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UnwetterAnwohner in Mehlem verzweifeln – Dritte Überschwemmung seit 2010

Lesezeit 4 Minuten

Bonn – Lebte er auf einer Hallig, könne er ja verstehen, dass Wasser und Schlamm regelmäßig vorbei schwappten. Aber Mehlem sei nun mal keine Hallig, sondern ein Stadtteil von Bonn. Die Wut steht Helmut Harfst (70) ins Gesicht geschrieben. Sein Putzlappen muss es ausbaden. „Das ist doch Verarscherei“, schimpft Harfst, wringt und würgt den armen Teufel. „Die machen nur Fummelkram und jetzt können wir die ganze Jauche wieder rausholen.“

Ein Reinigungstrupp der Stadt Bonn befreit die Mainzer Straße vom Schlamm des Mehlemer Bachs.

Die – damit meint Harfst die Bonner Stadtverwaltung. Wir – damit meint Harfst sich und all die Nachbarn in der Mainzer und der Rüdigerstraße, denen der Mehlemer Bach am Samstag zum dritten Mal seit 2010 einen unangemeldeten Besuch abgestattet hat. Ohne Vorwarnung und mit einer Wucht, dass sie die Sandsäcke gar nicht schnell genug vor Türen, Kellerfenster und Garagentore stapeln konnten. Wie zum Hohn wirkt da das Schild in der Rüdigerstraße, mit dem die Stadt Bonn den Bau eines Entlastungskanals ankündigt. Erster Bauabschnitt November 2015 bis März 2016.

Sein Stück Land auf der Mehlemer Hallig hat Helmut Harfst gesichert. Nach der ersten Jahrhundertflut anno 2010. Mit mobilen Spundwänden, in die bei Bedarf dicke Holzbohlen eingelassen werden. Das habe schon was gebracht – bei der zweiten Jahrhundertflut drei Jahre später. Harfst musste nicht mehr den gesamten Keller und alle Lagerräume des Café Lubig renovieren. Jetzt steht er da mit zerknülltem Putzlappen an seiner privaten Spundwand. Er muss mal kurz verschnaufen bei seinen Aufräumarbeiten nach der dritten Jahrhundertflut.

Tiefbauamtsleiter Peter Esch spricht von bis zu 150 Liter Wasser pro Quadratmeter und einer Naturkatastrophe. Und von einem schwerwiegenden Problem, das seit Samstag besteht. Der Entlastungskanal befindet sich in Bau. Ein wahrer Schluckspecht, der 54 Kubikmeter Wasser pro Sekunde verpacken und damit weitere Jahrhundertfluten verhindern soll. Frühestens ab Ende 2017.

Der Bachkanal, in den der Mehlemer Bach kurz vor der Mainzer Straße bis zur Rheinmündung verschwindet, ist an einer Stelle zerborsten: durch den Druck, den das Rhein-Hochwasser erzeugte und die Wassermassen, die Richtung Rhein schossen. Der normalerweise harmlose Bachlauf unterspülte eine Garage und hatte schon Teile des Fundaments des angrenzenden Hauses erreicht: mit dem Ergebnis, dass zwei Häuser in der Rüdigerstraße am Samstag evakuiert werden mussten. Bis tief in die Nacht zum Sonntag habe man überlegt, wie man Garage und Häuser stabilisieren könne. „Die halbe Garage und eine Wand hingen praktisch in der Luft“, sagt Esch. „Wir konnten das Loch nicht einfach mit Schotter verfüllen, weil wir den Kanal sonst vielleicht komplett zerstört hätten. Dann würde der Bach jetzt durch Mehlem fließen.“ Mit Biotextil und Flüssigboden gelingt es den Experten am Sonntag, die Lage zu entschärfen. Wenn der Rheinpegel gesunken und der Bachkanal wieder zugänglich sei, könne die Stadt die Schäden begutachten und reparieren. In der Nacht zum Montag geben die Experten Entwarnung: Garage steht, Wand steht, Haus steht.

Faisal Issa (40) steht auch. Verzweifelt auf dem Areal, das mal der Biergarten der Alten Schmiede war. Abgesoffen innerhalb von zehn Minuten und im Schlamm versunken. Kühlräume, Stromleitungen, Schaltkästen, alles kaputt. Eimerweise schleppen Arbeiter den Schlick aus dem Mehlemer Traditionslokal ins Freie. „Ich war mittags noch hier, habe die Einkäufe gebracht. Die Nachbarn haben mich alarmiert. Aber da war es schon zu spät.“ Wie alle habe er auf die Zusage der Stadt Bonn und den Entlastungskanal vertraut, sagt Issa. „Ich fühle mich betrogen. Wenn es um Gewerbesteuer geht, steht die Stadt sofort vor der Türe. Aber jetzt hilft uns keiner. Das dauert alles viel zu lange.“

8,3 Millionen Euro könne man nicht an einem Wochenende vergraben, sagt der Tiefbauamtsleiter. Die Dimensionen des Entlastungskanals seien „so gigantisch“, da müsse es etliche Vorüberlegungen geben, bevor man ihn unter Mehlem hindurch presse. Entlang der Trasse habe man etliche Bodenproben nehmen müssen. „Wir reden im Ernstfall hier nicht von einem gurgelnden Bächlein. Wenn da 54 Kubikmeter pro Sekunde in den Rhein schießen, kann das schwere Schäden anrichten.“

Mit finanziellen Hilfen seitens der Stadt Bonn können die Anwohner nicht rechnen. „So wie der Bach jetzt im Augenblick ist, haben wir jeder Pflicht genüge getan“, sagt der Tiefbauamtsleiter. Der Entlastungskanal sei eine „völlig freiwillige Aktion der Stadt und der Zuschussgeber. Der Bach ist hydraulisch für ein Regen-Ereignis ausgelegt, für das er ausgelegt sein muss.“

Die Kiosk von Jürgen Plogmann (49), der direkt an der Stelle liegt, an der Mehlemer Bach im Kanal verschwindet, hingegen nicht. Plogmann hat die Schnauze voll. Nach drei Jahrhundertfluten in sechs Jahren wird er seinen Laden samt Poststelle und Lottoannahme aufgeben. Noch so ein Regen-Ereignis kann er nicht mehr verkraften. Ohne im Lotto zu gewinnen.