22 Monate nach der Flut ist das Notquartier für die Betroffenen in Swisttal fertig. Die Familie Cramer, die ihr altes Haus am Orbach noch abreißen muss, ist eingezogen - mit allen Vor- und Nachteilen.
Nach 22 MonatenSwisttaler Flutopfer sind endlich im Tiny House angekommen
Zum wohlverdienten Feierabend setzt sich der Bauarbeiter Ludwig Profittlich-Cramer (58) an den Esstisch, Ehefrau Kirsten (51) macht es sich auf dem Sofa bequem. Das neue Leben im „Tiny House“ ist ein Genuss nach 22 Monaten im Wohnwagen und mit der Großfamilie im einstigen Kuhstall der Eltern – immer das kleine gelbe Haus am Orbach vor Augen, in das die beiden und ihr Sohn (12) seit der Flut nicht mehr zurückkehren können. Der Abriss steht noch aus, die Auseinandersetzung mit der Versicherung ebenfalls.
Es duftet nach Kaffee. „Das habe ich bei der Lehre im Forsthaus gelernt: Kaffeemehl hilft gegen die Kopfschmerzen durch Ausdünstungen von frischem Holz“, sagt Kirsten Cramer. Die zwei Wochen, in denen sich die Familie bis zum Besuch der Rundschau in dem Notquartier aus Spenden der Initiative „Deutschland hilft“ eingelebt hat, gaben Gelegenheit, sich zu arrangieren und ein wenig vom tief sitzenden Groll gegen die Swisttaler Verwaltung zu verdauen.
Der Einzug hatte sich immer wieder verzögert. „Erst hieß es ‚Weihnachten‘, aber kurz vor Ostern fehlten immer noch Boiler und Lüftungsanlage.“ Die Johanniter, die den Tiny-House-Wohnplatz der Gemeinde betreuen, leisten Großes. Und das begann nicht erst mit der Auswahl des Hauses.
Eigentlich sollten alle rollenden Wohneinheiten vom selben Typ sein, doch als Profittlich-Cramer beim ersten Besuch im Modell „Porto“ die Möbelstufen zum Hochbett im halbhohen Dachraum erklimmen sollte, streikte er: „Wie soll ich mich mit meinen Rückenproblemen da morgens rausquälen und hinstellen?“ Und größer als der Wohnwagen bei seinen Schwiegereltern war dieses Tiny House auch nicht.
Für die Cramers stand fest: „Einen Rückschritt machen wir nicht.“ Die Johanniter orderten darum zwei größere Modelle von JB Homes namens „Moon Light“, von denen nun eines das temporäre Zuhause der Cramers ist. 13,33 Meter lang, 4,26 Meter breit ist der in Polen gebaute Wohncontainer.
Entsprechend groß war die Freude: „Wir haben jetzt ein großes Dach über dem Kopf und der Sohnemann eine eigene Tür: Eine richtige, die er zumachen kann“, freut sich der Vater, der sich mit seiner Frau das teilt, was der Hersteller als Jugendzimmer eingerichtet hat. Einen Fernseher soll der Junge auch noch bekommen. Nur den dreiteiligen Kleiderschrank muss er mit den Eltern teilen. Sobald der Container ins Lot gerückt sein wird, werden sicher auch die Türen nicht mehr von alleine aufgehen.
Das Leben spielt sich nun in der mehr als 45 Quadratmeter großen Wohnküche ab. „Bei uns haben sich schon immer alle Besucher gleich in der Küche eingefunden“, findet die Hausherrin, die jetzt auch Feierabend hat und ihr „Homeoffice“ auf einem Holzcontainer mit Rollen beiseite schiebt – gleich hinter einen Stapel verschiedener Müllbehälter, die noch keinen richtigen Bestimmungsort haben.
„Eigentlich sollte es hier auf dem Gelände einen Müllcontainer geben, aber die Johanniter haben ihn auch nicht gefunden“, sagt Profittlich-Cramer, der die Tonnen nun immer ans alte Haus zur Abfuhr bringt: „Aber ich muss eh nach der Post schauen.“ Die Familie wird trotz der neuen Adresse „Gewerbepark Odendorf 28/4“ ihre alte am Orbach behalten. „Wenn wir uns ummelden, wird es nur komplizierter mit der Versicherung für das Haus.“ Auf dem alten Wohnhaus muss vor dem Abriss noch die Stromleitung abgeklemmt werden.
Eine Betontreppe mit fünf Stufen führt zum Eingang des nagelneuen Übergangsheims. Dies habe allerdings den Einzug einer betagten Nachbarin verhindert. Die 76 Jahre alte Frau sei auf einen Rollator angewiesen. Eine weitere Panne habe es bei der Belegung gegeben: Mutter und Sohn sollten sich im Tiny House ein Bett teilen. Sie waren als Ehepaar gelistet.
Bei Cramers stellt sich indes ein neuer Alltag ein. Drei eigene Möbelstücke sind mit eingezogen: ein Badezimmerregal, das im Obergeschoss des alten Hauses die Flut überlebte, und zwei neu gekaufte Unterschränke. Tisch und Stühle gab es bei der Schlüsselübergabe Ende April noch nicht. Dabei hatten im Musterhaus Hocker gestanden. „Der Info-Point hier im Ort hat welche besorgt, und die Johanniter haben uns wahnsinnig unterstützt“, berichtet Cramer.
Das bodentiefe Badezimmer sieht chic aus, hat aber Klarglas. „Weil das optionale Jalousiensystem nicht mitbestellt worden ist“, sagt der Hausherr. Ganz blank war auch die gläserne Front, an der sich Neugierige schon oft die Nase platt gedrückt haben. „Das Erste, was wir deshalb besorgt haben, waren Gardinen.“
Weil das Display der Wärmepumpe jeden Tag 25 Grad anzeigt, muss noch ein Techniker kommen. Zahlen müssen die Flutopfer die Nebenkosten: 430 Euro, aber die übernimmt die Versicherung. „Die Waschmaschine ist am ersten Tag ausgebaut worden, sonst wären die Gemeinschaftskosten auf unsere Rechnung gegangen“, sagt Cramer. Sie freut sich, dass sie nicht mehr über den Hof zur Toilette muss und die Abstimmung beim Kochen zu dritt deutlich einfacher ist als mit neun Personen. Eine Weile wird die Familie wohl hier leben. Vielleicht bis Weihnachten 2024.