Zwei Jahre nach der Flut ist Heimerzheim ein Mix aus Ruinen, Provisorien und nur wenigen Schmuckstücken. Die Rundschau traf beim Rundgang mit Ortsvorsteher Hermann Menth zahlreiche Handwerker und zermürbte Hausbesitzer.
Zwei Jahre nach der FlutRuinen und Provisorien prägen das Stadtbild in Heimerzheim
Holzplatten versperren Plünderern und Kindern den Weg durch die geborstenen Glasscheiben der einstigen Gemeindebibliothek. "Die Fenster an der Rückseite sind schon mehrmals aufgebrochen worden", erklärt Ortsvorsteher Hermann Menth. Hier, wo der Stillstand im schleppenden Wiederaufbau am augenfälligsten ist, beginnt er seinen Rundgang mit der Rundschau. Zwei Jahre ist es her, dass die Swist mit braunen Wassermassen in nie gekanntem Ausmaß durch die Häuser floss und zwei Anwohner ertranken. Zwei Jahre in denen vieles geheilt wurde. Aber auch zwei Jahre, in denen viel Gras über Ruinen wuchs.
An der Bachstraße, die beiderseits der Swist so heißt, muss Menth immer wieder stehen bleiben. Scheinbar unbetroffene Häuser haben trotz frischer Farbe oder eines neuen Hoftors eine Flutgeschichte. Manchmal erinnert nur die Wasserstandsplakette in Höhe der Erdgeschossdecke an den 15. Juli 2021. Dann wieder sind Baulücken erst seit kurzem da. „Hier wurde auch ein Haus abgerissen“, sagt Menth und zeigt auf das hohe Gras neben einem Gebäude, dessen Putz bis zum Obergeschoss abgeschlagen ist, und an dem die neuen, großen Kunststofffenster wie ein Fremdkörper in den alten Mauersteinen sitzen. Leben ist nicht zu sehen, ein Container mit Schutt schon überwuchert. Am Fenster hängt immerhin eine Baugenehmigung.
"So weit sind viele Betroffene noch nicht. Einige müssen jetzt noch abreißen", sagt Menth. In einigen Fällen hat es so lange bis zur Einigung mit der Versicherung gedauert, in anderen kam die späte Erkenntnis, dass Mineralöl aus dem Flutwasser das Mauerwerk durchdrungen hat und keine Sanierung möglich ist. „Vielleicht liegt es Wetter. Aber ich habe heute noch gar kein Mineralöl gerochen“, sagt Menth. Die vielen provisorischen Verkehrsschilder in ihren Kunststofffüßen sind indes ein schon vertrautes Bild.
Am Peter-Esser-Platz ist aufgeräumt. Kinder spielen im neuen Sand. Hier war eine der großen Schuttsammelstellen. Das historische Feuerwehrgerätehaus, in dem sich jahrzehntelang die Kleiderkammer der Arbeiterwohlfahrt befand, ist allerdings noch leer. Das Haus auf der anderen Bachseite in der Kurve ist laut Menth erst vor vier Wochen abgerissen worden - auch es war mit Heizöl kontaminiert. Aber schon wird aufgebaut. An der Grundschule vorbei, wo gerade Fenster eingesetzt werden und Container auf die Schüler des nächsten Schuljahres warten, geht es zurück zur Brücke am Pfarrzentrum.
Das Geburtshaus ist modernisiert, aber fremd
Erna von der Stein ist vor 64 Jahren in einem Fachwerkhaus gleich gegenüber dem Pfarrzentrum von St. Kunibert geboren. Eine Flutmarke wird auch dann noch zeigen, dass hier das Wasser bis knapp unter der Erdgeschossdecke stand, wenn das neu ausgemauerten Fachwerk im Hof irgendwann einmal verputzt sein wird. „Das kommt aber ganz zum Schluss“, sagt von der Stein.
Im Innern des alten Hauses ist alles umgekrempelt: Das Bad rausgerissen und die Treppe an anderer Stelle neu gebaut sowie eine alte belgische Industrietreppe aus Eisen als Fluchtweg eingebaut. "Alles ist modern. Aber jetzt fühle ich mich nicht wieder zu Hause", bedauert die Seniorin. Der Kampf mit der Versicherung hat zusätzlich zum Erlebten mürbe gemacht. Die habe mit ihr darüber diskutiert, ob die Treppe vom Grundwasser oder von der Flut faul geworden sei.
Aber keine Wandfarbe kann die Erinnerung an die Nacht übertünschen, das steigende Wasser, das Rauschen und das Dröhnen der Hubschrauber. Zwei Tage musste sie im Obergeschoss ausharren. Nach der Flut hat sie sich im Obergeschoss eine Toilette einbauen lassen.
