Kall – Nach wie vor ist die Bundesregierung bemüht, deutsche Staatsbürger und schutzbedürftige Afghanen mit zivilen Flügen aus Afghanistan herauszuholen. Zu dem Zweck werden auch Verhandlungen mit den Taliban geführt.
Ludwig Grunwald aus Kall, der nach eigenen Angaben zwischen 2006 und 2015 für verschiedene Organisationen 18-mal in dem Land am Hindukusch unterwegs war und die Region gut kennt, ist wütend, dass es so weit kommen konnte: „Ich habe schon vor acht Jahren gefragt, was mit den afghanischen Helfern geschieht, wenn die internationalen Truppen abgezogen sind. Das sind die Menschen, die jetzt um ihr Leben betteln müssen.“ Aber angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen, die zur der Zeit aus Afrika und Syrien nach Deutschland gekommen seien, habe sich damals niemand für das Thema interessiert. Jetzt sei die Not groß.
Keine überraschende Entwicklung
Grunwald ist über die Entwicklung in den vergangenen Monaten und die Rückkehr der Taliban nicht überrascht. „Ich habe gewusst, dass es so kommen würde“, sagt der ehemalige Bundeswehroffizier, der auch heute noch gute Kontakte in dem Land hat. 2006 sei er erstmals im Auftrag der NAMSA, einer Dienstleistungsorganisation, die für die NATO-Staaten arbeitete, dort im Einsatz gewesen.
„Während des Aufbaus des Lagers für die deutschen Truppen in Masar-e Scharif bin ich für die Erweiterung des dortigen Flugplatzes zuständig gewesen“, erzählt Grunwald. Dazu habe er sich um die Verbindung zum Planungsbüro in Luxemburg, zur Bundeswehr und zum zuständigen Gouverneur kümmern müssen. Überraschend habe er sich auch für den Ausbau zur Stationierung von sechs Tornados kümmern müssen.
Im Rahmen eines deutsch-australischen Projekts habe er den Aufbau eines Flugzeugidentifizierungssystem an drei Flugplätzen, unter anderem in der Hauptstadt Kabul, koordiniert. „In der Zeit habe ich auch ein dreiviertel Jahr am Flughafen in Kabul gewohnt“, berichtet der Kaller. Weil es keine Möglichkeit zur Positionsbestimmungen von Flugzeugen mit Hilfe von Transpondern gegeben habe, brauchten die mehr als 300 Verkehrsflugzeuge, die täglich das Land überquerten, keine Gebühren zu bezahlen. Um das zu ändern, sollten nach Auskunft von Grunwald 60 Antennensysteme im Land und an den drei Flugplätzen installiert werden.
„Wir haben für das Projekt über französische Mittelsmänner auch Kontakt mit den Taliban aufgenommen. Sie sicherten uns zu, das Vorhaben nicht zu sabotieren, hielten sich später aber nicht zuverlässig an die Absprachen.“ Kriegsbedingt sei das Projekt dann nicht vollendet worden. Anschließend habe er dann noch den Aufbau von Radarrichtsystemen und Anflugsystemen an einigen abgelegenen Flugplätzen in Afghanistan koordiniert.
Gebäudeausbau für die Universität
Von 2013 bis 2015 folgten mehrere Aufenthalte für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). In Faizabad sollte Grunwald beispielsweise den Endausbau von Gebäuden für die dortige Universität organisieren. „Das war ein echter Krimi. Da konnte ich zeitweise nur noch unter dem Schutz der örtlichen Polizei arbeiten.“ Die Bundeswehr und die deutsche Polizei seien zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr in der Stadt gewesen. „Damals wurde bereits der Rückzug aus Kundus vorbereitet.“
Mit russischen Hubschraubern und Piloten sei er in dieser Zeit von Faizabad nach Kabul und wieder zurück über die Ausläufer des Himalayas geflogen: „Da zeigt sich die Schönheit, aber auch die Einsamkeit des Landes besonders deutlich.“ Bei diesen Flügen habe es auch schon mal Begleitschutz von anderen Hubschraubern gegeben.
Nach der Fertigstellung des Projekts in Faizabad habe der dortige Polizeichef die Gebäude kurzerhand für seine Behörde beschlagnahmen wollen. Grunwald besuchte auch einige historische Stätten, wie zum Beispiel die mehrere tausend Jahre alte Stadt Balkh mit den Resten ihrer Stadtmauer. Zum Abschluss seiner internationalen Aufgaben war Grunwald dann noch rund sechs Monate in Kurdistans Hauptstadt Erbil im Irak eingesetzt. „Der Auftrag war ein Spagat. Deutschland unterhielt offizielle Beziehungen zu Bagdad, unterstützte parallel aber die Streitkräfte der Autonomen Region Kurdistan in Erbil.“ Danach musste er dann seiner Frau versprechen, dass er fortan keine größeren Reisen mehr unternehme werde.
