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Sperrung der Rahmede-TalbrückeBis zu 6500 Lkw pro Tag in Wohnviertel

Lesezeit 7 Minuten
Baumaschinen bereiten den Untergrund unter der baufälligen Talbrücke Rahmede für die Sprengung vor.

Die Arbeiten zur Sprengung der alten Autobahnbrücke der A45 über dem Rahmede-Tal laufen bereits auf Hochtouren.

Durch die Sperrung der maroden Autobahnbrücke über dem Rahmede-Tal fahren seit Monaten tausende Lkw pro Tag durch Wohnviertel durch den Norden von Lüdenscheid. Die Bürger sind mit den Nerven am Ende.

„Mittlerweile ist das Sauerland ein Trauerland!“ Roland Desens von der Bürgerinitiative „BI A45 Lüdenscheid“ ist frustriert darüber, was nach gut einem Jahr seit der Sperrung der Rahmede-Autobahnbrücke in seiner Heimatstadt los ist. „Trotz einiger Erfolge haben wir immer noch rund 6500 Lkw pro Tag in unserem Viertel. Und davon gehören zwei Drittel nicht auf unsere Straßen. Die haben hier keinen Zielort und fahren bei uns nur durch, um nach der gesperrten Brücke wieder auf die Autobahn zu gelangen“, kritisiert Desens. Er und Mitstreiter der Bürgerinitiative versuchen seit Monaten mit Aufrufen, Demonstrationen und Plakataktionen die Verkehrslage in Lüdenscheid zu verbessern.

Die gesperrte Rahmedetal-Brücke auf der A45 bei Lüdenscheid sorgt für große Verkehrsprobleme im Lüdenscheider Norden. Der Transit-Lkw-Verkehr wird seit mehr als einem Jahr über die Bedarfsumleitungsstrecke (rot markiert) teilweise auch durch Wohnviertel geführt.

Umleitungsstrecke (rot markiert) für gesperrten Abschnitt der A45 bei Lüdenscheid

Lennestraße, Altenaer Straße, Im Grund sind die Straßennamen der offiziellen Bedarfsumleitungsstrecke, die die Autobahn GmbH zusammen mit der Stadt Lüdenscheid ausgeschildert hat, um den Transitverkehr durch den nord-östlichen Teil der Stadt zurück zur Autobahn A45 zu leiten. Die Lkw, darunter viele Sattelschlepper beziehungsweise 40-Tonner, fahren an manchen Stellen in zwei bis drei Metern Abstand zu Wohnhauswänden vorbei. In den Stoßzeiten bilden sich lange Lkw-Rückstaus an den Ampeln, sodass „oft gar nichts mehr vor und zurück geht“, so Desens weiter. „Die Leute sind genervt und nicht selten kommt es hier zu Handgreiflichkeiten. Manche Anwohner sind schlicht am Ende wegen des Lärms, der Abgasbelastung und weil man für normalerweise kurze Fahrten jetzt bis zu einer Stunde benötigt und die Busse ihre Fahrpläne wegen der Staus nicht einhalten können.“

Transit-Lkw fahren zu hunderten durch Lüdenscheid-Nord, da hier die Umleitungsstrecke verläuft.

Bürger demonstrieren gegen die Lkw-Kolonnen, die kein Ziel in Lüdenscheid ansteuern, sondern wegen der Sperrung der Rahmede-Brücke auf der A45 durch den Norden von Lüdenscheid geleitet werden.

Die Lkw rollen weiter durch Lüdenscheider Wohnviertel

Dass neben dem Autobahnbrückenneubau auch für die Umleitung des Transitverkehrs verantwortliche Bundesverkehrsministerium will die Bürger laut eigener Aussage so gut entlasten wie möglich: „Seit Juni letzten Jahres finanziert der Bund auf Antrag der Eigentümer Lärmschutzfenster an den Gebäuden entlang der Umleitungsstraßen“, so Martina Thöne, Sprecherin im Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Zudem sind Geschwindigkeitsbegrenzungen von Tempo 50 und im Bereich von Wohnungen von Tempo 30 eingerichtet worden. Grundsätzlich habe man sich mit dem Land und der Stadt Lüdenscheid darüber verständigt, ein Fahrverbot für den Lkw-Transitverkehr in Lüdenscheid hinzubekommen, so Thöne auf Anfrage der Rundschau weiter.

Der Transitverkehr soll dann außerhalb von Lüdenscheid voraussichtlich vor allem über die Bundesstraße B54 zwischen Meinerzhagen und Hagen laufen. Erste Baumaßnahmen an der B54 sind schon abgeschlossen, damit die 40-Tonner dort fahren können. Welche verkehrlichen Folgen das dann für die dortigen Regionen hat, kann man nach den Erfahrungen in Lüdenscheid nur erahnen. Die „BI A45 Lüdenscheid“ hat im Ort Brügge bereits zusammen mit dortigen Anwohnern eine Demonstration gegen diese Ausweich-Lösung veranstaltet und sich mit deren Sorgen vor dem drohenden Anstieg der Lkw-Zahlen solidarisiert.

