. September immer samstags von 13 bis 18 Uhr sowie nach telefonischer Vereinbarung unter 0 22 53/63 65 in der Bitburger Straße 8 in Eicherscheid zu sehen. Finanziell unterstützt wird die Ausstellung von der Bürgerstiftung Bad Münstereifel.