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Von Dilledopp bis PlümoSprachprojekt in Swisttal befasst sich mit Sprache von der Ahr bis Köln

Lesezeit 7 Minuten
Halbzeit im „Huus für os Heematsprooch“ mit Hanna Zimmermann (l.) und Lena Felden.

Halbzeit im „Huus für os Heematsprooch“ mit Hanna Zimmermann (l.) und Lena Felden.

„Huus für os Heematsproch“: Zwei Sprachwissenschaftlerinnen konservieren in Swisttal-Ollheim die Sprache der Menschen zwischen Ahr und Köln.

Der „Dilledopp“ ist ein Peitschenkreisel, und ein „Plümo“? Ist das denn kein Deutsch? Hanna Zimmermann und Lisa Felden müssen wegen des daunengefüllten Bettzeugs, das nicht einfach eine Zudecke ist und auch kein simples Kissen, doch selbst mal überlegen. Vor allem zeichnen sie Erzählungen im Platt der linksrheinischen Rhein-Sieg-Kommunen auf und konservieren es fürs Museum: das „Huus för os Heematsproch“. Dazu sind die beiden Sprachwissenschaftlerinnen bei dem Verein „Lück für os Heematsproch“ in Ollheim angestellt und werden vom Landschaftsverband Rheinland finanziert. Ende August ist Halbzeit.

Dann ist das erste Jahr vorbei. Knapp 40 Interviews haben die beiden schon geführt und abgespeichert – im mp3-Format, so dass sie selbst mit einem Handy abzuspielen wären. „Das genügt jetzt vielleicht nicht, um die Texte auf verschiedene A-Laute hin zu untersuchen, aber das reicht auf jeden Fall fürs Zuhören“, findet Felden.

Auf der Internetseite des Vereins sind nur ein paar kurze Auszüge aus den oft mehr als einstündigen Unterhaltungen zu hören, weil es noch an einem ausreichend großen Server mangelt. Später soll es eine Online-Bibliothek mit all den Erzählungen geben und eine Hörstation sowie eine Leseecke voller Heimatliteratur im Museum.

Doch noch ist der dafür vorgesehene Bereich im „Huus för os Heematsproch“, das ihr Büro, Plauderecke und Stammquartier zugleich ist und sich unterhalb einer Mietwohnung in der Alten Schule von Ollheim in der Kanalstraße 1 befindet, leer. Aber es ist ja noch ein gutes Jahr Zeit. Viel Zeit auf jeden Fall, um mit den Menschen, die hier leben, über einen „Köpper“ zu sprechen oder die „Fendel“ am Maibaum.

„Um die Erhebungen auszubauen und einen Fundus an Gesprächen zu schaffen“, wie Zimmermann das nennt. Ihr liegt eher der geschichtliche und archivarische Teil, ihrer Kollegin das Kreative. Hanna Zimmermann, 29 Jahre alt, stammt übrigens aus dem Stadtgebiet von Bad Münstereifel und Lisa Felden, 25 Jahre alt, aus Hürtgenwald. Felden: „Unsere Besucher könne ganz unbefangen Platt sprechen, weil wir das verstehen und nicht mit Nachfragen unterbrechen müssen. Wir sind als Mitglieder einer Generation, die Hochdeutsch sprechen sollte, wegen des Umfeldes doch irgendwie zweisprachig aufgewachsen.“

Sie nennen es „Ripuarisch“

Platt ist ein Name für diese Sprache. Doch, damit das niemand mit dem Niederdeutschen verwechselt, das Richtung Küste gesprochen wird, nennen sie es „Ripuarisch“, also bezogen auf ein Volk, das schon zur Römerzeit zwischen Ahr und Köln angesiedelt worden war. Ein Masterabschluss war Voraussetzung für die Einstellung der beiden Sprachwissenschaftlerinnen. Felden hat in Münster Deutsch auf Lehramt studiert sowie freie Kunst. Seit März ist sie fertig. Ihre Kollegin muss formal noch ihre Masterarbeit abgeben. Sie hatte bereits im Studium den Dialekt im Fokus.

