Rheinbach„Der alltägliche Wahnsinn“ – Flüchtlingshelfer listen Probleme auf
- Vor nunmehr vier Jahren sagte Angela Merkel ihren berühmten Satz: „Wir schaffen das!“
- Die Rheinbacher Flüchtlingshelfer Gert-Uew Geerdts und Dirk Frankenberger stört nicht der Satz, sondern dass Ehrenamtler alleingelassen worden seien.
- Viele Probleme seien ungelöst, sagen sie im Gespräch mit unserer Autorin.
„Der alltägliche Wahnsinn“ – so haben Gert-Uwe Geerdts und Dirk Frankenberger vom Rheinbacher Flüchtlingshelferkreis einen Kurzbericht betitelt, der Schwierigkeiten von Bürokratielotsen für Geflüchtete auflistet. Alltägliche Dinge wie ein Konto eröffnen oder Kindergeld beantragen können sich für Geflüchtete immer noch als äußerst schwierig erweisen. Warum, darüber sprach Jacqueline Rasch mit den beiden Rheinbachern.
Herr Geerdts, Herr Frankenberger, wie hat sich der Helferkreis eigentlich gefunden?
Frankenberger: Es gab ja schon Ansätze, weil in den 90er Jahren Deutschrussen auch hierher kamen. Es gab einige Damen, die Hilfe aufgezogen hatten Mitte der 90er Jahre. Als die Flüchtlingswelle 2014 kam, haben sie es wieder aufleben lassen. Es haben sich sehr schnell sehr viele gefunden. In den Hochzeiten unseres Helfertums waren es 183, heute sind wir noch 80, wirklich aktiv sind 15 bis 20 Leute. Wir hatten auch bis zu 40 Sprachvermittler, die Ersthilfe geleistet haben.
Wie lief die Arbeit an?
Frankenberger: Es gab Anfangsschwierigkeiten. Fehlende Akzeptanz zwischen Helferkreis und Verwaltung. Mittlerweile ist das anders. Im Laufe der Jahre haben wir uns auch professionalisiert.
Welche Aufgabe hatten Sie genau, als die Leute hier 2014 ankamen?
Frankenberger: Headline könnte sein: Lebenshilfe und Integration. Das ist einmal Ankommen, die wesentlichsten Sachen wie geldliche Versorgung, Unterkunft mit der Stadt klären, administrative Vorgänge wie Anmeldung. Eine große Aufgabe war die Hilfestellung für die Interviews des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in der Nähe von Siegen, die alle machen mussten.
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Haben Sie die Leute begleitet?
Frankenberger: Das war nicht einfach, weil das BAMF das gar nicht so gerne gesehen hat. Aber es war nachher problemlos.
Geerdts: Nur seitens der Stadt nicht, was die Reisekosten anbelangte. Sie wollten nicht zahlen. Aber sonst hätte die Stadt Übernachtungskosten zahlen müssen, weil die Leute morgens um 8.30 Uhr schon da sein mussten. Die Erstattung der Benzinkosten war keine Selbstverständlichkeit. Es gab Riesendiskussionen.
Frankenberger: Das haben wir insofern überbrückt, als dass wir gesagt haben, wir müssen uns mit der Stadt zusammensetzen. Wir haben es Lenkungsgruppe genannt und haben mit Bürgermeister, Beigeordneten und Fachbereichsleitern die elementaren Fragen besprochen.
Nun waren die Kommunen mit der Situation ja auch überfordert, wurden im Regen stehen gelassen ...
Frankenberger: Ja, das kam so auf sie zu. Manches war auch Panikreaktion, sag ich mal.
Geerdts: Teilweise wurden wir auch als Störfaktor gesehen. Anerkannt hat man unsere Arbeit aber beim Jobcenter und bei der Ausländerbehörde. Wir nehmen ihnen die Arbeit ab, füllen die Anträge aus. Alle Dokumente, die uns im Laufe der Jahre begegnet sind, haben wir auf unserer Homepage. Angefangen von der Checkliste für den Familiennachzug bis zum Umzug innerhalb der Ortschaften haben wir dort alles aufgelistet.
Frankenberger: Da bekommt man einen guten Eindruck vom bürokratischen Deutschland. Die Abwicklung kann man aber nicht vermeiden, das muss ja sein. Dazu braucht man aber auch Fachkompetenz. Das war der Anlass, zu sagen, einige ausgebildete Bürokratielotsen auszusuchen. Das sind drei Leute, zwei davon sind wir.
