Apotheker im Rhein-Sieg-Kreis müssen wegen der bundesweiten Lieferengpässe häufig passen. Etliche Wirkstoffe für Arzneien fehlen generell.
Wartelisten im Rhein-Sieg-KreisVon Alfter bis Wachtberg – Arzneimittel fehlen quer durch die Bank
Was tun, wenn das dringend benötigte Medikament nicht vorrätig ist? Diese Frage stellt sich bei einem Besuch in einer Apotheke derzeit immer öfter. Es fehlt an allem: Mittel gegen Diabetes, Bluthochdruck, Schmerzen und einfach allem, was Kranke dringend brauchen. Die „Defektliste“, also das Verzeichnis der fehlenden Lagerartikel, wird immer länger. Jede Apotheke führt eine solche Liste, und bei allen Apothekern steht ganz oben das Diabetes-Mittel „Ozempic“, weil es nicht genügend davon gibt.
Bornheim
In der Donatus-Apotheke in Bornheim hat die Defektliste aktuell 159 Positionen. „Es fehlen Medikamente querbeet“, so Apothekeninhaber Christoph Matuschik: Schmerzmittel, Antibiotika, Mittel gegen Bluthochdruck, Asthmamedikamente und Cholesterinsenker. Die Inhaltsstoffe seien einfach nicht verfügbar, also fehlten auch die Generika, so Matuschik: „In der Palliativmedizin fehlen Arzneimittel teilweise seit einem Jahr und häufig gibt es da dann kaum oder gar keine Alternativen.“ Das liege nicht allein daran, dass es wenig Hersteller gäbe, sondern auch daran, dass Patienten aufgrund ihrer Erkrankung bei der Einnahmeform der Medikamente weniger flexibel seien.
Seine Kunden verunsichere es, wenn die ihnen verschriebenen Medikamente nicht verfügbar seien. Das löse gar nicht selten Panik aus. Und trotzdem müssten Apotheken die Patienten auf ihrer Suche nach einem Medikament an die nächste weiterleiten. Besonders Patienten mit chronischen Erkrankungen müssten sich frühzeitig kümmern, Apotheken kontaktieren und dann „Glück haben“, lautet Matuschiks Tipp.
Für „Ozempic“ führt Matuschik inzwischen eine Warteliste. 33 Patienten aus Bornheim und der Umgebung haben ihr Rezept bereits bei ihm eingelöst. Die müssen etwa vier bis fünf Monate warten, denn pro Monat bekommt Matuschik nur wenige Packungen dieses Mittels, das sich besonders bei schwer einstellbarer Diabetes eigne.
„Die Ärzte wissen auch nicht, was verfügbar ist, also schreiben sie den Patienten weiter Medikamente auf, an die die Apotheken gar nicht herankommen“, sagt Matuschik. Also müsse der Apotheker Rücksprache mit den Ärzten halten, damit diese dann Alternativen verschreiben. „Wenn wir den Arzt nicht erreichen, müssen wir den Patienten zurück in die Praxis schicken, damit dieser sich ein anderes Medikament aufschreiben lässt“, bedauert Matuschik: „Die Wege werden länger.“
Swisttal
Ganz ähnlich sieht es in der Frohnhof-Apotheke in Heimerzheim aus. Auch hier warten mehr als 30 Patienten auf „Ozempic“. Wegen des „extremem Engpasses“ beschäftigt das Diabetes-Mittel den Apothekeninhaber Michael Ramon Braun bereits seit zwei Jahren. Immer wieder müsse er Kunden vertrösten. Dass das Mittel so schwer zu bekommen ist, sei „für den Therapieerfolg der Patienten alles andere als förderlich“, so Braun.Wie überall sonst fehlt in der Frohnhof-Apotheke noch mehr: 102 verschiedene Medikamente stehen auf der Defektliste: antibiotische Augentropfen, Mittel gegen Unruhezustände, Pflaster gegen Schwindel. Sobald Arzneimittel verfügbar seien, schlügen die Apotheken sofort zu, weiß Braun: „Wir alle wollen unsere Patienten versorgen.“ Dafür kooperiere er mit anderen Apotheken und frage bei den Kollegen an. „Normalerweise findet man Lösungen“, so Braun.
