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Vor 100 JahrenWie Thomas Mann die Ehrendoktorwürde bekam – und wieder verlor

Lesezeit 4 Minuten

Die Urkunde zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an Thomas Mann.

  1. Vor 100 Jahren zeichnete die Bonner Universität Thomas Mann als Ehrendoktor aus.
  2. In einem der peinlichsten Momente ihrer Geschichte erkannte die Hochschule sie ihm Jahre später wieder ab.
  3. Die Aktion veranlasste den Schriftsteller zu einer weltberühmten Abrechnung mit den erstarkenden Nazis in Deutschland.

Bonn – Er hatte kein Abitur und wurde doch mit akademischen Ehren bedacht: Am 3. August 1919, heute vor 100 Jahren, verlieh die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn dem Schriftsteller Thomas Mann die Ehrendoktorwürde – und erkannte sie ihm 17 Jahre später in einem der peinlichsten Akte in ihrer 200-jährigen Geschichte wieder ab.

Thomas Mann, der 1894 als 19-Jähriger mit der Mittleren Reife das Gymnasium Katharinum in Lübeck verlassen hatte, machte in jenem Sommer 1919 auf Einladung seines Verlegers Samuel Fischer im Ostseebad Glücksburg Urlaub, als ihm das Zimmermädchen am Montag, 4. August, nach der Rückkehr von einem Spaziergang ein Telegramm überreichte, das ihm aus München, seinem Wohnort, nachgesandt worden war. Er musste drei Mark Gebühr dafür bezahlen, aber das war eine Ausgabe, die sich lohnte.

„Ein Hort des nationalistischen Trotzes“

Denn das Telegramm informierte ihn darüber, dass ihn die Philosophische Fakultät der Universität Bonn tags zuvor zur Feier ihres 100-jährigen Bestehens zum Ehrendoktor ernannt habe. Thomas Manns Freund Ernst Bertram, ein Germanist aus Köln und später Pate der jüngsten Tochter Elisabeth, hatte diskret Werbung für ihn gemacht und wurde dabei enthusiastisch unterstützt von seinem nationalkonservativen Bonner Kollegen Professor Berthold Litzmann. Der verehrte Thomas Mann, aber nicht wegen seines großen „Buddenbrock“-Romans, sondern wegen seiner 1918 erschienenen deutschnationalen Schrift „Betrachtungen eines Unpolitischen“. Bonn sei damals, schreibt Mann-Biograf Klaus Harpprecht, „ein Hort des nationalistischen Trotzes“ gewesen.

Der neue Ehrendoktor sandte durch den Hausdiener ein Danktelegramm nach Bonn und machte aus seiner „Freude kein Hehl“, wie er im Tagebuch notierte. Nach der Vesper zeigte er seinem Gastgeber die frohe Botschaft vom Rhein. S. Fischer redete ihn sogleich mit „Herr Doktor“ an. „Vergnüglichkeit und Titulierung. Feier mit Champagner vorgesehen“, heißt es im Tagebuch. Doch zuerst nahmen die Herren Trinkschokolade zu sich.

Mann nutzte den Doktor gerne

Die Promotionsurkunde der Philosophischen Fakultät pries den Schriftsteller als „Dichter von großen Gaben, der in strenger Selbstzucht und beseelt von einem starken Verantwortungsgefühl aus innerstem Erleben das Bild unserer Zeit für die Mit- und Nachwelt zum Kunstwerk gestaltet“ habe.

50 Titel aberkannt

Die Aberkennung der Ehrendoktorwürde Thomas Manns aus politischen Gründen war nur eine vieler derartiger Handlungen an der Alma Mater, berichtet Philip Rosin in seinem Buch „Kleine Bonner Universitätsgeschichte“. Aberkannt wurden unter anderem Promotionen von jüdischen Ärzten. Der „Fall Thomas Mann“ war bis in die 90er Jahre der einzige, bei dem die Uni von sich aus tätig wurde. Erst am 5. November 1998 widerrief der Senat in einem Beschluss 50 solcher Entscheidungen. (dbr)

Thomas Mann hatte eine fast kindliche Freude an der akademischen Würde, bei der Rückfahrt von Glücksburg schrieb er sich in Berlin im Hotel „Excelsior“ ohne zu zögern mit dem Doktortitel ein, ließ sich Zuhause entsprechende Visitenkarten drucken und auch auf dem Briefpapier stand vor dem Namen der Doktor, ohne „h. c.“, wie Harpprecht süffisant anmerkt. Ende 1929, auf dem Weg zur Verleihung des Literaturnobelpreises in Stockholm, machte Mann Station in Bonn und bedankte sich persönlich für die Ehre; die Uni bereitete ihm damals einen begeisterten Empfang.

Abrechnung mit den Nazis

Am Weihnachtsabend 1936 dann die Wende: Die rheinische Alma Mater teilte Thomas Mann, der wegen der Nazis im Exil im schweizerischen Küsnacht lebte, per Einschreiben mit, dass ihm in Folge der kurz zuvor von den Machthabern verfügten Ausbürgerung aus dem deutschen Reich die Würde des Ehrendoktors aberkannt worden sei. Unterzeichnet hatte die amtliche Mitteilung Dekan Karl Justus Obenauer.

Thomas Mann war tief betroffen und formulierte zwei Tage später eine mehrseitige Antwort an den Dekan, die als „Bonner Brief“ Weltruhm erlangte. Es war seine Abrechnung mit den Nazis: „Wohin haben Sie, in noch nicht vier Jahren, Deutschland gebracht?“, fragte er. Das Land sei ruiniert „von einer Kriegsaufrüstung, mit der es die ganze Welt bedroht“. Der „Bonner Brief“ wurde mit weiteren Dokumenten im Zürcher Oprecht-Verlag gedruckt und war in einer ersten Auflage von 10.000 Exemplaren in wenigen Tagen ausverkauft. Als Flugblatt gelangte er heimlich nach Deutschland, wo er weiter vervielfältigt wurde. Die Uni-Leitung aber hielt ihn unter Verschluss.

Freute sich seinerzeit sehr über die Ehre: Der Schriftsteller Thomas Mann, der heute vor 100 Jahren die Ehrendoktorwürde der Universität Bonn verliehen bekam.

Nach dem Krieg bemühte sich die Hochschule um Wiedergutmachung. Der 1939 nach England emigrierte Bonner Historiker Wilhelm Levison trat als Vermittler auf, und als er eine positive Rückmeldung aus Kalifornien, wo das Ehepaar Mann lebte, erhielt, schickten Rektor Heinrich Konen und Dekan Friedrich Oertel 1947 jeweils einen Brief an den Nobelpreisträger, der Dekan fügte die erneuerte Fassung des Dokuments von 1919 bei. Der Schriftsteller dankte „herzlich und feierlich“ für das Diplom, das er „nicht ohne Rührung in Händen“ halte.