Aus dem ArchivSchon früher gab es in Bad Münstereifel schwere Hochwasser
Bad Münstereifel – „Nachts, als die Menschen schliefen, kam das Wasser. Die Menge war so gewaltig, dass man der Meinung sein konnte, der Himmel über Münstereifel sei geborsten. Zusammen mit den einstürzenden Toren und Mauern wurde das Herz der Stadt hinweggeführt. Viele Leute und deren Kinder ertranken und auch viel Vieh...“
Nein, es ist nicht das Hochwasser 2021 gemeint. Diese Passage steht so, frei übersetzt aus dem Niederdeutschen, in der „Cronica van der hilliger Stat va Coellé“, auch Koelhoffsche Chronik genannt, aus dem Jahr 1499. Ein Exemplar der umfassenden Kölner Stadtchronik befindet sich in Münstereifeler Besitz. Zu finden ist es in der Jesuitenbibliothek im St.-Michael-Gymnasium. Harald Bongart, Regionalhistoriker und momentan Stadtarchivar ohne Archiv, gewährte dieser Zeitung einen Blick in das Buch, von dem es noch 150 Exemplare gibt.
„Die Stadt lief wie eine Badewanne voll“
Beschrieben ist das Hochwasser des Jahres 1416 – oder genauer gesagt: die Hochwasser des Jahres 1416, wie der Bonner Historiker Wolfgang Herborn herausgefunden hatte. 150 Menschen kamen ums Leben. Harald Bongart ist sich sicher: Ein schlimmeres Hochwasser hat es in der Geschichte der Stadt nicht gegeben. Er findet aber auch: Das Ereignis aus dem Juli 2021 hatte, was die Zerstörung angeht, ähnliche Ausmaße.
Am 18. Juni 1416 gab es ein heftiges Gewitter. Fünf Tage später, so berichtet es die „Rezension B“ der „Cölner Jahrbücher des 14. und 15. Jahrhunderts“, erreichten mit Verzögerung die Wassermassen die Stadt und überschwemmten sie. Die Trümmer waren, ähnlich wie heute, auch nach Wochen noch nicht weggeräumt, da schlug das Schicksal erneut zu. Am 6. Juli kam das nächste Wasser.
Der Schutt und die Trümmer wurden in Richtung des Werther Tors gespült und setzten die Untere Schoßpforte zu. Dabei handelt es sich um eines von zwei Wassertoren der Stadt, die Obere Schoßpforte befindet sich in der Nähe des Heisterbacher Tors. Beide Pforten wurden durch eiserne Fallgatter gesichert, schließlich sollte kein Feind durch die Erft in die Stadt gelangen. Doch für viele Münstereifeler bedeutete dieses Fallgatter, in dem sich nun die Trümmer sammelten, sodass das Wasser nicht ablaufen konnten, den sicheren Tod. Die Wasser der Erft stieg und gelangte, als es über die Ufer trat, auch am nachts geschlossenen Werther Tor nicht hinaus. „Die Stadt lief wie eine Badewanne voll“, sagt Bongart.
100 zerstörte Häuser und etliche Tote bei Flut im Jahr 1451
Das Wasser unterspülte damals einen Teil des Burgberges, der abrutschte. Der Arzt Laurentius van der Wije schrieb als Augenzeuge, dass die Särge auf dem Friedhof neben der Stiftskirche freigespült wurden. Der Priester Tilman Plunsch berichtete in seiner Chronik von 1451, dass etwa 100 Häuser zerstört wurden. Die Katastrophe hatte ein solches Ausmaß, dass es selbst in der eingangs erwähnten Kölner Chronik Erwähnung fand. Als Stöpsel der Badewanne erwies sich schließlich das Werther Tor. Als das durch den enormen Wasserdruck am 10. Juli, also vier Tage nach Eintreffen der Flutwelle, einstürzte, floss das Wasser ab. Doch für 150 Menschen war das zu spät.
Ein Gedenkkreuz an der Johannisstraße spricht sogar von 1500 Toten, auch der Geschichtsschreiber Jakob Katzfey nannte diese Zahl. Doch heutige Historiker sind sich sicher, dass diese Zahl ein Fehler sein muss. „Alleine 100 bis 150 Tote entsprachen etwa zehn Prozent der Stadtbevölkerung“, erklärt Bongart. Heimatforscher Karl Hürten nahm 1926 in der „Volkstümlichen Geschichte der Stadt Bad Münstereifel“ an, dass es sich um einen Irrtum des Steinmetzes gehandelt haben muss.
