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GenossenschaftsprojektAus Merzbacher Dörfschänke mach' Kulturtreff

Lesezeit 6 Minuten
Ortsvorsteherin Monika Kerstholt geht über eine innovative Straßenquerung.

Ortsvorsteherin Monika Kerstholt probierte den innovativen Zebrastreifen aus, den Studenten der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft mit Sprühkreide gestaltet haben.

Die „Dorfschänke Alt Merzbach“ wird seit einem Jahr genossenschaftlich geführt und läuft gut. Nun soll das Bürgerprojekt mit einer Finanzspritze der Landesregierung weiterentwickelt werden.

Die Atmosphäre ist freundlich, die kleinen Mahlzeiten sind ganz hervorragend, die Getränkekarte umfangreich und die Bierchen frisch gezapft: Die „Dorfschänke Alt Merzbach“ wird nicht nur von den Anwohnern der Rheinbacher Höhenorte gerne besucht. Ihre offizielle Eröffnung als Genossenschafts-Kneipe wurde im Oktober vergangenen Jahres gefeiert. Und weil es gut läuft, überlegen die Freiwilligen um die Vorstandsmitglieder Marion Scholtysik, Susan Bohle, Gerd Wolters und Ralf Schneider, das Angebot noch auszuweiten. Die Kneipe soll Begegnungsstätte und Kulturort zugleich werden. Ideen wurden jetzt in einer Entwurfswerkstatt gesammelt.

Treue Stammgäste betreiben jetzt die Gaststätte und halten den Thekenbetrieb regelmäßig an drei Tagen wöchentlich aufrecht. Darüber hinaus werden bereits Konzerte organisiert, ein Handarbeitskränzchen trifft sich dort regelmäßig und im Dezember ist eine gemeinsame Krimilesung der katholischen Bücherei Neukirchen und dem Verein „Rheinbach liest“ geplant. „In unserer Dorfschänke sollen nicht nur Getränke verkauft werden, sie soll vielmehr das Zentrum im Dorf sein, in dem Lesungen, Feiern, Seniorennachmittage, Musikveranstaltungen und vieles mehr stattfinden können“, wünschen sich die Bürger. Entstehen soll ein noch zu entwickelnder sogenannter „Dritter Ort“ für Begegnung und Kultur in Merzbach, der als eine Stätte der Gemeinschaft einen Ausgleich zu Familie und Beruf bieten kann.

Zweitägige Entwurfswerkstatt

Wie soll solch ein Treffpunkt nun genau aussehen? Mit dieser Frage beschäftigten sich am Wochenende die Teilnehmer einer zweitägigen Entwurfswerkstatt, zu der die Genossenschaft in die Schänke eingeladen hatte. Mit dabei waren Bürger aus der Region, die Umsetzung der Ideen in räumliche Konzepte übernahmen Studenten und zwei Professorinnen vom Fachbereich Architektur der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft. Bei dem Vorhaben mit im Boot seien ebenso juristische Berater und ein Bauingenieur, der bereits ein Bestandsgutachten angefertigt habe, führte Susan Bohle aus. Die professionelle Unterstützung ist möglich, weil eine Finanzspritze in Höhe von 50 000 Euro aus dem Förderprogramm „Dritte Orte“ des NRW-Landesministeriums Kultur und Wissenschaft an die Genossenschaft vergeben wurde. Die Mitglieder hatten sich mit ihrem Konzept beim Förderprojekt beworben und waren als eines von 28 Projekten ausgewählt worden.

„Das bedeutet, wir haben jetzt die einmalige Chance, unsere Dorfschänke weiterzuentwickeln.“ Auf die einjährige Konzeptphase folgt eine dreijährige Umsetzungsphase, in der für die Realisierung von Projekten eine erneute Förderung von bis zu 450 000 Euro möglich ist. „Es geht konkret um die Frage, wie wir die Räume wieder nutzbar machen können“, erklärte Susan Bohle vom Vorstand. Dazu müssten sowohl bauliche Fragen rund um die Räume der Dorfschänke geklärt sowie Ideen für ein künftige Nutzung erarbeitet werden. Genossenschaftlich gepachtet seien zurzeit die Schänke, der Gewölbekeller und ein Saal nebenan.

Rheinbachs stellvertretender Bürgermeister Karl Heinz Kerstholt erklärte, dass die Stadt Rheinbach erfreut sei über die Initiative und deren Begleitung seitens der Alanus Hochschule: „Fantasie hat keine Grenzen.“ Das Projekt sei „spannend im Prozess, eine Herausforderung für die nächsten Jahre und ein großer Gewinn für diesen Ort“. Die Bedeutung von Eigenleistung beim Bau stand beim Eingangsvortrag „Bauen für die Gemeinschaft“ der Architektur-Professorin Ragnhild Klußmann im Fokus. Die Fachfrau stellte die Frage: „Wie lassen sich Gemeinschaftseinrichtungen günstig mit vielen Menschen bauen?“ Die Antwort: „Wenn jeder anpackt, zum Beispiel beim Abbruch, Entrümpeln Anstreichen und Lackieren, können Sie viel Geld sparen.“

Mitglieder der Genossenschaft, Studenten und Bürger steghen im Eingang der „Dorfschänke“.

Ideen für die „Dorfschänke Alt Merzbach“ wurden bei der Entwurfswerkstatt gesammelt.