Seine Kunden hätten Verständnis, denn sie würden die Situation bereits kennen. Frust stelle sich aber trotzdem ein, und nicht nur bei den Patienten. „Die Lieferengpässe schränken uns in der Beratung ein. Wir sind so sehr mit der Beschaffung beschäftigt.“ Das bedeute viel mehr Arbeit, die zudem kaum honoriert werde.
Inzwischen sei das Problem in der Politik und bei den Krankenkassen angekommen, so Braun: „Nur Sparen geht eben nicht.“ Er fragt sich, ob die „Rabattverträge der Kassen wirklich ein Modell der Zukunft“ sind. Rabattverträge bestehen zwischen Krankenkasse und Herstellern. Die Hersteller, die den höchsten Rabatt gewähren, erhalten den Zuschlag und versorgen die Versicherten der jeweiligen Kasse. Nur in Ausnahmefällen dürften Apotheken dann Präparate anderer Unternehmen herausgeben. Braun vermutet, die Hersteller verkauften lieber ins Ausland, wo sie mehr verdienen könnten.
Rheinbach
Was können Apotheken tun, um ihre Kunden trotz der Engpässe zu versorgen? „Wir können andere Stärken empfehlen“, berichtet Stefanie Kurtenbach aus der Stern-Apotheke in Rheinbach, „aber wir dürfen kein Medikament mit anderen Wirkstoffen herausgeben, ohne das mit dem Arzt abzusprechen.“ Die Stern-Apotheke versucht nach Möglichkeit, keine Kunden ohne Medikament wegzuschicken, so Kurtenbach, und suche daher immer zuerst nach einer Alternative. Die einfachste wäre eben, das gleiche Medikament in einer anderen Dosierung herauszugeben und die Einnahme anzupassen.
Die Defektliste der Stern-Apotheke umfasst aktuell fast 200 Medikamente. „Es fehlt viel“, so Kurtenbach, darunter Salbutamol gegen Asthma, Kochsalzlösung, Schmerzmittel und verschiedene Insuline.
Alfter
Dreimal am Tag überprüft Ute Köhn, Inhaberin der Sonnen Apotheke in Alfter, beim Großhandel, ob die 117 Arzneimittel, die auf ihrer Defektliste stehen, vielleicht doch verfügbar geworden sind. Sie nennt die Liste ihren „Bestelltopf“. Darin: Salbutamol in jeder Packungsgröße, Mineralpräparate, antibiotische Augensalben, und natürlich das „Ozempic“. „Alle vier Wochen kommt ein Schwung“, so Köhn: „Dann arbeiten wir die Warteliste nach Datum ab.“ Auf die Warteliste könne sich jeder setzten lassen, nicht nur Stammkunden, betont Köhn. Bereits seit zwei Jahren beobachtet Köhn die Lieferengpässe. Daran, dass sich die Lage zeitnah entspannen könnte, glaubt sie nicht. „Es sind immer andere Präparate, die nicht verfügbar sind, aber es werden nicht weniger.“Ihre Kunden seien bereits sensibilisiert und wüssten über die Engpässe Bescheid. „Einige kümmern sich frühzeitig und warten lieber drei bis vier Wochen auf ihr Wunschpräparat, als in anderen Apotheken nach Restbeständen zu suchen.“ Aber auch, wenn Kunden sich auf die Suche machten, kann die Sonnen Apotheke helfen: „Die Bären Apotheke ist nur ein paar Straßen weiter. Da können wir anrufen und erfragen, was die gerade da haben.“ Außerdem könne sich die Alfterer Filiale mit der in Bonn-Beuel austauschen.
Meckenheim
Jan Ganske ist Inhaber der Löwen-Apotheke in Meckenheim und Pressesprecher des Apothekerverbands Nordrhein für den linksrheinischen Rhein-Sieg-Kreis. Er weiß, gerade kleinen Apotheken fällt es schwer, sich einen Vorrat anzulegen. Sie seien dadurch noch abhängiger vom Großhandel als größere Apotheken. Spontan fallen Ganske rund 500 Medikamente mit Lieferengpässen ein. Auf der Defektliste der Löwen-Apotheke stehen aktuell 207. Darunter Antibiotika, Kochsalz, Mineralpräparate für Nierenkranke, ADHS-Mittel und Asthmasprays.