Weltweit größte Stammesgesellschaft
„Afghanistan ist ein sehr unterschiedliches Land mit der weltweit größten Stammesgesellschaft. Die Menschen haben einen unzähmbaren Charakter“, beschreibt Grunwald seine Eindrücke. „Das versteht man am besten, wenn man den legendären Reiterkampf, den Buzkaschi, einmal miterlebt hat.“ Bei dem Spiel werde eine tote Ziege auf einem Feld in der Steppe abgelegt. Die Reiter müssen versuchen, das tote Tier im Galopp aufzunehmen und in einem markierten Kreis abzulegen. „Jeder spielt gegen jeden und alles ist erlaubt“, so Grunwald. Die Afghanen seien ein unwahrscheinliches stolzes Volk. „Aber unsere Arbeit wurde häufig durch die Unzuverlässigkeit erschwert. Diese beruhte auf der Abhängigkeit von Stämmen, Familien und den jeweiligen Warlords.“ Die Taliban würden derzeit viel versprechen, „mal sehen, was sie davon halten, ganz abgesehen von dem inzwischen dominierenden IS-Druck“.
Grunwald beschreibt Afghanistan als „absolutes Macho-Land“, in dem man kaum Kontakt zu Frauen habe. „Sie sind schon wegen der Vollverschleierung nicht sichtbar, und auf dem Land verlassen sie nur selten das Haus.“ Es gebe nur wenige Ausnahmen: „Auf einer Baustelle hatte ich mit einer Unternehmerin zu tun, die immer zwei einheimische und zwei Polizisten der Nato zum Schutz dabei hatte.“ Immer wieder habe es Drohungen gegen die Frau gegeben.
Zur Person
Ludwig Grunwald wurde am 4. Oktober 1939 in Braunsberg in Ostpreußen geboren. „Wir sind Ermländer und als Katholiken im überwiegend evangelischen Ostpreußen eine Minderheit“, erzählt Grunwald. Bis 1945 lebte er dort mit seiner Familie, ehe im Februar 1945 die späte Flucht in den Westen begann. „Meine Eltern Leo und Dorothea und meine Schwestern Gisela und Brigitte sind mit uns abseits der Trecks in einer Kutsche über das Eis geflohen und dann mit dem Schiff „Deutschland“ und der Bahn über Rügen in den Westen gekommen“, erinnert sich der heutige Kaller. Von 1945 bis 1950 lebten die Grunwalds dann in der Nähe von Husum in Schleswig-Holstein. „Weil meine Mutter Lehrerin war, haben wir in einer Schule gewohnt.“
Aber Vater Leo zog es in das katholische Rheinland, wo er vor dem Zweiten Weltkrieg mit Pferden gehandelt hatte. „So sind wir 1950 nach Oberwolfert gezogen“, erinnert sich Grunwald. Zwei Jahre später erfolgte dann der Umzug nach Kall, wo der Vater als Landwirtschaftlicher Sachverständiger und dann als Bezirksvertrauenslandwirt tätig war, während die Mutter als Lehrerin arbeitete. Ludwig Grunwald besuchte die Kaufmännischen Bildungsanstalten der Stadt Bonn. Anschließend wollte er Wasserbau studieren, wurde aber schon während eines Praktikums zur Bundeswehr zu den schweren Pionieren nach Koblenz einberufen. „Das war für mich das Richtige, denn schließlich ging es um Wasser- und Brückenbau.“ Sein großes Interesse für Schwermaschinen war auch bei der Bundeswehr von Vorteil. Nach einem Grundstudium in Betriebswirtschaft war er elf Jahre weltweit für die Nato unterwegs und anschließend Spezialist für Kurzbrücken und Minenräumen im Bundesverteidigungsministerium in Bonn. Es folgten drei Jahre, in denen er organisatorisch unter anderem am Abzug der Alliierten beteiligt war, ehe er 1995 pensioniert wurde.
Bis 2015 war der Kaller dann weltweit für verschiedenen Ministerien und Nichtregierungsorganisationen tätig. Unter anderem war Grunwald in Bosnien, Mazedonien und im Kosovo im Einsatz sowie in Sibirien und in Sri Lanka. (wki)
„Wenn man in dem Land etwas vorantreiben will, sind die Warlords der Schlüssel. Das sind meist die örtlichen Gouverneure und Herrscher über die Polizei und das öffentliche Leben.“ Der Versuch, dort eine Zentralregierung zu installieren, sei von vorneherein zum Scheitern verurteilt gewesen. „Die Vereinten Nationen, die Nato und die Europäische Union hatten nie ein Konzept für das Land. Daran ist die Mission gescheitert.“ Afghanistan sei der letzte Staat, der sich eine Demokratie überstülpen lasse. Fasziniert habe ihn das internationale Geschehen in dem Land und die Hoffnung, dass man die Situation der Menschen und vor allem der Frauen und Mädchen verbessern könne.
Die Deutschen seien in Afghanistan hoch angesehen. „Schon vor dem Zweiten Weltkrieg gab es Entwicklungsprojekte.“ Deutsche Architekten hätten zum Beispiel den Königspalast und das Nationalmuseum in Kabul errichtet. Wie verbunden er selbst noch mit dem Land ist, zeigen die vielen Erinnerungsstücke in seinem Haus in Kall. Einen Sommer- und einen Wintermantel, wie ihn auch der frühere Präsident Hamid Kazai getragen hat, bekam Grunwald vom afghanischen Verkehrsminister geschenkt.