Das digitale Aufzeichnungsgerät ist ihr Handwerkszeug, und es lässt sich zu den Leuten mitnehmen. Denn anders als sie sich das zunächst dachten, kommen die Menschen nicht so gerne nach Ollheim ins Büro, sondern laden die Interviewerinnen zu sich ein. In der vertrauten Umgebung ist es dann doch einfacher, über die Heimat zu plaudern. Kleine Rückfälle ins Hochdeutsche lassen sich nicht vermeiden, aber überbrücken. „Dass wir kein Platt sprechen, reißt sie raus“, räumt Felden ein.

Die Interviewpartner seien jedoch sehr verschieden – der eine karg, „der andere gar nicht mehr zu bremsen und kommt dann vom Hölzchen aufs Stöckchen“. Geplaudert wird dann über Brauchtum, etwa im Mai oder zu Ostern, über Weihnachtslieder und die Familienfeste. Religiöse Themen gibt es so nicht. „Eigentlich geht es auch, wenn über kirchliche Feste gesprochen wird, hauptsächlich über das Familienereignis. Wer dann alles zusammenkommt, über die gute Stube, die Kleider ...“, erklärt Felden.

Sie weiß nun, wo nur noch vom Klappern in der Fastenzeit erzählt wird, und wo der lautstarke Ersatz der zum Schweigen verpflichteten Kirchenglocken noch praktiziert wird. Die beiden Sprachwissenschaftlerinnen sind sich einig: Eine Alltagssprache wird das Platt nicht mehr, aber als immaterielles Kulturerbe können wir es konservieren, etwa das Martinslied aus Buschhoven, wenn dort Süßigkeiten gesammelt werden. Zugezogene kennen meist nur den Re-Import Halloween, der doch denselben Ursprung hat.

Unterschiede der Generationen

„Wir stellen deutliche Unterschiede zwischen den Menschen um die 60 Jahre oder denen um die 80 Jahre fest“, sagt Felden. Die Alten kennen noch das Sammeln von Süßem an Karneval. Bei ihnen sind auch regional kleinteiliger verschiedene Begriffe für Dinge zu erfahren, die jüngere Menschen im Rheinland gleich benennen. Ein fester Bestandteil jeder Dorftradition sind Kinderspiele. Und auch da sprechen die Generationen eine unterschiedliche Sprache. Für die 40- bis 60-Jährigen sind alle Murmeln „Kniggele“, die Alten verwenden den Begriff nur für Tonkugeln. Die moderneren aus Glas nennen sie „Marbele“, obwohl das Wort für Kugeln aus Stein steht. Und Essen ist ein beliebtes Thema: Dann heißen Stachelbeeren „Knüschele“ oder „Krünkele“. Zwei Kilometer Distanz zwischen Dörfern können den Unterschied machen und die Verständigung erschweren.

Und wo liegen nun die Eigenheiten der hiesigen Sprache? „Im Vorgebirge wird das ,R' gerollt; es gibt eine deutliche Abgrenzung zur Eifel und dem Aachener Dialekt“, findet Felden. Und wenn es drum geht, dann sprechen die Menschen eher Bönnsch statt Kölsch, sagen „Schluppe“ statt „Schluffe“ zu den Pantoffeln. Wer weiß noch, was ein „Schoof“ ist (also kein Schaaf, sondern wirklich wie der Buchstabe O gesprochen)? Das ist ein Brett auf zwei Stühlen, auf dem ein Toter zu Hause aufgebahrt wurde, hat Lisa Felden gelernt. Manchmal geht es bloß um Tonfarben, um Tisch und Fisch, „Kachte“ und „Spocht“ statt Karten und Sport, um „Knöllchen“ (den Strafzettel) und „Pitschen“ (Kneifen), was ja jeder Rheinländer kennt, manchmal auch um den innen kletschigen (weichen) Kuchen oder die Bütt, wenn tatsächlich die Zinkwanne aus der früheren Waschküsche gemeint ist.