Alles rund um Heizung, Elektrik und Statik werde üblicherweise an Handwerksfirmen vergeben. Es sei sinnvoll, nicht überall so hohe Standards anzusetzen und alte Materialien und Oberflächen zu belassen. „Wir haben in Deutschland die Tendenz, alles perfekt auf Neubaustandard bringen zu wollen“, so Klußmann. Das sei jedoch für alte Gebäude nicht unbedingt immer sinnvoll und sehr teuer. Das Gebäude der Dorfschänke stammt laut alteingesessenen Merzbachern aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die erste Schankgenehmigung soll 1903 erteilt worden sein.

Als besonders dringlich erachtet wurde der Einbau barrierefreier Toiletten, wie sich bei den Debatten herausstellte, die auf die Präsentation der erarbeiteten Konzepte folgte. Die Toilettenanlage im Untergeschoss ist zurzeit nur über eine steile Holztreppe zu erreichen, deren unterste Stufen in dämmrigen Licht liegen. Die Studenten schlugen darum eine WC-Box im Erdgeschoss vor, die durch Sitztreppen in den Raum integriert werden könnte. Auch der Eingang zur Schänke soll barrierefrei gestaltet werden. Die Stufen vor der Tür sind momentan ein Hindernis für Gäste mit Rollatoren, Rollstühlen und Kinderwagen. Als weitere Nutzungsideen wurden genannt: Spiele-Abende, Erste-Hilfe-Kurse, ein Dorfladen, Maibaum-Aufstellen auf dem Vorplatz, gemeinsam Fußball gucken wie bereits bei der EM 2024, Kulturabende, Tanztraining, private Feiern, Jam-Sessions im Gewölbekeller, Töpferkurse, ein Brötchenservice am Sonntag, Nähkurse, Kinoabende, Stammtische wie ein Schachtreffen oder Bingo, Kulturabende, Yoga, eine Pflanzentausch-Börse, eine Kegelbahn und ein Weihnachtsmarkt.

Dozenten und Studenten hatten die Nutzungsvorschläge in mögliche Raumkonzepte umgesetzt. Erstsemester Kianu erläuterte, wieso es Sinne macht, in der Scheune eine Tür aus Glas einzubauen. Auf diese Weise werde Transparenz und ein sichtbarer Übergang nach Draußen geschaffen. Das rollstuhlgerechte WC sollte von Gästen des Saales und denen der Wirtschaft gleichermaßen genutzt werden können. Zentrales Thema war das sanierungsbedürftige Dach, an dessen Erneuerung kein Weg vorbei führe: „Die Ziegel sind marode.“ Ein mit Grundnahrungsmitteln ausgestatteter Dorfladen in einer Größe von 1,40 Meter mal 1,40 Meter ließe sich in eine Fenstergaube einsetzen. Von dort aus könnten sonntags auch Brötchen ausgegeben werden. Der Keller eigne sich als Probenraum oder für Töpferkurse.

Blumenbeet könnte Raser abbremsen

Thematisiert wurde außerdem die Geschwindigkeit vorbeifahrender Autos, die sich eventuell beim Abbiegen in den Talweg mit einem in der Kurve angelegten Blumenbeet drosseln lasse. Wie das aussehen könnte, demonstrierten die Studenten mit Sprühkreide. Auch ein innovativer Fußgängerüberweg als Verbindung zwischen dem Platz vor der Dorfschänke und dem gegenüberliegenden Dorfplatz wurde auf den Asphalt aufgebracht. Jyotih, Julian und Luis schlugen vor, den Saal mit dicken und an Schienen aufgehängten Vorhängen zu unterteilen, um den Raum mehreren Nutzern gleichzeitig zugänglich zu machen.

Denkbar wäre im hinteren Teil eine mobile oder eine versenkbare Bühne sowie eine Galerie oder ein Umlauf unter dem Dach. Ein Nebenraum könnte als Lager, Atelier oder Garderobe für Schauspieler dienen. Das Mauerwerk der Seitenwände könnte oben freigelegt werden, während die Holzvertäfelung unten erhalten bleibt. Neuland für Teilnehmer und Studenten Veranstalter und Teilnehmer, Referenten und Studenten sowie die Gäste der öffentlichen Abschlusspräsentation waren zufrieden mit der Veranstaltung.

Die Zusammenarbeit beim Workshop habe erfreulich gut geklappt. Das sei nicht selbstverständlich angesichts der Tatsache, dass es sowohl für die Workshop-Teilnehmer als auch für die Studenten Neuland sei. „Die Ideen der jungen Leute sind super“, fand der Ur-Merzbacher Ralf Schneider, der sich besonders auf die Aussicht freute, in Zukunft sonntags frische Brötchen in Merzbach zu bekommen. Genossenschaftsmitglied Bettina Knittel, die aus Köln angereist war, fand die Reaktivierung des Saals großartig, wie sie sagte: „Dann kommt wieder Leben rein und alle Altersgruppen werden angesprochen.“ Christiane Stockmanns aus Rheinbach-Neukirchen meinte: „Es hat Riesenspaß gemacht.“ Dem Merzbacher Lutz Geißler war daran gelegen, „den Veranstaltungssaal wieder verkehrstauglich zu bekommen“. Vorschläge können weiterhin sowohl online abgegeben als auch in den Briefkasten direkt an der Schänke eingeworfen werden.

www.alt-merzbach.de