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Erdbebenangehörige organisieren HilfeWachtbergerin verliert Cousine und Onkel in der Türkei

Lesezeit 6 Minuten
Die Aufnahme von Erdbebenbetroffenen im Schnee hat Esengül Cetinkaya von ihren Verwandten in der Heimat, in Gaziantep, auch kurz Antep genannt, erhalten

Die Aufnahme von Erdbebenbetroffenen im Schnee hat Esengül Cetinkaya von ihren Verwandten in der Heimat, in Gaziantep, auch kurz Antep genannt, erhalten

Menschen im Rhein-Sieg-Kreis haben Angehörige im Erdbebengebiet in der Türkei oder in Syrien. Auch Tote haben sie zu beklagen. Nun organisieren sie von Deutschland aus Hilfe im Krisengebiet.

Familie Cetinkaya aus Wachtberg

„Meine Cousine und mein Onkel sind beim Erdbeben gestorben.“ Ganz sachlich gibt Esengül Cetinkaya aus Wachtberg-Ließem Auskunft über das Unheil, das das Erdbeben in der Türkei auch über ihre Familie gebracht hat: „Meine jüngeren Geschwister sind in Gaziantep auf die Straße gelaufen und haben sich dort in Sicherheit gebracht.“ Ihre Emotionen sind gerade überlagert von dem Drang, in der Heimat helfen zu wollen, die sie mit fünf Jahren verlassen hat, um in Deutschland zu leben.

In Wachtberg kennen sie viele Menschen. Als staatlich zertifizierte Alltagsbegleiterin und Betreuungskraft betreibt sie den „Seniorendienst Wachtberg“. Auch mit Kindergärten und den Eltern der Kinder ist sie in Kontakt, sodass sie sich doch einiges an Hilfe für die Betroffenen in ihrer Heimat verspricht: „Es geht ja auch dort um Kinder und die Alten.“

Im Internet hat sie einen Aufruf für Sachspenden veröffentlicht. „Was hier abgegeben wird, oder was wir hier einsammeln, wird mein Mann dann nach Königswinter bringen“, verspricht sie. Dort haben die Männer, die sich abends im Café Cano in der Bahnhofstraße treffen, bereits einen Transport von Hilfsgütern organisiert, der am Sonntag losfahren soll. „Am Freitagnachmittag will mein Mann dann die Sachen dort rüberbringen.“

Die Aufnahme von Erdbebenbetroffenen, die Trümmer durchsuchen, hat Esengül Cetinkaya von ihren Verwandten in der Heimat, in Gaziantep, auch kurz Antep genannt, erhalten.

Die Aufnahme von Erdbebenbetroffenen, die Trümmer durchsuchen, hat Esengül Cetinkaya von ihren Verwandten in der Heimat, in Gaziantep, auch kurz Antep genannt, erhalten.

Wie die Lage vor Ort ist, weiß sie nur zu gut. Die Verwandten haben ihr Fotos und Videos aus Gaziantep geschickt, das auch schlicht Antep genannt wird. Die sechstgrößte Stadt der Türkei mit ihren etwa 2,1 Millionen Einwohnern ist schwer vom Erdbeben getroffen.

Es fehlt an Lebensmitteln, es gibt kein Wasser. Es ist wirklich eine Katastrophe
Esengül Cetinkaya aus Wachtberg

Auf den Fotos, die sie per Handy erhalten hat, sind Menschen im Schnee zu erkennen, die sich in Decken hüllen, denn der Winter zeigt sich gerade bei Minusgraden von seiner kältesten Seite. Andere Aufnahmen zeigen vergleichsweise verschwindend kleine Menschen vor riesigen Trümmerbergen, die einmal Wohnblocks waren. Häuser knickten zusammen, als wären sie aus Bierdeckeln gebaut gewesen.

Als Erstes hat Cetinkaya versucht, ihren Verwandten Geld zukommen zu lassen. Aber das funktioniert derzeit nicht. Alle Übermittlungsversuche sind zum Scheitern verurteilt: „Wir können derzeit einfach keinen Geldtransfer machen.“ Telefonieren klappt jedoch. Also wird gesammelt, was sich hoffentlich über die Straßen transportieren lässt. „Es werden Sachspenden wie etwa unbenutzte Decken, Kissen, Schlafsäcke und ähnliches benötigt“, sagt die Wachtbergerin.

Hilfsgüter nimmt Esengül Cetinkaya in Ließem, Auf dem Köllenhof 105, an. Sie ist auch unter der Rufnummer (0177) 8 57 09 89 zu erreichen, um abzusprechen, was und wann angeliefert werden kann.

Familienvater Habash in Alfter

Das große Beben hat die Familie Habash in Antep aus dem Schlaf gerissen: Gegen 4 Uhr morgens hätten seine Frau Layla, die drei kleinen Töchter und seine Eltern gespürt, wie das Haus bebte und seien davon wach geworden, berichtet der Familienvater Omar Habash. Der Kurde wohnt zurzeit in einer Flüchtlingsunterkunft in Alfter und hat für ein Jahr Asyl erhalten. Er macht sich Sorgen um seine Familie, die in der Türkei lebt.

Die Kommunikation über Smartphone sei schwierig, da der Empfang schlecht sei, erzählte er. Den Bericht über die Geschehnisse in der Nacht übersetzt Dolmetscher Şahin Kürküt von der Kurdischen Gemeinschaft Rhein-Sieg/Bonn. Omar Habash spricht ausschließlich Kurdisch. „Für meine Familie war das Erdbeben ganz schlimm“, so Habash.