Geerdts: Ich staune immer wieder, wozu unsere Bürokratie fähig ist. Ein Beispiel: Ein nachgezogener Sohn, junger Jeside, hat eine Verlobte in Hamburg, die hierher kommen möchte. Beide sind Hartz IV-Empfänger, leben dann zusammen. Dafür gibt es ein Spezialformular für nicht eingetragene Gemeinschaften ...
Haben Sie Unterstützung bei Ihrer Arbeit?
Frankenberger: Mittlerweile haben wir Verstärkung. Die Stadt hat in der Erkenntnis, was an der Arbeit alles dranhängt, einen Dienstleister verpflichtet, den Malteser Hilfsdienst. Zwei Leute, die von der Stadt bezahlt werden. Wir sind alle fünf total ausgelastet!
Geerdts: Wir bearbeiten die Altfälle, die Malteser übernehmen die Neuankömmlinge. Vorgeschaltet ist noch Sozialarbeiterin Hanna Sommer als Mitarbeiterin der Stadt, die uns entlastet.
Frankenberger: Die Altfälle erstrecken sich über alle erdenklichen Lebensumstände, Heirat, Autokauf, Wohnortswechsel, was auch immer.
Gibt es ein Schicksal, das Ihnen besonders ans Herz gegangen ist?
Frankenberger: Das ist schwer zu sagen, es gibt so viele. Es gibt Sonderfälle, traumatisierte Menschen, die psychosoziale Unterstützung brauchen. Da muss man feststellen, dass da die Ressourcen in den Kliniken extrem angespannt sind, dass es keine Pflegeplätze gibt oder amtliche Betreuer. Sie sind sich mehr oder weniger sich selbst überlassen, wir versuchen, sie aufzufangen. Manchmal muss man wirklich schlucken. Wir kennen das nicht im Ansatz, was die Leute mitgemacht haben.
Wie reagieren die Geflüchteten auf Ihren Einsatz?
Frankenberger: Meine Arbeit macht mir Spaß, sonst würde ich das auch nicht machen können. Ich bekomme eine unglaubliche Wertschätzung, und die Leute gehen extrem respektvoll mit mir um, und ich versuche das umgekehrt auch. Es ist aber extrem wichtig, die professionelle Distanz zu halten. Die letzten zehn Zentimeter zu vermeiden, die Leute nicht zu sehr an sich heranzulassen. Man muss manchmal auch abgeklärt sein, um die Leute wirklich integrationsfähig zu machen. Aber früher haben wir immer gesagt, wir setzen die Leute auf die Gleise mit dem Jobcenter, dann finden sie einen Beruf und unser Job ist getan. Von wegen! Es zieht sich immer weiter ins Leben hinein.
Apropos. Wie sieht es in Rheinbach mit Wohnraum für Flüchtlinge aus?
Frankenberger: Das ist eines unserer Kernprobleme. Gerade für Familien, die teilweise am Schornbusch in Sammelunterkünften leben müssen. Wir haben einige in private Unterkünfte vermitteln können, aber nur über Mundpropaganda und persönliche Bekanntschaften.
Geerdts: Sobald einige Immobilienmakler Jobcenter oder Flüchtlinge hören, haben sie die Schere im Kopf.
Frankenberger: Wir sind bei den privaten Vermietern auch noch weiter gefordert. Wir werden angerufen, wenn eine Waschmaschine gekauft werden muss, das Jobcenter nicht zahlt. Dabei geht es auch anders. Zum Beispiel ältere Damen, die ein Haus haben, und die sich entschieden haben, Flüchtlinge aufzunehmen. Daraus sind teilweise nette Lebensgemeinschaften auf Augenhöhe entstanden.
Eine gute Sache für beide ...
Frankenberger: Wir haben vier, fünf Beispiele in Rheinbach. Das sind äußerst interessante Konstellationen. Eine Dame ist beispielsweise 85 Jahre alt, sie wohnt mit einem jungen Afghanen in einer Mietwohnung zusammen. Das ist dann schon Lebenshilfe. Da muss eine soziale Intelligenz auf beiden Seiten dahinter stehen, sonst funktioniert das Ganze nicht. Vielleicht wagt sich ja noch der eine oder andere aus der Deckung.
Sie sprachen Probleme mit der Bürokratie an. Haben Sie Beispiele dafür?