Den Nachbarn, findet sie, hat es härter getroffen. "Sieben Jahre hatte er gebraucht, um sein Haus zu restaurieren. Als er fertig war, kam die Flut."
Die leeren Häuser der Toten von Heimerzheim
Dann geht es in Fließrichtung den Bach entlang. An zwei Häusern hält Menth inne und berichtet nüchtern vom Tod je eines Bewohners. Zwei Landwirte habe es getroffen. Der eine sei krank gewesen und habe sich in seinem Haus, in der Flut stehend, nicht länger halten können und sei vor den Augen seiner Frau ertrunken. Der andere habe eine Warnung seines Schwiegersohns ausgeschlagen und sich nicht in Sicherheit gebracht.
Maler stehen auf Gerüsten, Handwerker diskutieren. Bei einem Gebäude versperrt ein Gitter den Weg in den Hof, wo allerhand Zeugs liegt. "Die Besitzer wollen verkaufen", hat Menth gehört. Eine Baulücke und ein nicht fertig saniertes Haus schließen sich an.
Auf der anderen Bachseite, Ecke Fronhof, steht ein Gehöft mit neuen Fenstern. "Still ruht der See", diagnostiziert Menth: "Der Besitzer ist während der Sanierung krank geworden."
Wer hinschaut, sie die Auswirkungen der Flut überall. Fast überall. Denn an dem Holzsteg über die Swist hat die Firma, die ihn einst errichtete, ganze Arbeit geleistet. Das Geländer an der swistabwärts gerichteten Seite musste komplett neu gebaut werden. Ein Unterschied ist kaum zu sehen.
Ein weiterer Bungalow wächst wenige Meter weiter zu. "Der gehört einem Senior, der das nun in Eigenregie machen will", merkt Menth an. Es ist immer dasselbe: Eine Einigung mit der Versicherung erzielen, eine Genehmigung bekommen und dann noch einen Handwerker finden, der nicht erst übernächstes Jahr Zeit hat. Jeder einzelne Schritt kostet unendlich viel Zeit und Nerven.
Es gibt aber auch das genaue Gegenteil. Der "Wolga Markt", wie Menth ihn nennt, ein Geschäft für osteuropäische Spezialitäten, sieht aus wie neu errichtet. Menth schwärmt von der Restesuppe "Soljanka", mit "Letscho", Paprika, und vor allem sauren Gurken, die er selbst auch zubereitet. "Das beste Kompliment für mich war, dass meine Soljanka bei Tabea so gut ankam." Tabea ist ein Christliches Hilfswerk in Heimerzheim, das sich sowohl nach der Flut als auch während des russischen Angriffs auf die Ukraine hervorgetan hat und tut.
Auf der anderen Seite der nächsten Brücke steht das Gasthaus "Zur Linde". Menth sagt: „Die waren brutal betroffen. Aber seit Karneval ist wieder geöffnet. Die Besitzer haben eine ganz neue Kegelbahn eingebaut. Es ist jetzt nach der Flut die einzige ein Heimerzheim.“
In der Quellenstraße von Heimerzheim
In der Quellenstraße von Heimerzheim setzt sich das Elend fort. "Dort hieß es zuerst, die Bodenplatte habe sich gehoben", sagt Menth und zeigt auf einen von zwei Wohnblocks. Alles scheint gerade bewohnt, also war die Bodenplatte wohl doch intakt. Ein paar Meter weiter stehen bei einem größeren Haus, in dessen Parterre niemand wohnt, die Fenster auf Kipp. Das deutet darauf hin, dass immer noch Feuchtigkeit aus dem Mauerwerk verdunsten muss.
Richtung Bach stehen hier an der Quellenstraße viele eingeschossige Gebäude. "Es gab teils dramatische Geschichten, weil die Bewohner der Bungalows sich nicht weiter nach oben in Sicherheit bringen konnten."
An der nächsten Straßenecke steht der offizielle Gendenkbaum für die Flut von 2021. "Für mich ist und bleibt der Gedenkbaum vor dem Pfarrzentrum der eigentliche Gedenkbaum. Er wurde dort schon zur Flut in Dresden gepflanzt und wurde 2021 zur Anlaufstelle für alle, die Hilfe suchten." Die Gemeinde habe aber einen neuen Baum aufstellen wollen, "und darum habe ich diesen Platz hier an der Quellenstraße vorgeschlagen, auf einer Wiese, die nach der Flut einen der Schuttberge aufnahm", so Menth.
