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Hochwasser 2021Münstereifeler Schülerinnen verarbeiten Flut mit Tanzfilmprojekt

Lesezeit 4 Minuten
Sechs junge Frauen sitzen auf einer Mauer, neben ihnen steht eine Frau. Im Hintergrund sind ein Fluss und Fachwerkhäuser zu erkennen.

Sind stolz auf ihre Arbeit: Daniela Nücken (v.l.), Johanna Krumbein, Lucia Unger, Hannah Homberg, Lisa Reichel, Mailin Matuschek und Lehrerin Elke Strauch (stehend neben der Mauer).

Neun Schülerinnen des St. Michael Gymnasiums in Bad Münstereifel haben Orte der Flutkatastrophe wiederbelebt.

Zwei Mädchen gehen durch die Erft und halten sich an den Händen. Eine Gruppe sitzt zusammengekauert an einer kaputten Brücke. Eine Jugendliche tanzt mit einer Plastikplane zwischen Schutthaufen.

Neun Schülerinnen des St. Michael-Gymnasiums in Bad Münstereifel haben die Flutkatastrophe in einem Tanzfilmprojekt verarbeitet. Pünktlich zum zweiten Jahrestag wurde es nun veröffentlicht.

Flutkatastrophe war im Unterricht kaum ein Thema

„Mir war aufgefallen, dass die Schülerinnen und Schüler so still waren nach der Flut“, sagt Elke Strauch, Kunstpädagogin an der Schule. „Der Unterricht hat sich sehr verändert.“ Sie habe die Lebendigkeit zurückholen wollen. Unter diesem Motto startete sie den Projektkurs. Die Schülerinnen wussten vorab nicht, dass es bei dem Kurs um die Flut gehen würde. Sie nahmen das Angebot, über die Katastrophe zu sprechen und sie künstlerisch zu verarbeiten, dann aber dankbar an.

„Im gesamten schulischen Rahmen hat man sich gar nicht mit der Flut beschäftigt“, berichtet Hannah Homberg. „Der Alltag ging einfach weiter“, stimmt ihr Lucia Unger zu. Die Schule habe in all dem Chaos Halt und Struktur geben wollen, sagt Strauch. „Das große Thema der Schule war: So viel Normalität wie möglich.“ Dabei sei aber so eine Art Vakuum entstanden. Die Flut war überall, aber niemand habe darüber gesprochen.

Für Strauch ist klar: Damals hätten Kriseninterventionsteams in die Schule kommen müssen. Die in Teilen selbst traumatisierten Lehrkräfte hätten so eine Aufarbeitung nicht leisten können.

Filmemacherin unterstütze Münstereifeler Flutprojekt

Sie hat es trotzdem versucht und bei den neun Schülerinnen damit voll ins Schwarze getroffen. „Das hat nicht nur geholfen, die Flut zu verarbeiten, sondern zu verstehen, was da passiert ist“, sagt Lucia Unger. „Durch diese Workshops sind wir zusammengewachsen“, ergänzt Daniela Nücken. „Im Nachhinein hat sich das wie Freizeit angefühlt“, so Lisa Reichel.

In vier Workshops ist das Tanzfilmprojekt entstanden. Unterstützt wurden die Schülerinnen dabei nicht nur von Strauch, sondern auch von Wiebke Pöpel, Filmemacherin und Preisträgerin des Deutschen Dokumentarfilmpreises, und Catharina Gadelha, Choreographin und Tanzvermittlerin.

Gefühle mit Bewegung zum Ausdruck gebracht

Die Mädchen wurden während der Workshops die ganze Zeit gefilmt und aufgezeichnet. Das sei schon sehr ungewohnt gewesen, sagt Unger. Die Choreographin habe ihnen beigebracht, wie man seine Gefühle mit Bewegung zum Ausdruck bringen könne.

Dann gingen die Schülerinnen an Orte der Katastrophe: Schuttberge, zerstörte Brücken, die Erft. Ohne Musik und ohne Anleitung versuchten sie, dort ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Mal gemeinsam, mal alleine. Dieses Über die Flut sprechen, ohne zu reden, habe ihr sehr geholfen, berichtet Mailin Matuschek: „Das war erlösend.“

Jugend nach Flut in Bad Münstereifel kaum Thema

Entstanden sind neun kurze Filme. In jedem dieser Filme berichtet zudem eine Schülerin über ihre Gedanken zur Flut. Sie habe mit dem Projekt der Jugend eine Stimme geben wollen, sagt Strauch. „Es ist so wenig über die jungen Menschen gesprochen worden“, bedauert sie.

Dabei seien es doch gerade sie, die nun auf dieser Katastrophe aufbauen müssten. Eine Situation, die die jungen Frauen aus dem Projektkurs mit gemischten Gefühlen betrachten. Angst und Verzweiflung der Flutnacht mischen sich mit Wut und Frust wegen des langen Wiederaufbaus und dem großen Wunsch nach Normalität.

Nicht nur die Katastrophe selbst hat die neun Schülerinnen geprägt, auch die Zeit danach. Zwei Jahre Wiederaufbau, zwei Jahre Baustelle vor der Haustür. Viel Lärm, viel Dreck. Schienenersatzverkehr, kaputte Straßen und immer wieder werde man in der Stadt von fremden Leuten angequatscht und nach der Flut gefragt, berichten sie. All das nervt sie.

Schülerinnen schaffen neue Erinnerungen an Flutorten

Auch diese Gefühle haben in dem Tanzfilmprojekt Raum gefunden. Und ebenso die Trauer über das Verlorene. „Bad Münstereifel ist nicht mehr Bad Münstereifel“, sagt Matuschek. Jetzt sei alles neu und modern. Sie vermisse das Kopfsteinpflaster, das Altstadtflair. „Der Charme ging ein bisschen verloren“, so Lisa Reichel. Der Stadt mache man keinen Vorwurf, betont Strauch. Sie seien dankbar für deren Unterstützung. Aber das Tanzfilmprojekt solle eben Raum für alle Gefühle geben.

Vor allem aber ging es darum: Die neun Schülerinnen ließen der Zerstörungskraft der Flut nicht das letzte Wort, sie tanzten und lachten auf Sandsäcken, Schuttbergen und kaputten Brücken. „Wir haben die Orte wiederbeleben können“, sagt Lucia Unger. Und mehr noch: Durch das Projekt seien für sie alle an den Orten der Zerstörung neue Erinnerungen entstanden, so Daniela Nücken. Schöne Erinnerungen.


Ideenwettbewerb gewonnen

Die Filme des Projektkurses sind auf einer eigenen Webseite veröffentlicht worden. Finanziell umsetzbar sei das Ganze nur dank einer Förderung im bundesweiten Programm Neustart Kultur gewesen, sagt Elke Strauch.

Neben dem Projekt hat ihr Kurs 2022 an einem Ideenwettbewerb der Bürgerstiftung Bad Münstereifel teilgenommen. Gesucht waren Ideen für Erinnerungsmonumente an die Flutkatastrophe. Die Schülerinnen entwickelten ein Konzept mit aus Flutmaterialien gebauten Booten und überzeugten damit die Jury.

Die Boote sollen auf Stelen im gesamten Stadtgebiet aufgestellt werden. Da der Projektkurs nun zu Ende sei, werde sie sich um die Umsetzung dieser Idee mit den Schülerinnen in einer AG kümmern, so Strauch. (jre)