Bei den Gesprächen arbeiten Hanna Zimmermann und Lisa Felden ihren Fragenkatalog ab. Den haben sie schon ein paarmal angepasst, weil sie gemerkt haben, was interessiert, und was nicht. So sollen die Leute auch bewerten, ob sie es denn gut oder schlecht finden, Platt zu sprechen, und da zeigt sich dann - wieder generationstypisch – wem eingetrichtert wurde, dass Platt nicht fein ist. Eher nebenbei erfassen sie alte Haus- und Hofnamen sowie die Rufnamen, die oft stärker als Familiennamen waren.

Audiothek im Aufbau

Wer zur Audiothek beitragen und sich interviewen lassen möchte, muss kein bestimmtes Alter haben oder etwa dem Verein angehören, wie schonmal jemand vermutete, sondern einfach Interesse am hiesige Brauchtum haben. Nicht mal Platt sprechen ist Pflicht, wenn Kenntnisse über das Brauchtum da sind. „Die bisherigen Gesprächspartner waren im Schnitt 50 bis 70 Jahre alt, es war aber auch schon die Enkelin mit einem Großelternteil von mehr als 90 Jahren dabei“, berichtet Felden. Die Namen werden in der Veröffentlichung grundsätzlich anonymisiert.

Das Einzugsgebiet sind alle Orte im linksrheinischen Rhein-Sieg-Kreis. Der im Februar 2022 gegründete Verein, für den Zimmermann und Felden arbeiten, hat übrigens inzwischen mehr als 60 Mitglieder. Die Veranstaltungen bieten die Möglichkeit, Gesprächspartner zu finden. Bei der Grundschule Swisttal gibt es Interesse an einer Zusammenarbeit. „Wir wollen auch an Tanzgruppen herantreten. Die Dörfer sind gut organisiert und haben ein starkes Vereinsleben“, sagt Zimmermann.

Wenn das Projekt nach dem zweiten Jahr Ende August 2025 ausläuft, soll eine Anschlussförderung mit neuer Prägung gefunden werden. Vielleicht gibt es also eine Verlängerung. Auch für den Fall, dass das nicht klappt, bilden Zimmermann und Felden Vereinsmitglieder in Wokshops dazu aus, ihre Arbeit fortzuführen. Dazu gehört zum Beispiel Wissen darüber, was veröffentlicht werden soll oder nicht.

Denn bei den Gesprächen kann es sehr schnell persönlich werden, etwa wenn die Flut 2021 zum Thema wird oder der Krieg. Felden: „Jeder hat das Recht, nachträglich noch zu sagen: ‚Lassen Sie das bitte weg!‘ Das hat aber noch niemand getan.“ Sie findet: „So etwas passt ja auch nicht zwischen Karneval und Paias.“ Zimmermann: „Wir wollen natürlich drüber reden, aber es ist nicht lustig.“

Terminvereinbarungen für ein Interview sind am einfachsten per Mail zu erreichen, an lueck@huus-fuer-os-heematsproch.de, aber unter Ruf (0 22 55) 95 26 51, jedoch hauptsächlich nur zu den Öffnungszeiten mittwochs und donnerstags von 10 bis 14 Uhr. www.huus-fuer-os-heematsproch.de


Der Verein „Lück für os Heematsproch“ veranstaltet am Mittwoch, 7.August, ab 18.30 Uhr in Swisttal-Ollheim im „Huus für os Heematsproch“, Kanalstraße 1, seinen ersten Stammtisch. Das Motto: „Schwade+Klaafe+Bubbele+Verzälle“. Die Veranstaltung soll eine Möglichkeit bieten, die rheinische, plattdeutsche Sprache zu pflegen und in einer lockeren Atmosphäre bei kühle Getränken Freunde zu treffen und Spaß zu haben. Teilnehmern kann jeder mit Spaß an der Heimatsprache. „Bringt viele Freunde und Bekannte mit, und lasst uns einen schönen Abend mit unserer Heimatsprache verbringen“, sagte der Vorsitzende des Vereins „Lück für os Heematsproch“, Wilfried Hein.