Die Fehlbestände seien unterschiedlich gravierend, so Ganske. Solange der Wirkstoff verfügbar sei, halte sich das Problem in Grenzen. Es gebe Medikamente, die würden von 30 Firmen hergestellt. „Da ist es egal, ob der Apotheker dem Patienten die grüne oder die rote Packung mitgibt. Es gibt aber auch Medikamente, die werden von drei Firmen hergestellt. Da wird es dann eng. Und es gibt solche ohne Alternative.“
Ganske weist auf den zeitlichen Aufwand für die Arzneimittelbeschaffung hin. „Für die betroffenen Patienten ist das dann therapieverzögernd“, sagt Gankse. „Dramatisch“ sei der Engpass besonders bei „Ozempic“. Ärzte stellten ihre Patienten trotzdem weiterhin auf dieses Medikament ein. Das Medikament sei aber kontingentiert, und Apotheken könnten „nur hoffen, dass es in der nächsten Lieferung vom Großhändler mit dabei ist, um die Warteliste abzuarbeiten.“
Die aktuellen Engpässe hätten verschiedene Ursachen, so Ganske. Gründe seien die Rabattverträge der Kassen, Ausfälle bei einzelnen Firmen und auch Verzögerungen bei der Verschiffung aus Asien. Die Nachfrage steige teilweise zu schnell, um die Produktion rechtzeitig hochzufahren. Insbesondere, wenn es sich um eine Sterilherstellung handele, so wie das bei „Ozempic“ der Fall sei.
Zusätzlich verknappt werde „Ozempic“ dadurch, dass das Mittel oftmals von Promis im Internet als Abnehmspritze gehyped wird. Von Menschen, die gar keine Diabetes haben. „Die Hersteller kommen aufgrund der Nachfrage nicht mit der Produktion hinterher“, so Ganske. Für die Löwen-Apotheke versucht er derzeit, einen Dreimonatsvorrat an Arzneimitteln anzulegen, um über den Winter zu kommen.
Selbst herstellen könnten Apotheker Medikamente nur , wenn eine ärztliche Verordnung dafür vorliege, so Ganske: „Und das geht natürlich nur dann, wenn der Wirkstoff überhaupt verfügbar ist.“ Medikamente selbst herstellen, sei außerdem personalintensiv und teuer. Die Apotheken müssten in Vorkasse gehen und fürchteten, dass die Krankenkassen nicht bezahlen.
Wachtberg
Die Apothekerin Ute Bergenholtz berichtet aus der Forum-Apotheke in Wachtberg von einer Defektliste mit 400 Positionen, die die Apotheke täglich abarbeite. Medikamente bestelle sie nach, sobald sie verfügbar würden. „Das ist ein Hase-und-Igel-Spiel zwischen den Apotheken. Welche kommt zuerst?“, sagt Bergenholtz.
Antibiotikasäfte für Kinder, Cholesterinsenker und Augensalben mit Cortison sind nur einige Beispiele für Arzneimittel mit Lieferengpass. Salbutamol komme als Hilfslieferung aus anderen Ländern nach Deutschland, so Bergenholtz: „Das muss man sich mal vorstellen.“ Patienten rät die Apothekerin, flexibel zu sein, etwa zwei oder auch nur eine halbe Tablette einzunehmen, um auf die verordnete Dosierung zu kommen. Ständige Nachfragen beim Großhandel, ob sich nicht doch noch eine Packung irgendwo im Lager verstecke, seien nervenaufreibend und zeitaufwendig.
Bergenholtz kann nachempfinden, wenn Kunden wegen eines nicht verfügbaren Medikaments mit Unmut reagierten. Sie seien schließlich krank: „Wir geben alles. Manchmal reicht das aber nicht aus, um die Patienten zu versorgen.“