Transit-Lkw fahren zu Hunderten durch Lüdenscheid-Nord, weil hier die Umleitungsstrecke verläuft.

Folgen der Brückensperrung auf der A45 bei Lüdenscheid: Schwere Lkw fahren auf der offiziellen Bedarfsumleitung mitten durch ein Wohngebiet.

Wann das Durchfahrverbot in Lüdenscheid kommt, ist nicht klar. Aktuell rollen die Lkw weiter jeden Tag durch die Stadt – wie die Zahlen belegen. „Das Schlimme ist, dass sich manche Lkw-Fahrer auch verirren oder bewusst Schleichwege fahren, um Staus an den Ampel-Kreuzungen zu meiden. Die fahren dann verbotenerweise durch schmale Wohnstraßen an Kindergärten und Schulen vorbei oder nehmen Abkürzungen durch Waldgebiete, wo sie Radfahrern und Joggern in die Quere kommen“, so Thomas Körnich, ebenfalls aktives Mitglied der Lüdenscheider Bürgerinitiative. Die Unfallgefahr steige, besonders gefährlich sei es für Motorrad- und Radfahrer. Einen tödlichen Unfall mit einem Sattelschlepper habe es bereits gegeben, als ein Motorradfahrer von dem ausscherenden Anhänger erfasst wurde, schildert Körnich die angespannte Lage. „Manchmal werden sie von der Polizei kontrolliert und müssen Bußgelder zahlen. Aber das hält sie nicht auf.“

Staub und Lärm gefährden die Gesundheit der Anwohner

Es gehe nicht nur um die starken Einbußen der Lebensqualität in den betroffenen Siedlungen, so die Vertreter der Bürgerinitiative, „es geht vor allem auch um unsere Gesundheit! Es stinkt, der Lärm, der auch nachts kaum nachlässt, weil die Lkw durchgehend fahren.“ Einige Anwohner seien bereits krank, macht Roland Desens klar.

Mittlerweile gibt es Feinstaubmessstellen, zum Beispiel auf der Lennestraße. Die Auswertungen werden aber erst nach einem Jahr erfolgen. Der Arzt Walter Wortberg von „A45 Lüdenscheid“ hat beim Bundesgesundheitsministerium eine Gesundheitsstudie beantragt – ohne Erfolg. Auch die Fraktion der Grünen im Märkischen Kreistag sehen dazu keine Veranlassung. „Hinreichend aussagekräftige Rückschlüsse auf gesundheitliche Folgen in Lüdenscheid ergeben sich allein schon aus der vorgenommenen Verkehrszählung, da dazu ausreichend Erkenntnisse von anderen stark befahrenen Straßen in Deutschland vorliegen“, sagt Oliver Held, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Märkischen Kreistag.

Lüdenscheids Bürgermeister, Sebastian Wagemeyer (SPD), macht keinen Hehl daraus, wie er die Lage der betroffenen Anwohner sieht, und stimmt den Aussagen der Bürgerinitiative in weiten Teilen zu: „Nach wie vor sind die Anwohner an der Umleitungsstrecke sehr belastet. Der Schwerlastverkehr beeinträchtigt die Anwohner auch in der Nacht. Hinzu kommen längere Anfahrtszeiten nicht nur für die Anwohner, sondern auch für Pendler. In einigen Bereichen, vor allem rund um Schulen und Kitas, fürchten Bewohner um die Sicherheit ihrer Kinder.“

Transit-Lkw fahren zu hunderten durch Lüdenscheid-Nord, da hier die Umleitungsstrecke verläuft.

Die schweren Lkw sorgen immer wieder für gefährliche Situationen auf Straßen, die eigentlich nicht für diese großen Fahrzeuge gebaut wurden.

Bürgermeister Wagemeyer ist zudem Beauftragter des „Brückenbauer“-Büros, das in Abstimmung mit dem Bundesverkehrsministerium im letzten Jahr eingerichtet wurde. Hier können Bürger ihre Anliegen zur aktuellen Situation einbringen. „Mein Ziel ist es, die Meinungen der Bürger zu bündeln und ihnen beim Bundesverkehrsminister Gehör zu verschaffen“, so Wagemeyer. Ob Einrichtungen wie diese etwas bewirken, muss sich zeigen. Desens und Körnich von der Bürgerinitiative sind skeptisch, unterstützen diese Initiative aber.