Vor jedem zweiten Haus stehen Handwerkerfahrzeuge. Hier und da wird gehämmert, gesägt, geflext. „Heute ist es sehr ruhig, finde ich. Aber gestern war die gesamte Straße voll“, sagt der Lokalpolitiker Manfred Lütz, den Menth hier vor seinem Haus trifft. „Es gibt noch viel zu tun“, sagt Lütz. Auch in seiner Nachbarschaft gibt es noch ein Haus, das abgerissen wird. „Der Sohn hat schon eine Baugenehmigung“, weiß er: „Die Familie dort hinten wartet aber noch drauf.“
Und wieweit ist er in seinem Haus? „Wir können schon drin wohnen, aber man wird jeden Tag an die Scheiße erinnert.“ Die Nerven liegen blank: „Am Donnerstag haben Nina und meine Versicherung vor Starkregen gewarnt. Alle haben am Rad gedreht, Lichtschächte mit Planen abgedeckt. Glücklicherweise kam dann nichts.“ Aber es gab dieses Jahr auch schon einen Tag im Mai, an dem Anwohner nochmals etwas Wasser im Keller hatten.
„Ich habe den Verdacht, es könnte am Kanal liegen“, mutmaßt er. Als einer von wenigen hat er noch die alte Rückschlagklappe. Und sie funktioniert. Dann kommt die Sprache auf die „Generalunternehmer“. Ein Thema zum verrückt werden, das viele nach der Flut getroffen hat, die glaubten, dass ihnen ein Fachmann mit einer einzigen Unterschrift alles wieder reparieren würde.
Gerade an der Quellenstraße gab es wohl mehrere Hausbesitzer, die sich auf jemanden einließen, der - wie ihre Recherchen später ergaben - vorher nur gelegentlich Bäder sanierte, plötzlich aber Generalsanierungen über alle Gewerke anbot. „Er hat die Gelder abgegriffen und dann nach viel Murks nicht zu Ende gearbeitet“, sagt Klaus Röltgen. Den meisten Ärger hat er schon heruntergeschluckt.
Der 78-Jährige wässert gerade den neu gestalteten Garten, als Menth die Runde dreht. Seit Ostern ist er wieder zurück im Haus, und abgesehen von den nur noch rudimentär vorhandenen Fensterbänken sieht die Straßenseite seines Bungalows wie geleckt aus. Vieles ist aber seit der Flut nur Fassade, auch seine Fassung. „Inzwischen kann ich aber darüber sprechen, ohne dass mir die Tränen kommen“, sagt Röltgen. Und er berichtet von der Flut, wie sie gegen Mitternacht noch gedacht hätten, das bisschen Wasser im Keller würden sie alleine aufwischen. „Um 1.30 Uhr ist der Trafo mit einem Knall und einer Stichflamme ausgefallen. Es gab eine meterhohe Flutwelle.“ Das Wasser stieg bis zu 1,60 Meter im Raum, obwohl der Fußboden etwas höher liegt als der von Nachbarhäusern.
„Ein Rettungsboot ist da hinten an der Laterne gekentert. Die beiden von der DLRG standen nachher in meinem Garten auf einem Busch, den sie nicht sehen, aber spüren konnten, zumal er komplett unter Wasser war. Ein Nachbar ist durch die Strömung auf der Straße bis ins Gebüsch am Spielplatz mitgerissen worden. Überall hat es nach Öl gerochen, dabei haben wir schon seit mindestens 15 Jahren keins mehr im Haus.“
Röltgen machte sich schon Gedanken, wie er seine Frau durchs Fenster aufs Dach schieben könnte, zumal die Leiter im schon gefluteten Keller lag, doch dann sei die Flut nicht weiter gestiegen. „Jetzt habe ich eine Faltleiter in der Wohnung“, sagt Röltgen. Vom Wohnzimmerschrank, den sein Großonkel einst anfertigte, hat sich der Senior nur eine Vertäfelung mit Schnitzerei bewahren können. „Das Holz war verleimt und ist aufgequollen“, bedauert er.
Was die Kosten anbelangt, hat Röltgen wohl ein Riesenglück gehabt. „Ich habe keine Endsumme. Aber das Gebäude inklusive Trocknen hat 400.000 Euro gekostet. Mein Eigenanteil betrug 30.000 Euro.“ Über seine Versicherung könne er sich nicht beklagen.
Am Ende der Straße steht der Kindergarten. Wie die Flut ihn zurückließ. Ein Bauzaun verwehrt den Zutritt. Eltern sorgten mit dafür, dass schnell ein Ausweichquartier entstand. Sicheren Schrittes überquert Menth die Behelfsbrücke zu den Wiesen auf der anderen Seite der Swist und dankt dabei dem Technischen Hilfswerk, das sie eingebaut hat. Der Rückweg ins Zentrum führt an neuen Mauern vorbei und dem schon bekannten Mix an Demoliertem und Sanierten.