Als meine Familie von den Erschütterungen wach wurde, waren überall Risse zu sehen.
Omar Habash aus Alfter

Da das Haus, in dem sie mit ihren Vermietern wohnten, nicht mehr sicher schien, seien seine Angehörigen ins Freie geflüchtet. Draußen sei die Lage unübersichtlich gewesen. Viele schreiende Menschen liefen durcheinander. Es schneite und die Temperaturen lagen im Minusbereich.

Da die 85- und 77-Jahre alten Eltern krank und die Kinder noch sehr klein seien, habe sich seine Frau mit ihnen in die benachbarte Moschee geflüchtet. Außer den Kleidern am Leib und einigen Sachen für die Kinder konnte die Familie nichts mitnehmen. „In der Moschee saßen sie mit vielen anderen Menschen, die das Erdbeben aus den Häusern gescheucht hatte“, berichtet der Ehemann. Nach einem zweiten, ebenfalls sehr starken Nachbeben am Montagmittag habe die Familie notgedrungen ihren Zufluchtsort, der inzwischen auch Risse bekommen hatte und nicht mehr sicher war, verlassen.

Eine Tochter von Omar Habash schickt ihrem Vater ein Bild von sich und den Menschen, die sich in Antep (Gaziantep) in eine Moschee geflüchtet haben - bis dieses Gebäude ebenfalls Risse bekommt und sich die Flucht fortsetzt.

Eine Tochter von Omar Habash schickt ihrem Vater ein Bild von sich und den Menschen, die sich in Antep (Gaziantep) in eine Moschee geflüchtet haben - bis dieses Gebäude ebenfalls Risse bekommt und sich die Flucht fortsetzt.

Als seine Frau ihn von der Moschee aus anrief, kam Omar Habash eine Idee: „Ich dachte an meine Schwester, die in Suruç wohnt.“ In dem zur Stadtgemeinde von Antep gehörigen Dorf seien die Häuser klein und dadurch sicherer. Genug Platz sei ebenfalls vorhanden, sodass seine Familie dort für einige Zeit unterkommen könnte, dachte sich Habash und riet seiner Frau, zu versuchen, dorthin zu kommen. Mit zwei kranken Senioren, drei kleinen Kindern und angesichts der Zerstörungen durch das Erdbeben war das keine leichte Aufgabe.

Letztlich fand sich eine Mitfahrgelegenheit, wenngleich auch nicht ganz bis ans Ziel, aber zumindest in die richtige Richtung. Den letzten Teil der Strecke legte Familie Habash mit einem Kleinbus des öffentlichen Nahverkehrs zurück. Im Laufe des Dienstagsvormittags erreichten sie Suruç und ihre Verwandten, die sie erst einmal aufnahmen. Für die Strecke von rund 100 Kilometern, die regulär in etwas über einer Stunde zu bewältigen ist, brauchten sie anderthalb Tage.

Familie Habash sei schockiert von den zwei großen Erdbeben, stellte Dolmetscher Şahin Kürküt fest, dessen Schwester auch betroffen ist: „Das hatte niemand erwartete.“ Groß sei die Angst, die Häuser erneut zu betreten, auch wenn sie keine Risse hätten: „So ein großes Beben gab es noch nie.“ Die Kurdische Gemeinschaft Rhein-Sieg-Bonn hat ein Spendenkonto eingerichtet.


Menschen aus dem Rhein-Sieg-Kreis wollen helfen

Im Rhein-Sieg-Kreis gibt es etliche Aufrufe zum Abgeben von Sachspenden für Betroffene der Erdbebenkatastrophe in der Türkei und in Syrien. Zumeist wollen Menschen, die eine Verbindung in die Türkei haben, das Sammeln für bestehende Hilfstransporte unterstützen. Auch Spendenkonten wurden eingerichtet.

In Alfter hat der Verein „Menschenfreude“, der sich unter anderem für Obdachlose in Bonn engagiert, einen ersten Hilfeaufruf unter den Teilnehmern seiner WhatsApp-Gruppe gestartet.

In Rheinbach hat eine Frau aus der Gutenbergstraße 12 dazu aufgerufen, Kissen, Decken, Zelte, Schlafsäcke und ähnliches zu spenden. Sie will dann den Weitertransport nach Köln zum Sammelort übernehmen. Dort im Stadtteil Westhoven formiert sich in der Claudiastraße 2c unter dem Namen „Erdbebenhilfe Köln“ ein Hilfstransport.

Auch der Inhaber von Hanedan Steakhouse am Haus Streng in der Martinstraße sammelt Hilfsgüter, die er Lastwagenfahrern in Koblenz und Köln mit auf den Weg in die Türkei geben will.

Die im vorigen Jahr als Verein zur Hilfe bei internationalen Katastrophen und Krisen gegründete Organisation „Rheinbach hilft“ konzentriert sich indes weiter auf Hilfstransporte in die Ukraine. „Wir fahren an diesem Wochenende wieder nach Charkiw und werden mit unseren drei Lieferwagen und dem Anhänger am Karnevalssonntag zurück sein. Im März können wir erst entscheiden, ob und wie wir in der Türkei helfen können“, sagte der Vorsitzende Alfred Eich. Vor allem sei völlig offen, welcher Transportweg möglich wäre. Wahrscheinlich sei ein Transport von Hilfsgütern per Luftfracht notwendig, so Eich. Damit hat der junge Verein, der mit der Flut an der Ahr seinen Anfang nahm und sich bei der Ukrainehilfe gründete, allerdings noch keine Erfahrung.

In Meckenheim wird Ware umgeschlagen. Der Verein „Meckenheim hilft“ ist zwar intensiv mit Hilfslieferungen in die Ukraine beschäftigt, stellt aber Logistikflächen in Meckenheim für eine Aktion eines kurdischen Vereins zur Verfügung. (mfr)