Ein künstlerisch gestaltetes Mahnmal erinnert an die deutsche Teilung, die sich am 13. August wieder jährt.
MahnmalWarum ein Stück Berliner Mauer mitten in Bonn steht
Anhand von Objekten lässt sich Geschichte erzählen. Das tun vor allem Museen. Aber es gibt auch immer wieder profane Dinge, die nicht unbedingt aus einem Museum stammen müssen, um Signale aus der Vergangenheit zu senden. So wie ein Stück der Berliner Mauer in Bonn.
Am 13. August jährt sich wieder der Tag, an dem 1961 die Mauer in Berlin errichtet wurde, die bis 1989 den westlichen, demokratischen Teil der Stadt vom östlichen, kommunistischen Teil trennte. Nach dem Ende der DDR wurde der Trennwall nicht komplett vernichtet, Fragmente des einst 3,40 bis 4,20 Meter hohen und 156 Kilometer langen Betonbauwerks sind in Dutzenden von Ländern zu finden, auch in Australien, Brasilien, Japan, Katar, Mexiko, Russland, Singapur, Südafrika und in den Vereinigten Staaten.
360 Mauersegmente konnten erworben werden
Viele Bruchstücke wurden verschenkt, man konnte sie aber auch kaufen. Im Januar 1990 erteilte das damals noch existierende Ministerium für Außenhandel der DDR einer Import-Export-Firma einen Lizenzvertrag zum Verkauf von 360 Mauersegmenten – die 1,20 Meter breiten Stücke erzielten zwischen 60.000 und 200.000 US-Dollar. Selbst mit Betonbröckchen ließ sich Geld machen: Verpackt in Plastikröhrchen, die auf Postkarten klebten, fanden sie reißenden Absatz.
Ein Landwirt in Mecklenburg soll 1990 von Grenztruppen Mauerteile gekauft und daraus ein Futtersilo gebaut haben; erst Jahre später wurde bemerkt, welchen Wert die Silowände haben. Also wurden sie demontiert, mit Graffiti versehen und als Originalmauerstücke in den Handel gebracht.
Der Berliner Senat bewahrte 30 kleinere Steine auf, um sie Staatsgästen zu überreichen. Die Tourismuswerber der Hauptstadt nennen auf ihrer Internetseite „Visit Berlin“ elf Orte, an denen Besucher Teilstücke der Mauer sehen und fühlen können, in der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße zum Beispiel oder in der berühmten East-Side-Gallery in Friedrichshain.
Mauerteil vor dem Funkhaus der Deutschen Welle
Aber auch in Bonn, beim Fall der Mauer noch Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, wird an den sogenannten „antifaschistischen Schutzwall“ erinnert: Ein Stück Mauer, so breit wie eine normale Zimmertür, befindet sich auf der Kurt-Schumacher-Straße in einer Senke vor dem Funkhaus der Deutschen Welle.
Gestiftet haben es 2009 die Gastronomen Friedel Drautzberg und Harald Grunert, die in Berlin mit ihrem Lokal „Ständige Vertretung des Rheinlands in Berlin“ (StäV) eine Kölsch- und Flönz-selige Gastwirtschaft gegründet und damit einen In-Treffpunkt nicht nur für Rheinländer aufgemacht haben. Der Künstler Ben Wagin (1930–2021) hat im Auftrag der Stifter das 3,8 Tonnen schwere und 3,60 Meter große Teil gestaltet. Er hat 1990 in Berlin auf dem ehemaligen Grenzstreifen ein Mahnmal aufgebaut, das „Parlament der Bäume“, eine Installation aus Mauersegmenten, Bäumen, Bildern, Texten und Sachzeugnissen der einstigen Grenzanlagen. Daran orientiert sich das Denkmal vor dem Hauptsitz des deutschen Auslandssenders.