Im Zentrum von Heimerzheim
Am Kreisel in der Kölner Straße regt sich Menth noch mehr über "den Schandfleck" auf, den ein Bankgebäude mit geborstenen Scheiben und Bauzaun drumherum darstellt als über die kurzen Öffnungszeiten des beliebten Eiscafés gegenüber. "Die Bank muss sich mit dem Investor abstimmen, der ihr zu dieser Immobilie verholfen hat", erklärt Menth. Im Nachhinein war es wohl kein gutes Geschäft. "In diesem Jahr auf jeden Fall", sagt Menth, solle sich am Haus etwas tun, habe die Bank ihm gesagt, Das Konkurrenzinstitut ein paar Meter weiter hat die Gunst der Stunde genutzt und ist in ein ehemaliges Schreibwarengeschäft eingezogen, das viel schneller herzurichten war.
Menth weiß auch schon davon, dass sich bald im alten Lokal "Frings" etwas tun wird: "Etwas mit internationaler Küche, würde ich sagen."
Auf der anderen Straßenseite hat eine der beiden Apotheken aufgegeben. Die dritte, die seit der Flut ihre Dienste in einem Container anbietet, will noch kurz vor dem Jahrestag in den historischen Fronhof zurückziehen. Drinnen ist (wie berichtet) ein Betrieb mit vollautomatischer Lagerhaltung eingerichtet. Ist der Container einmal abgebaut, kann Menths Frau den dortigen Bücherschrank wieder von beiden Seiten bestücken.
Die Kirchstraße hat sich ebenfalls gewandelt. Vom alten "VeGe"-Geschäft an der Ecke ist nichts mehr zu erkennen. Dort, wo sich eine Boutique befand, werden seniorengerechte Wohnungen gebaut. Wo die Pizzeria war, die zum Fronhof umgezogen ist, kleben Arbeiter gerade eine neue Bodenplatte ab.
Warum das alte Küsterhaus gegenüber der Kirche noch so leer ist, kann sich Menth nur mit der Langsamkeit von Entscheidungen auf Bistumsebene erklären. "Da weiß keiner, wann sich was abspielt. Es hätte längst die Bibliothek dort eingezogen sein können", findet er. Ein paar Meter ist rege Bautätigkeit, wo sich Automotive Hengsberg befand. "Die sind nun im Gewerbegebiet, und hier entsteht Platz für drei neue Mieter.
Hinter der Kirche will Menth auf den Platz einbiegen, auf dem - wie jeden Tag - Essen ausgegeben wird. Aber der Anlass für seine große Empörung liegt auf dem Boden, und er wäre fast hineingetreten. "Das muss ja wirklich nicht sein", findet er.
Am Container neben dem ramponierten Pfarrzentrum geben an diesem Donnerstagmittag Isabelle und Tanja Spaghetti mit Rote Bete aus. Es sind nicht mehr die schlammverkrusteten Freiwilligen, wie kurz nach der braunen Flut, sondern ein Dutzend Hausbesitzer, die den Mut nicht verloren haben, und hier sogar ab und an einen Handwerker finden, der im Dauerprovisorium mal etwas wieder zum Funktionieren bringt. Etwa Werner Kreuzberg. "Er ist schlicht das Faktotum. Er hat auch hier die Wasserleitung gelegt".
Dem Eisenbahner und gelernten Elektriker sind auch Johannes (66) Eleonore (62) Weidenbrück dankbar, die mit ihrer Tochter in einem gebraucht gekauften Tiny House ausharren, dass "der ganze Murks in unserem Haus" endlich beseitigt wird. "Wie weit seid ihr", fragt Menth, und Eleonore Weidenbrück erwiedert: "In der Anfangsphase." Die wievielte, will Menth noch wissen. Doch gerade ist die Stimmung gut: "Wir sind so froh, dass wir Kai Imsande kennengelernt haben", sagt Weidenbrück. Der Odendorfer vom Fluthilfebüro hat wohl entscheidend geholfen, die Sanierung wieder auf eine zielführende Bahn zu bringen. Hilfe gab es von vielen Seiten. "Wir danken ganz besonders der Firma Bäuml, die uns unentgeltlich das Tiny House angeliefert und mit einem Kran in den Garten gestellt haben." Allerdings musste auch da Klaus Kreuzberg eingreifen, weil das Übergangsheim nach drei Wochen Planung immer noch kein Wasser und keinen Strom hatte. "Das war in zwei Tagen dann erledigt", sagte Kreuzberg trocken.