Rauer Ton auf dem Kunstrasen beim Training der Rheinbacher Fußballfrauen. Mit der Weltmeisterschaft in Australien sind ganz große oder auch gar keine Hoffnungen verbunden.
Fußball-Frauen & WMRheinbacher Trainer musste viele Haare lassen
28 Spiele, eine Niederlage, ein Unentschieden - den Aufstieg in Staffel II der Bezirksliga hatten sich die Rheinbacher Fußballfrauen redlich verdient. Angeblich soll es geholfen haben, dass Trainer Franz Siegmund den Spielerinnen in Aussicht gestellt hatte, ihm die Haare abrasieren zu dürfen, die so lang waren, dass sie ihm bis zum Hintern reichten. Allerdings ist es wohl ein Märchen, dass ihn die Frauen letztlich dafür hätten anbinden müssen. Denn die Schere und den Scherkopf hat er zur Siegesfeier selbst mitgebracht.
Es sind jedenfalls die unvergesslichen Erlebnisse, die Frauen dazu motivieren, Fußball zu spielen. Ohnehin gibt es kein Geld, das sie locken könnte. "Die Mädels zahlen alle dafür, dass sie hier spielen dürfen", kommentiert der Trainer diesen Fakt trocken. Heißt, sie müssen, wie jedes Mitglied in SC Rheinbach, den Mitgliedsbeitrag entrichten. Allerdings ist Siegmund davon überzeugt, dass bei den Herren das große Geld ausgeschüttet wird: "Die Landesligamannschaft hier im Verein erhält 140.000 Euro", mutmaßt der Trainer: "Aber ich weiß es nicht zu Hundert Prozent."
Er ist ganz froh, der Trainer der Frauen zu sein: "Das ist hier nicht so wie im Herrenbereich, wo die Mimosen auf dem Boden liegen und sich krümmen." Siegmund spielt darauf an, wie oft im Männerfußball Fouls vorgetäuscht werden, um irgendeinen Vorteil herauszuschlagen. Und vor allem kreidet er ein solches Verhalten der Herrenmannschaft an, die für Deutschland spielt: "Da gibt es Nationalspieler, die lieber Klicks in irgendwelchen Portalen haben", als sich anzustrengen.
Sein Unmut transportiert einen Teil seiner Erwartungen an die Frauen. Sie müssen etwas leisten. Einsatz zeigen. "Für jede Frau, die den Sport ausüben will, stehen hier Tür und Tor offen. Wer aber nicht den Charakter dazu hat, ist raus." Jedenfalls sei es bei ihm noch nie vorgekommen, dass für eine Spielerin mit einer blutigen Nase ein Notarztwagen angefordert werde.
Siegmund kann bei der Zusammensetzung seines Kaders aus dem Vollen schöpfen. 27 Spielerinnen stehen ihm zur Verfügung, 19 machen trotz der Ferien an diesem Tag beim Training mit. Rheinbach hat im Frauenbereich aber auch gleich mehrere Jugendmannschaften. Genau genommen vier: im A-, C-, D- und E-Jugendalter. Mitspielen sei bereits mit 16 Jahren möglich. Die älteste Spielerin ist 32 Jahre alt, der Schnitt liegt aber knapp über 20. Ein sehr junges Team also.
So gehört Evelyn Brinster mit ihren 25 Jahren schon zu den ältesten Spielerinnen hier. Vier Brüder hat sie und war zu Hause schon die Älteste, das hat ihr unter den Jungs genügend Respekt verschafft, um mit Fußball spielen zu dürfen. Vereinssport hat sie aber erst mit 16 Jahren angefangen, und das lag an ihrer Klassenlehrerin, die sie auch gleich zu sich nach Merzbach holte.
Seit drei oder vier Jahren spiele sie nun in Rheinbach. Die Gemeinschaft ist so gut in Rheinbach, dass fast alle früher als auf dem Plan ausgewiesen am Rand des Spielfelds sitzen und erst eine Runde Quatschen. Ganz so ernst sieht sie das Spielen nicht: "Ich mach’ nur einfach so ..."
Nele Blißenbach, 21 Jahre alt, kommt sogar aus Euskirchen, um hier mitzuspielen. "Ich bin hier zur Schule gegangen. Die Gemeinschaft ist toll." Und Freundin Leonie Schmitz sagt, sie sei eine "sehr gute Spielerin." Links außen spielt sie, und sie ist schnell. Ihr Tipp zur WM: "Deutschland scheidet früh aus." Ihre Einschätzung hat mit der Medienpräsenz der Frauen in den Wochen vor dem Turnier zu tun. "Eigentlich war plötzlich WM." Und sie glaubt, dass die Erwartungen viel zu hoch sind. Inzwischen, nach dem 6:0-Start gegen Turnierneuling Marokko dürfte das nicht besser sein.
Alina Schmitz hingegen ist voll der Zuversicht, dass die Frauen wie bei der EM auftrumpfen: "Allein, um zu zeigen, wo der Frauenfußball hingehört."
Aber in Rheinbach geht es nicht um eine Weltmeisterschaft. Trotzdem klingt der Ton des Trainers deutlich rauer als etwa beim FC Pech in Wachtberg, wo der Coach die Frauen an einer unsichtbaren Leine führt und sich alles scheinbar von selbst erledigt. Auf dem weit über 20 Jahre alten Kunstrasenplatz hinter der Glasfachschule gellen an diesem Freitag die Kommandos für das Aufwärmtraining über den Platz, als ob eine US-amerikanische Elitekompanie eine extra Drillrunde einlegen müsste: "Lockere Bahn hoch und runter! Habt ihr die Bälle gezählt?" Die Antwort ist ein kleinlautes "Nein" aus mehreren Kehlen.
Dann trifft die Jüngste ein. Sie hatte gerade noch Fahrschulunterricht. Gleich muss sie sich Sprüche anhören, wie "Da müssen ja jetzt Gummibäume in der Stadt aufgestellt werden."
Doch das ist alles nur oberflächlich. Als eine neue Spielerin beim engen Trippeln über Hindernisse während der Laufrunde eines reißt und es wieder aufstellen will, befielt Siegmund: "Weiterlaufen! Das mach’ ich." Die Spielerinnen wissen schon, was sie an ihm haben.
Der Ehrgeiz hält sich in Grenzen, und das Lieblingsthema ist die dritte Halbzeit. Wir besuchen gemeinsam die Kirmes, den Pub und treffen uns auf Gartenpartys", berichtet Spielerin Alina Schmitz (24). Bei den Spielen der Damen Eintritt zu kassieren, wäre wie Geld eintreiben unter Freunden. "Die Zuschauer setzen sich aus der Zweiten Mannschaft, den Jungs, den Familien und alten Freunden zusammen", sagt Schmitz.
Die Rheinbacher Frauen haben tatsächlich vier Trainer. Siegmund hat einen Stellvertreter, Ralf Künkler, zudem gibt es einen Torwarttrainer und eine Frau im Trainergespann. "Die Dame stammt aus dem Hockeybereich, einer hat Erfahrung mit Handball und American Football - das bringt in Bezug auf Athletik andere Sichtweisen ins Training ein", findet Siegmund.
Klar schaut Siegmund derzeit auch nach Australien, aber er findet: "Die wahren Helden sind die Jugendtrainer. Die, die ihre Freizeit opfern."