An Politik-Prominenz in den letzten Monaten habe es auch nicht gemangelt. Der Bundesverkehrsminister Volker Wissing war vor Ort, auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst oder auch der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der CDU/CSU Friedrich Merz. „Die Auftritte der Politiker waren nicht immer glücklich. Aber sie haben uns zumindest teilweise zugehört. Letztlich wollen wir aber Taten sehen“, fordert Roland Desens. „Wenn unser Ministerpräsident sagt, dass das Wichtigste ist, die Rahmede-Talbrücke fertig zu stellen, ist das zu wenig.“ Die Landesregierung teilte auf Anfrage mit, dass sie sich auf mehreren Ebenen dafür einsetze, die betroffenen Anwohner zu entlasten. Das von der Sperrung der Brücke betroffene Gebiet sei in das Regionale Wirtschaftsförderungsprogramm des Landes aufgenommen worden, und für kleine bis mittelständische Unternehmen wurde die Strukturhilfe „NRW.BANK.Universalkredit A45“ geschaffen, mit der diese Darlehen zu günstigen Konditionen aufnehmen können, so Sarah Meinholz von der Staatskanzlei des Landes NRW.

Fakt ist, dass die geplante Sprengung der Brücke im Dezember letzten Jahres verschoben wurde. Ein neuer Termin steht, Stand jetzt, noch nicht fest. Im Frühjahr soll es jedoch soweit sein, wie Bürgermeister Wagemeyer nach einem Spitzengespräch zur A45 mit Vertretern von Bund, Land, Industrie- und Handelskammer sowie Lüdenscheider Ratsfraktionen im November mitteilte. Die neue Brücke werde danach frühestens Anfang 2027 befahrbar sein. Keine guten Aussichten für die Anwohner, dass sich bald an der Verkehrslage in Lüdenscheid etwas ändert. „Die Lösung kann nur ein Durchfahrtsverbot sein. Die Frage ist nur, wer diese kontrolliert“, dämpft Wagemeyer die Hoffnungen der Bürger.

Leitsystem der RWTH Aachen könnte Abhilfe schaffen

Die Lüdenscheider Bürgerinitiative hätten eine Idee. Die Technische Hochschule RWTH Aachen führte bis 2020 in Wetter an der Ruhr erfolgreich ein Pilotprojekt für Bundes- und Landstraßen mit dem Namen „Brückenwächter“ durch. Damit wurden Lkw per Laser- und Kennzeichen-Scan erfasst und durch personalisierte Ansprachen über LED-Anzeigen umgeleitet. Auch die CDU-Fraktion im Lüdenscheider Rat ist für den Einsatz dieser Technik.

Philipp-Armand Klee vom Institut für Straßenwesen an der RWTH Aachen schränkt allerdings auf Nachfrage der Rundschau ein: „Wegen der großen Zahl an Lkw auf den Autobahnen kann das Brückenwächter-System nur in abgewandelter Form sinnvoll zum Einsatz kommen. Wir benötigen dazu eine Liste der Lkw, die in Lüdenscheid und Umgebung Ziele anfahren. Diese hätten weiter freie Fahrt.“ Mit dem Kennzeichen-Scan wäre das allerdings machbar, so Klee. Transit-Lkw würden jeweils per LED-Anzeige die Anweisung bekommen umzudrehen. Bei Nichteinhaltung würde nach einer weiteren Kontrollstelle automatisch ein Bußgeldverfahren eingeleitet.

Für die Bürgerinitiative wäre das die goldene Lösung. Denn das Ziel von „A45 Lüdenscheid“ ist eindeutig: Raus mit dem Lkw-Transitverkehr aus Lüdenscheid und Umgebung und dafür weiträumige Umleitungen über die Autobahnen nach Köln oder Kassel.


Daten zur Brückensperrung

Ende der 60er Jahre wurde die Autobahnbrücke über dem Rahmede-Tal fertig gestellt. Nun ist sie marode und nicht mehr sicher genug. 2. Dezember 2021: Die Rahmedebrücke wird nach einer Bauwerkkontrolle komplett gesperrt. Seitdem wird der Transitverkehrs durch Lüdenscheid-Nord geführt. Ende Januar: Die damalige NRW-Verkehrsministerin Ina Brandes (CDU) teilt mit, dass die B54 als Ausweichstrecke für den Transit-Schwerlastverkehr ausgebaut werden soll (z.B. Fahrbahnabsenkungen unter Brücken). 7. Februar 2022: Bundesverkehrsminister Volker Wissing gibt die Sprengung der Rahmede-Brücke bekannt. Am 4. Oktober teilte die für den Abriss und Neubau zuständige Autobahn GmbH mit, dass nach Ausschreibung die Firma Heitkamp Umwelttechnik GmbH mit der Sprengung beauftragt wurde. November: Die Autobahn GmbH meldet, sagt die Sprengung ab und verschiebt sie auf das Frühjahr 2023. Im Jahr 2027 soll laut der NRW-Landesregierung der erste Verkehr über die neue Rahmedetal-Autobahnbrücke laufen.