Frankenberger: Leidige Kindergeldanträge beispielsweise. Das Jobcenter fordert von den Flüchtlingen, Anträge zu stellen. Das Geld wiederum kommt von der Familienkasse, die wiederum gehört zur Agentur für Arbeit. Würden diese Behörden Daten abgleichen, würde das vielen viel Arbeit ersparen. Wir hatten schon den Fall, dass der Antrag dreimal gestellt werden musste, dreimal 43 Seiten für fünf Kinder. Mit dem Ergebnis, dass sie nicht anspruchsberechtigt waren, weil die Mutter mit 64-einhalb Jahren nicht berufstätig ist , aber bei ihrem Asylstatus hätte berufstätig sein müssen, um überhaupt einen Antrag stellen zu können. Da sage ich als Helfer, da habe ich zwölf Stunden gearbeitet, mit einem Ergebnis, das vorher hätte bekannt sein können. Wenn nämlich das Jobcenter mit der Agentur für Arbeit Grundsatzinformationen wie Asylstatus und Lebensalter ausgetauscht hätte. Alle sind natürlich dem Datenschutz verpflichtet, aber ich meine, das müsste für Behörden, die organisatorisch zusammengehören, rechtlich möglich sein.
Flüchtlinge, die allein vor solchen Fragen stehen, sind völlig überfordert.
Geerdts: Das geht manchen deutschen Antragstellern auch nicht anders... (lacht) Bürokratie ist sicherlich irgendwo sinnvoll, aber dass innerhalb einer großen Behörde wie der Agentur für Arbeit zwei Unterbehörden nicht Daten miteinander kommunizieren dürfen, das ist hinrissig.
Frankenberger: Anderes Beispiel: Bankkontoeröffnung. Die Identifikationspapiere des Flüchtlings, die bis zum Aufenthaltstitel ausgestellt werden, entsprechen nicht den Formatvorgaben der Finanzverwaltung. Also, man kann kein Konto eröffnen, braucht dieses aber für die Überweisung des Jobcenters. Dieses Problem ist seit gut zweieinhalb Jahren allen Beteiligten wie Banken, Ausländerbehörden und der Bundesfinanzverwaltung bekannt. Sie haben es aber immer noch nicht geschafft, eine Lösung dafür zu finden.
Was machen die Flüchtlinge dann?
Manche gehen zu Freunden, von denen sie wissen, dass sie ein Konto haben, und lassen es dorthin überweisen. Aber das kann nicht Sinn der Sache sein.
Willkommen
316 Flüchtlinge werden derzeit nach Angaben der Stadtverwaltung von der Stadt Rheinbach mit Wohnraum versorgt, davon 21 in privaten Unterkünften. Alle anderen Flüchtlinge sind in sogenannten Notunterkünften untergebracht. Die Flüchtlinge stammen aus 26 Staaten; ein Flüchtling hat den Status eines Staatenlosen. Von 470 Flüchtlingen insgesamt spricht der Flüchtlingshelferkreis, davon sind seit Mitte 2018 etwa 80 Menschen neu nach Rheinbach gekommen. Die Zahlen differieren, weil die Stadt Flüchtlinge, deren Verfahren abgeschlossen ist, nicht mehr mitzählt.
Der Flüchtlingshelferkreis Rheinbach (FHKR) wurde Oktober 2014 gegründet. Er wurde aus der Mitte der Bürgerschaft gebildet ohne fremde Initiative und versteht sich als offener Helferkreis. Der Arbeitskreis hat sich nach eigenen Angaben „zusammengeschlossen, um Flüchtlingen, die in unsere Stadt gekommen sind und hier leben, schnell und unbürokratisch Hilfestellung zu geben. Es geht um eine gute Willkommens-Kultur und verschiedenste Angebote mit dem Ziel einer Integration der nach Rheinbach gekommenen Flüchtlinge und dem Abbau von Ängsten vor Andersartigkeit“.
Die Sprechergruppe des FHKR plant und koordiniert Aktivitäten; es gibt einen Jour fixe mit der Lenkungsgruppe der Stadt Rheinbach, in der ein enger Austausch mit dem Bürgermeister stattfindet. Beteiligt sind dort neben der Stadt und dem FHKR das Mobilteam der Malteser und die Diakonie. (EB/jr)
Frau Merkel hat 2015 gesagt: „Wir schaffen das!“ Würden Sie das auch unterschreiben?
Frankenberger: Sie hat nicht gesagt, wie wir das schaffen, nur, dass wir das schaffen. Dieser Weg ist wesentlich beschwerlicher, als wir es uns alle in 2015 vorgestellt haben. Es sind Jahre ins Land gegangen, und wir haben immer noch diese Probleme. Die Pflichtverletzung liegt nicht in diesem Satz, der war wichtig für unsere Kultur. Sie liegt darin, Ehrenamtler diese ganzen Problematiken über Jahre ausbaden zu lassen.