Aber auch die Schreibweise der Zahl in der „Koelhoffschen Chronik“ könnte zu Missverständnissen geführt haben. Dort ist von „IJ hundert“ die Rede. Damit ist keinesfalls 200 gemeint oder gar 1500, sondern eineinhalbhundert, also 150.
Immer wieder wurde die Stadt von Hochwassern getroffen
Doch 1416 und 2021 waren nicht die einzigen schweren Hochwasser in Bad Münstereifel. „Überschwemmungen sollten die Stadt immer wieder hart treffen“, berichtet Harald Bongart. Wolfgang Herborn sprach von mindestens 50 Hochwasserereignissen seit 1112. Zum Beispiel am 27. Mai 1393, am 11. Juni 1402 und am 18. August 1404 – also immer in den sommerlichen Monaten. Bongart berichtete dieser Zeitung schon vor Jahren: „Das Klima muss nahezu mediterran gewesen sein. In Iversheim und Kreuzweingarten wurde Wein angebaut.“ Weitere schwere Hochwasser gab es am 23. und 30. Juli 1727 sowie am 3. September 1749.
Ein weiteres außergewöhnliches Hochwasser ereignete sich am Samstag, 2. Mai, 1818. Nach einer langen Dürre sehnten sich die Münstereifeler nach Regen. Aber nicht in dem Ausmaße, wie er kommen sollte. Um 10 Uhr begann es leicht zu tröpfeln. Doch ab 15 Uhr ergossen sich solche Regenmengen, dass sie der trockene Boden nicht mehr aufnehmen konnte. Um 17 Uhr reichte das Wasser bis zur damals erhöhten Schwelle des St.-Michael-Gymnasiums. Toni Hürten beschreibt in der „Chronik Münstereifel“, dass um „5 Uhr die Häuser in der Talebene von Münstereifel, Iversheim, Arloff und Kirspenich bis zum ersten Stock im Wasser stehen“. Pfarrer Zinken gibt in seinen Erinnerungen an, das „Orchheimer Tor war nur noch einen Fuß frei oben in dem Torbogen“.
Fünf Menschen starben in dem Hochwasser, darunter die Schreinersfrau Katharina Sturm, die krank im Bett lag, als die Flutwelle das Haus in der Werther Straße erreichte und fortspülte. Der Apotheker Sauvage rettete sich mit seiner Frau auf das Dach der Apotheke, von dort erreichte das Paar das Dach des Nachbarhauses. Es musste mit ansehen, wie seine Apotheke, in der 1780 Dr. Friedrich-Joseph Haass, der spätere „heilige Doktor von Moskau“, geboren wurde, einstürzte. Dem Gastwirt Grün ist es zu verdanken, dass nicht mehr Menschen den Tod fanden. Er stemmte die Flügel des Werther Tores auf und stützte sie mit Pfählen ab, damit das Wasser abfließen konnte.
Mai 1956: Letztes schweres Hochwasser vor 2021
Das letzte schwere Hochwasser gab es laut Bongart am 29. Mai 1956 – einige Münstereifeler dürften sich daran noch erinnern. Besucher der Stadt können sich die verblasste Hochwassermarke am Werther Tor anschauen. Ein Wolkenbruch hatte gegen 18 Uhr die Erft in Eicherscheid über die Ufer treten lassen. Die B 51 (heute L 194) wurde zum reißenden Gewässer. In der Wollspinnerei Oberfollmühle wurden zentnerschwere Maschinen weggerissen. Von taubeneigroßen Hagelkörnern ist die Rede. Der Pegel der Erft stieg in nur einer Stunde von 30 Zentimetern auf 2,12 Meter.
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In Bad Münstereifel überschwemmte die Erft die Orchheimer Straße und die Unnaustraße. Die Wassermassen vereinten sich am Salzmarkt. Am St.-Michael-Gymnasium stürzte ein Stück Erftmauer ein. Die Wassermassen ergossen sich über die Werther Straße und überfluteten zahlreiche Keller. Erneut staute sich das Wasser am Werther Tor.
Die entstandenen Schäden beliefen sich in die Millionen. Doch immerhin forderte das Hochwasser keine Menschenleben. Weil es auch schon 1953 und 1955 Erfthochwasser gegeben hatte, wurde ein Regenrückhaltebecken in Eicherscheid errichtet, das 1976 in Betrieb ging. Vor Hochwasser sollte die Stadt nun sicher sein – dachte man zumindest...