Wagin hat das Mauer-Bruchstück mit Ketten versehen und mit schwarzer Schrift beschrieben: „Wende Mauer Endet“ steht auf der einen, „Todes Mauer Krieg“ auf der anderen Seite, jeweils dreimal untereinander in anderer Reihung. In den Boden ist eine Platte eingelassen mit den Jahreszahlen der Mauer und dem viersprachigen Eintrag „Botschaft aus dem Parlament der Europa-Bäume – Gegen Krieg + Gewalt Berlin 1989 – Bonn 2009“; dazu der Name des Künstlers. Diese Wagin-Mauer ist also kein authentisches Relikt des Kalten Krieges, sondern ein künstlerisch gestaltetes: Das sei „Kunst, politische Kunst, die die Aggressivität der Mauer symbolisiert“, betonte Friedel Drautzberg bei der Übergabe der Dauerleihgabe an den damaligen Intendanten der Deutschen Welle, Erik Bettermann.
Übergabedatum hat symbolische Bedeutung
Der kleine Akt am 21. Dezember 2009 hatte durchaus symbolische Bedeutung, denn genau 20 Jahre zuvor hob der damalige Verteidigungsminister der DDR, Theodor Hoffmann, in seinem Befehl 101/89 für die DDR-Grenztruppen den Schießbefehl auf, den es offiziell nie gegeben hatte. Die Anwendung der Schusswaffe sei nur noch zur Abwehr von Angriffen auf das Leben der Grenzsoldaten oder anderer Bürger anzuwenden, hieß es. Nach einer Statistik der Bundesregierung verloren in Berlin 139 Menschen ihr Leben, als sie versuchten, die Mauer zu überqueren. An der innerdeutschen Grenze starben bei Fluchtversuchen 327 Männer, Frauen und Kinder.
1997 zogen Drautzberg und Grunert vom Rhein an die Spree, nachdem sie engagiert für Bonn als Bundeshauptstadt gekämpft hatten. Drautzberg, geboren 1938 in Wittlich an der Mosel, gelernter Jurist, Sozialdemokrat, machte 1969 an der Seite von Günter Grass Wahlkampf für Willy Brandt und wurde so zur Romanfigur in Grass' „Tagebuch einer Schnecke“. 1970 fand Drautzberg sein wahres Metier – als Wirt: Er eröffnete die legendäre „Schumann-Klause“; zwölf weitere Lokale folgten, unter anderem die „Elsässer Weinstuben“, in denen Ex-„Tagesthemen“-Moderator Ulrich Wickert gekellnert hatte, und zuletzt das „Amadeus“ im Musikerviertel.
Zwei Wirte sind Zeugen der Hauptstadtgeschichte
Harald Grunert, geboren 1949 in Rösrath, war Sozialarbeiter und kam 1980 als Kellner zu Drautzberg. 1982 übernahm er seine erste eigene Kneipe, das „Kontiki“, und 1985 das weit über Bonn hinaus bekannte „Grunert's Nachtcafé“, das er zehn Jahre führte. 1989 wurden die beiden Wirte Geschäftspartner im „Friesdorfer Hof“ und im „Weinhaus Daufenbach“. Kurz danach begann der „Kampf um Bonn“; vor allem Drautzberg war gegen Berlin als Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands. Ein Foto aus der damaligen Zeit zeigt ihn mit Plakat: „Ja zu Bonn . . . denn wir haben keine 85 MRD. zuviel!“ So viel sollte der Umzug an die Spree kosten.
Man weiß, es kam anders. Der Bundestag entschied am 20. Juni 1991 mit knapper Mehrheit für Berlin – und die beiden Wirte gingen bald dahin, wohin der Polit-Tross zog und die Musik spielte. 1997 eröffneten sie am Schiffbauerdamm das „StäV“; inzwischen gibt es Zweigstellen in Bremen, Hannover sowie auf den Flughäfen Köln/Bonn und Berlin-Brandenburg. 2017 war für die beiden Gastronomen Schluss mit dem Nachtleben hinterm Tresen: Sie verkauften das „StäV“, haben aber die Namensrechte behalten und sind weiterhin Lizenzgeber.
Bei der Übergabe des Mauerstücks bei klirrender Kälte am 21. Dezember 2009 sagte Friedel Drautzberg: „Es ist schon eine Fügung der Geschichte, dass diejenigen, die aus Bonn jetzt in Berlin leben, nach Bonn in das ehemalige Regierungsviertel ein Mauersegment aus Berlin zurücktransportieren“.