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Wachtberger soll 1989 eine Frau in London erstochen habenSchwurgericht ließ Mordanklage nicht zu

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Eine Statue der Justitia hält eine Waage in ihrer Hand. Foto: David-Wolfgang Ebener/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Eine Statue der Justitia hält eine Waage in ihrer Hand.

Am 24. Mai 1989 wurde in London eine Botschaftsangestellte erstochen, elf Jahre später stirbt eine Frau in Wachtberg durch einen Kopfschuss – beide Taten soll derselbe Mann begangen haben, sagen Polizei und Staatsanwaltschaft.

Falsch, sagt das Bonner Schwurgericht und lehnt die Eröffnung der Hauptverhandlung gegen den Beschuldigten wegen des Delikts in England ab. Frühjahr 1989 in London: Auf der Insel regiert seit einem Jahrzehnt Premierministerin Margaret Thatcher, als ein 23-Jähriger aus Wachtberg dort ankommt. Er hat Probleme mit seiner Familie und ist in die britische Hauptstadt gereist, um dort Fuß zu fassen und Abstand von zu Hause zu bekommen. Er mietet sich in Pensionen ein und streift durch die Straßen der Stadt.

So auch am 24. Mai, einem Mittwoch, der mit 21,3 Grad so warm ist, dass Königin Elizabeth II. im leichten Sommermantel zur Eröffnung einer Lebensmittel-Messe im Hyde Park schreitet. Am selben Abend wird in ihrem Apartment eine Angestellte der Visa-Abteilung der US-Botschaft getötet und beraubt. Der Einbrecher, der durch ein Fenster eingestiegen war, hat ihr mit einem 6 Zoll (15,24 Zentimeter) langen und 1 Zoll (2,54 Zentimeter) breiten Messen mit acht Stichen die Arterie im linken Nackenbereich durchtrennt, dann die Wohnung durchsucht und eine Geldbörse mit Pässen, eine Goldkette mit Anhänger sowie eine Goldbrosche in Libellenform entwendet.

Beamte von Scotland Yard finden Blutspuren im Schlafzimmer und im Bad sowie Fingerabdrücke unter anderem auf einer Zeitschrift, auf einer Glasschale und auf dem Nachttisch. Eine Zeugin sagt aus, sie habe vor dem Wohnhaus der Toten einen Verdächtigen gesehen, der dort eine Zeit lang gesessen habe – dennoch: Der wird nicht gefunden.

Im Jahr 2000 eigene Mutter erschossen

Wachtberg in der Nacht zum 26. März 2000: In Russland ist an diesem Sonntag Wladimir Putin zum Präsidenten gewählt worden, als ein 34-Jähriger in der Wohnung seiner Mutter ein Jagdgewehr nimmt und die Schlafende mit einem einzigen Schuss in den Kopf tötet. Er habe sich den ganzen Tag von der Mutter „telepathisch verfolgt gefühlt“, sagt er. Es ist derselbe Mann, der 1989 nach London aufgebrochen war. Am 30. Oktober 2000, einem Montag, als in Spanien bei einem Bombenanschlag drei Menschen getötet und 60 verletzt werden, verurteilt das Bonner Schwurgericht unter Vorsitz von Richter Udo Buhren den Wachtberger wegen Totschlags und weist ihn wegen Schuldunfähigkeit in die forensische Klinik Düren ein.

17 Jahre später nehmen sich Polizisten in London des Cold-Case-Falls der Botschaftsangehörigen an. Aus den am Tatort gefundenen Blutspuren im Teppich filtern sie die DNA des Wachtbergers heraus und melden ihren Fund der für Düren zuständigen Staatsanwaltschaft Aachen. Die informiert im Juni 2017 auf dem Dienstweg die Klinik, die wegen des Tatverdachts sofort sämtliche Vollzugserleichterungen für den Patienten zurücknimmt. Als der nun 51 Jahre alte Insasse nach dem Grund fragt und von einem Arzt die Antwort hört, soll er gesagt haben: „Ich wundere mich, dass das so lange gedauert hat. Ich weiß, was man mir vorwirft, denn es gibt nur eine Sache, die noch nicht verjährt ist“.

Bonner Staatsanwaltschaft ermittelte im Londoner Fall

Diese Aussage wird später der Staatsanwaltschaft Bonn zugetragen. Sie hat die Ermittlungen in dem Londoner Fall übernommen, weil der Beschuldigte deutscher Staatsbürger ist und vor der Klinikeinweisung in Wachtberg, also im Einzugsbereich der Behörde, gewohnt hat. Das Aktenzeichen 900 JS 1206/17 wird angelegt, und am 17. August 2022, einem Mittwoch, an dem Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Rede in Neuruppin niedergebrüllt wird, erhebt die Staatsanwaltschaft vor dem Schwurgericht Anklage gegen den 56-Jährigen. Der Vorwurf: Mord aus Habgier und Heimtücke. Doch die Kammer unter Vorsitz von Klaus Reinhoff – er war Beisitzer im Prozess im Jahr 2000 - lehnt die Eröffnung der Hauptverhandlung ab. Der Tatverdacht gegen den Angeklagten sei nicht hinreichend nachgewiesen.

Es könne zwar sein, so das Gericht, dass der Mann in dem Apartment gewesen sei, aber der Zeitpunkt sei nicht klar. Möglicherweise sei er in das Schlafzimmer eingedrungen, als die Frau schon tot war, er das aber in der Annahme, sie schlafe, nicht bemerkt habe. Andere, nicht identifizierte Spuren am Tatort, könnten darauf hindeuten, dass eine weitere Person dort war – vielleicht der Mörder? Scotland Yard habe den draußen sitzenden Verdächtigen nicht gefunden, habe auch nicht eruiert, ob die Tötung ein Racheakt aus dem beruflichen Umfeld der Diplomatin gewesen sei. Der damals leitende Ermittler ist inzwischen in Pension und soll nicht bereit sein, mit den deutschen Kollegen über den Fall zu reden.

Die Äußerung des Angeklagten gegenüber dem Klinikarzt? Hat für die Kammer ebenfalls keinen Beweiswert, sie sei vielmehr Ausdruck der Paranoia des Patienten. Der Vorwurf des Mordes sei letztlich nicht begründet, weil nicht klar sei, ob die Frau sich gewehrt habe. Dann liegt Totschlag vor, der im Gegensatz zum Mord, nach 20 Jahren verjährt. Nach 2009 kann der Wachtberger für die Tat in London nicht mehr angeklagt werden, klappte das Schwurgericht die Akte zu und schickte sie an die Staatsanwaltschaft zurück. Die legte zunächst Beschwerde vor dem Oberlandesgericht in Köln ein, zog sie aber dann wieder zurück. Die Nichteröffnung des Verfahrens ist damit rechtskräftig.