Mehr „Verfassungseuphorie“Der Bundespräsident diskutiert mit Bonner Studierenden
Bonn – Achtung, angehende Juristen, Politologen und Historiker! Ihr müsst euch warm anziehen, wenn ihr mit dem deutschen Staatsoberhaupt und seiner Gattin über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Grundgesetzes debattieren wollt: Schließlich sind Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender in „Justitias Reich“ zu Hause: er promovierter Jurist, sie Richterin am Verwaltungsgericht Berlin (derzeit beurlaubt).
Das könnte ein Grund gewesen sein, dass die Diskussion von rund 45 Studierenden der Bonner Universität mit dem Bundespräsidenten gestern Vormittag im Haus der Geschichte anlässlich der Unterzeichnung des Grundgesetzes vor 70 Jahren etwas zäh anlief.
Themenschwerpunkte
Die Studierenden, mehrheitlich aus der Jura-Fakultät und der Philosophischen Fakultät kommend, verharrten in der Reserve und lauschten der Einführung von Bundespräsident Steinmeier über den Vergleich der Weimarer Verfassung von 1919 und dem Grundgesetz von 1949.
Die Reserve könnte aber auch am ersten Themenschwerpunkt der Diskussion gelegen haben: Artikel 20 GG „Demokratie und Sozialstaat“. Zugegeben, ein zäher Artikel mit 125 Seiten Fach-Kommentaren allein zum Punkt „Sozialstaatsprinzip“, wie der Bundespräsiden erwähnte. Die Diskussionsrunde nahm erst Fahrt auf, als Frank-Walter Steinmeier die Studierenden fragte, was sie vom Grundgesetz im Allgemeinen hielten.
Ein Mathe- und Theologiestudent und eine angehende Politologin bemängelten, dass das Grundgesetz in deutschen Schulen kaum behandelt werde und daher bei den meistern Bürgern der Bundesrepublik nicht präsent sei. Ein Politikwissenschaftsstudent sprach salopp vom Grundgesetz als einer fernen „grauen Eminenz“.
Mehr „Verfassungseuphorie“ in Deutschland?
Der Bundespräsident erinnerte in diesem Zusammenhang an den „Verfassungspatriotismus“ bei den Bürgern in den USA, wo beispielsweise in der „Wiege der USA“, Philadelphia, die Verfassung („Constitution“) wie ein Happening gefeiert werde.
Der Bundespräsident ist skeptisch, ob es gelingt, bei den Bundesbürgern eine „Verfassungseuphorie“ wie in den USA zu entfachen – „allenfalls in milderer Form“. Schließlich sei das Grundgesetz 1949 „nicht wie in den USA erkämpft worden.“
Richtig lebendig wurde die Diskussionsrunde, als es um den Artikel 3 des GG ging („Mann und Frau sind gleichberechtigt“). Drei Mimen des Theaters Taktil aus Königswinter zitierten spielerisch aus dem Protokoll einer Bundestagsdebatte aus dem Jahr 1952 zu diesem Thema. Eine Abgeordnete forderte damals temperamentvoll die „freie Berufswahl von Frauen mit gleichem Lohn für gleiche Arbeit“ ein.
Alte Rollenbilder auch an der Uni noch lebendig?
Da brandete spontaner Applaus bei den Bonner Studiosi Anno 2019 auf. Ein Abgeordneter hielt das 1952 für Papperlapapp. „Christliche Ehe und Familie sind der Grundpfeiler der Gesellschaft und dürfen nicht verändert werden, Mann und Frau sind schließlich verschieden.“ Soll heißen: Der Mann steht draußen im Leben und sorgt für den Unterhalt, die Frau steht drinnen am Herd.
Ist das Schnee von gestern? Die Frau des Bundespräsidenten, Elke Büdenbender, hat da so ihre leisen Zweifel. Sie stellte fest, dass die ersten Reihen in dem Bundestags-Gestühl im Haus der Geschichte von männlichen Studierenden besetzt waren, während ihre Kommilitoninnen hinten saßen.
Symptomatisch für den gesellschaftlichen Zustand des Jahres 2019? Vielleicht nicht ganz, aber Einwürfe von einigen Studentinnen belegen, wie schwer es nach vor sei, Studium, berufliche Karriere und Familie ohne männliche Hilfe unter einen Hut zu bringen.