„Sind das nicht gewohnt“Was ein Bonner Chefarzt zu Mundschutz und Lockdown meint
- Tim Flasbeck, Notfallmediziner und Chefarzt des Malteser Krankenhauses, im Interview mit Nicolas Ottersbach.
Bonn – Sie sitzen jeden Morgen etwa eine Stunde im Auto, wenn Sie von Düsseldorf nach Bonn fahren. Was beschäftigt Sie dabei?Im Moment versuche ich, mich sehr viel zu informieren. Unter anderem höre ich im Auto die Podcasts der Virologen Streeck, Kekulé und Drosten. Das sind Quellen, die sachlich sind und die ich wirklich nur empfehlen kann. Ich mache mir aber auch Sorgen darum, dass ich als Arzt, trotz aller Vorsicht, das Virus mit nach Hause bringen könnte. Zu meinen Eltern, die beide über 70 sind, oder zu meiner Frau und meinen drei Kindern.
Alte Menschen sind besonders gefährdet. Was passiert, wenn das Virus in die Altenheime kommt?
Das ist ja leider schon passiert und wir konnten sehen, wie gefährlich das Virus für alte Menschen ist. Sie haben oft keine Reserven und sind häufig vorerkrankt. Es ist aktuell noch sehr schwierig, Einrichtungen wie Altenheime konsequent zu schützen, weil wir das Virus noch nicht zuverlässig erkennen. Das Spektrum an Symptomen reicht von Symptomlosigkeit bis weit über das Vollbild einer Atemwegserkrankung hinaus. Das haben wir so auch noch nicht gesehen. Zuverlässige Schnelltests, mit dem man erkrankte Mitarbeiter oder Besucher erkennen könnte, gibt es leider noch nicht.
Also sollte jeder einen Mundschutz tragen, auch wenn er sich nicht krank fühlt?
Ich bin kein Virologe, aber es scheint so zu sein, dass ein Mundschutz das Umfeld des Trägers und in einem gewissen Ausmaß auch den Träger selbst schützt. In dem Moment, in dem alle einen tragen, würde das also Sinn ergeben. Ob sich jemand krank fühlt oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Auch wenn man noch keine Symptome verspürt, kann man schon infektiös sein. Ich selbst trage einen Mundschutz in dem Moment, wo ich exponiert sein könnte, also im Supermarkt zum Beispiel. Für mich ist Covid kein Individualrisiko. Ich mache mein ganzes Leben Ausdauersport, rauche nicht und bin gesund. Trotzdem habe ich natürlich eine große Verantwortung gegenüber Menschen, die mit dem Virus vielleicht nicht klar kommen und die daran sterben könnten.
Guckt man Sie schief an, wenn Sie einen Mundschutz tragen?
Ja. Man wird belächelt.
Heißt das im Umkehrschluss, dass wir den Ernst der Lage nicht begriffen haben?
Doch. Aber wir sind es nicht gewohnt einen Mundschutz zu tragen. Es sieht für uns komisch aus und viele empfinden es bestimmt als eine Einschränkung der Freiheit, anders als in asiatischen Ländern. Es ist ein beklemmendes Gefühl. Es fällt schwer zu atmen, es fällt schwer zu sprechen. Ich glaube, wir müssen ihn erst akzeptieren lernen, die Verantwortung verstehen, die jeder hat und den Beitrag den jeder leisten kann.
Wie bringt man das einem unbelehrbaren Jugendlichen bei, der sich mit Freunden in der Rheinaue trifft? Mit Erklärvideos, wie Sie es gemacht haben?
Wenn Menschen andere Menschen durch Fehlverhalten gefährden, muss man das bestrafen. Das machen wir ja in anderen Bereichen auch so. Aber so weit sind wir noch nicht. Ich finde Transparenz und konsequente Aufklärung gerade jetzt sehr wichtig, auch als Gegengewicht zu der Masse an Fake-News in den Medien. Ich glaube, dass die meisten Menschen bereit wären einen Mundschutz zu tragen und auch zukünftig Abstandsregeln einzuhalten, wenn sie verstehen und nachvollziehen können, dass uns das in dieser Krise wirklich helfen kann. Je besser wir das jetzt alle machen, umso früher kriegen wir unseren Alltag zurück - wahrscheinlich mit ein paar neuen Regeln.
Und wenn wir das nicht hinbekommen, haben wir hier eine Katastrophe?
Ich glaube schon, dass das passieren kann, auch wenn wir uns das nicht vorstellen wollen und können. Wir sind es gewohnt, dass Katastrophen woanders passieren. Die aktuellen Maßnahmen dienen ja dazu, die Epidemie in Deutschland zeitlich in die Länge zu ziehen. Es sieht so aus, als bekämen wir das im Moment gut hin, aber das Virus breitet sich ohne Maßnahmen auch wieder blitzschnell im ganzen Land aus.
In der Region sprechen die Behörden schon jetzt von einer leichten Entwarnung.
Das scheint so zu sein, aber das heißt ja nicht, dass wir die Grundlage geschaffen haben für ein normales Weiterleben. Wie es aussieht werden wir so schnell keinen Impfstoff für alle haben und es gibt, soweit ich weiß, auch noch kein Medikament, das wirklich verheißungsvoll ist. Es geht nur über diszipliniertes Miteinander, so wie wir es gerade lernen. Ich glaube wir müssen aufpassen, dass aus der leichten Entwarnung kein "Endlich-überstanden-Gefühl" resultiert, das uns die im Umgang mit Covid so wichtigen Verhaltensregeln wieder vergessen lässt.
Wie kommen wir da wieder raus?
Der Lockdown war konsequent und richtig. Wir haben dadurch Zeit gewonnen und konnten das Virus besser kennenlernen. Jetzt müssen wir einen Weg finden, mit diesem Wissen aus dem Lockdown ein Löckchen-Down zu machen, mit klaren Regeln für alle, wie einer Mundschutzpflicht. Dabei muss der Schutz der Risikogruppen höchste Priorität haben.