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Waffe geliehenTod im Wachtberger Schießkino – wie konnte es dazu kommen?

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Jagen ohne Blutvergießen - in dem besonderen Kino in Villip wird nicht auf der, sondern auf die Leinwand geschossen, die in Wirklichkeit eine acht mal drei Meter große Papierfläche ist, die in der rund 25 Meter langen Halle von einem Beamer.

Jagen ohne Blutvergießen - in dem besonderen Kino in Villip wird nicht auf der, sondern auf die Leinwand geschossen, die in Wirklichkeit eine acht mal drei Meter große Papierfläche ist, die in der rund 25 Meter langen Halle von einem Beamer bespielt wird.

Der mutmaßliche Suizid eines 36-jährigen Mannes in einem sogenannten Schießkino in Wachtberg wirft Fragen auf. Die Anlage ist seit fast 20 Jahren in Betrieb, Zwischenfälle hat es in dieser Zeit nie gegeben.

Es ist Samstagnachmittag, der 16. November, kurz nach 16 Uhr: Mehrere Polizeieinheiten, Rettungswagen und Notarzt eilen zum „Schiesskino“ im Gewerbegebiet Villip. Dort soll ein Mann eine Schussverletzung erlitten haben. Nicht lange danach ist klar: der Mann ist tot. Der 36-jährige Gelsenkirchener hat sich selbst in den Kopf geschossen – mit einer Pistole, die er zuvor von den Betreibern ausgehändigt bekommen hat. Doch hätte er die in seinem Zustand überhaupt bekommen dürfen?

Das „Schiesskino“ ist keine Schießanlage im herkömmlichen Sinne: Auf einer Papierleinwand laufen verschiedene Filme mit sich bewegenden Objekten, zum Beispiel Tieren. Der Schütze zielt auf die vorüberziehenden Objekte, Infrarotkameras werten aus, ob der Schuss ein Treffer gewesen wäre. Geschossen wird mit scharfer Munition aus Pistolen und Gewehren. Ein Waffenschein ist nicht notwendig, jede volljährige Person kann die Halle mieten.

Hätte Schlimmeres passieren können?

Der Selbstmord des 36-Jährigen wirft die Frage auf, ob nicht auch Schlimmeres hätte passieren können. Mit der geliehenen Waffe hätte der Mann auch andere Menschen verletzen können. Paragraf 6 des Waffengesetzes sieht vor, dass psychisch kranke Personen keine Waffe besitzen dürfen. Die Betreiber des „Schiesskino“ lehnen ein Gespräch mit der Redaktion dazu ab.

Die Gemeinde Wachtberg erklärt, sie sei nur für die rein gewerbliche Anmeldung des Betriebs zuständig, die waffenrechtlichen Bestimmungen und Auflagen überwache die Polizeibehörde Bonn. Deren Pressesprecher Michael Beyer erklärt, die Auflagen für den Betrieb einer Schießanlage richteten sich nach dem Waffengesetz und der Allgemeinen Waffenverordnung.

„Der Betreiber muss selbst waffenrechtlich zuverlässig und persönlich geeignet sein“, teilt er mit. Dem Gesetzestext ist zu entnehmen, dass niemand eine Waffe besitzen darf, der mindestens ein Jahr im Gefängnis gesessen hat oder eine gleichwertige Geldstrafe leisten musste. Auszuschließen seien auch Personen, die mit der Waffe leichtfertig umgehen würden – oder eben psychisch krank sind.

Aushändigung von Waffen wird nicht von Behörden beaufsichtigt

„Die letztmalige Kontrolle der Schießanlage fand im Februar 2023 statt, die nächste ist für 2027 vorgesehen. Mängel gab es nur an der Belüftungsanlage, die aber kurzfristig behoben wurden“, sagt Beyer. Die Polizei geht bei dem Vorfall von einem Suizid aus, es sei ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet worden.

Das Aushändigen von Waffen auf dem Schießstand obliege zwar gesetzlichen Regelungen, werde jedoch nicht von Behörden beaufsichtigt. Diese kontrollierte lediglich technische Aspekte. Das Schießen beaufsichtige der Betreiber selbst. „Er entscheidet auch, wer dort schießen darf und ob jemand persönlich geeignet ist“, unterstreicht Beyer.

Doch wie verhindern Schützenvereine, dass die Falschen an ihre Waffen gelangen? Walter Honerbach ist Bezirksbundesmeister im Schützenverband Voreifel. Er gehört der Schützenbruderschaft Rheinbach an. Im „Schiesskino“, sagt er, sei er noch nie gewesen – der Verein habe eine eigene Schießanlage.

Generell gelte: „Wer bei eine Waffe tragen will, muss erst mal ein Jahr lang zu unseren Schießveranstaltungen kommen. Das gibt uns auch die Gelegenheit, jemanden kennenzulernen“, sagt Honerbach. Die Schützenbruderschaft richte regelmäßige Veranstaltungen aus, bei denen auch Neugierige schießen dürften.

Das dient nicht nur der Mitgliedergewinnung, sondern hat auch einen besonderen Grund: „Wer eine Waffenbesitzkarte beantragen möchte, muss neben den ganzen Prüf- und Genehmigungsverfahren auch ein sogenanntes Bedürfnis nachweisen – nämlich, dass er 18 Mal im Jahr, wenigstens aber einmal im Monat beim Schießen war.“

Das Bedürfnis müsse auch erbracht werden, um die erlangte Waffenbesitzkarte behalten zu dürfen. Mit Blick auf den tragischen Verlauf im „Schiesskino“ sagt Honerbach: „Ich kenne die Anlage nicht und war nicht dabei. Aber Fakt ist auch, dass ich niemandem in den Kopf gucken kann. Ganz ausschließen kann man so etwas nicht.“


Beratung und Seelsorge in schwierigen Situationen

Kontakte | Hier wird Ihnen geholfen Wir gestalten unsere Berichterstattung über Suizide und entsprechende Absichten bewusst zurückhaltend und verzichten, wo es möglich ist, auf Details. Falls Sie sich dennoch betroffen fühlen, lesen Sie bitte weiter: Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Wenn Sie sich nicht im Familien- oder Freundeskreis Hilfe suchen können oder möchten – hier finden Sie anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote.

Telefonseelsorge – Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de

Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention – Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de