Zwei Jahre nach der Flut gibt ein Rundgang durch Flerzheim Einblicke in die Entwicklungen seit der Starkregenkatastrophe. Mit Ortsvorsteherin Ellen Schüller geht es von der Kirche St. Martin durch den Ort, immer vorbei am Swistbach.
Flerzheim zwei Jahre nach der Flut„Der Ort war für eine Zeit geteilt“
Judith Mengel ist gebürtige Flerzheimerin und lebt in der dritten Generation im Ort. „So eine Flut hatten wir noch nie“, erzählt sie und blickt dabei in den Swistbach. Es ist kaum vorzustellen, dass dieser Bach, der im Moment maximal einer Pfütze ähnelt, so viel Schaden anrichten konnte. Der Swistbach ist gerade, zwei Jahre nach der Flut, nahezu ausgetrocknet. Noch immer riecht es jedoch nach Öl.
Einige Häuser im Ort stehen seit der Flut leer. „Manche Menschen schaffen es emotional nicht, in ihrem Haus zu bleiben“, sagt Mengel. Die Ortsvorsteherin von Flerzheim, Ellen Schüller ergänzt: „Es braucht viel Energie, und irgendwann will man sich nicht mehr damit beschäftigen. Wir haben noch Glück gehabt in ihrem Ort, niemand ist gestorben.“ Die Schicksale seien sehr individuell. „Die Flut hat vieles offengelegt. Sie hat auch zwischenmenschliches aufgedeckt“, berichtet Mengel.
Kellerfenster flogen raus
Direkt am Swistbach, gegenüber von der katholischen Kirche St. Martin, lebt Peter Friederichs. Das Wasser sei in der Flutnacht aber nicht vom Bach vor seinem Haus, sondern von der anderen Seite gekommen. „Irgendwann flogen die Kellerfenster raus“, so Friederichs. Er habe das Unglück erst bemerkt, als das Wasser schon richtig stand: „Dann war es aber zu spät.“ Der 85-Jährige habe sich in den ersten Stock gerettet, wo er auch ein Dreivierteljahr gelebt hat. „Das Wasser stand circa 40 Zentimeter hoch. Draußen an der Hauswand kann man noch gut erkennen, bis wohin es gekommen war.“ Seine Familie, die auch im Ort lebt, habe ihn unterstützt. „Ich wollte aber hier alleine wohnen bleiben“, erklärt Friederichs schmunzelnd. Das Erdgeschoss seines Hauses sieht noch immer frisch renoviert aus, Mittelpunkt ist das Wohnzimmer: „Meine Frau wollte immer ein großes Wohnzimmer“, sagt er. Die sei bereits vor vielen Jahren verstorben. „Man darf nicht verharren“, bekräftigt Ellen Schüller, als sie den Blick durch das Haus von Peter Friederichs streifen lässt.
„Der Ort war für eine Zeit geteilt in zwei“, erzählt Schüller: „Ich wusste zum Beispiel nicht, wie es Judith ging, weil sie auf der anderen Seite des Swistbachs wohnt.“ Schüller: „Wir waren sogar in der Flutnacht noch im Keller. Bei mir im Haus gibt es eine Souterrainwohung, in die wir gegangen sind. Der Mieter war zu der Zeit im Urlaub.“ Plötzlich habe es einen lauten Knall gegeben und das Wasser stand blitzschnell in der ganzen Wohnung des Mieters. „Was ein Glück, dass er nicht da war. Er wäre vermutlich nicht mehr rausgekommen“, so Schüller weiter.
Dorfgemeinschaft hat keinen Räumlichkeiten mehr
Mit der Dorfgemeinschaft sei es schwierig seit der Flut, berichten Ortsvorsteherin Schüller und Anwohnerin Mengel. „Wir haben keine Räumlichkeiten mehr, in denen wir uns treffen können. Vorher haben wir uns in der Gaststätte Schäfer getroffen. Der Dorfsaal dort wurde aber komplett überflutet“, erklärt Schüller. Nun wolle die Besitzerin das Gebäude verkaufen. Eine Alternativlösung hat Schüller aber bereits im Blick: Wir möchten eine Halle aus Leichtbauweise, also einen Container, auf dem Dorfplatz aufstellen.
Neben der Kirche St. Martin in Flerzheim ist die Grundschule gelegen. Gegenüber stand die Turnhalle. All das wurde überflutet. „Die neue Turnhalle und das neue Schulgebäude sollen auf dem Gebiet neben dem Sportplatz gebaut werden“, erklärt Schüller. Während die Turnhalle bereits abgerissen wurde, steht die Grundschule noch. „Die Kinder werden noch darin unterrichtet, sie sollen aber bald in Container ziehen.“ Diese werden dort aufgestellt, wo zuvor die Turnhalle stand. Wegen Hochwasserschäden muss die Grundschule aufgegeben werden, das hat eine Machbarkeits studie ergeben.
Mit ein wenig wehmut blicken Schüller und Mengel auf den umzäunten Bereich. Viel haben beide hier erlebt. „Die Turnhalle war ein Mittelpunkt des Ortes“, sagt Schüller:„ Aber es ist klasse, dass die Kinder weiter zu Fuß zu ihrer Schule gehen können.“ Und die Turnhalle sei auch in die Jahre gekommen, ergänzt Schüller schmunzelnd. Die Gelder für den Bau seien zugesagt, vier bis fünf Jahre solle es dauern.
In einer kleinen Nebenstraße unweit des Swistbachs ist eine Baustelle zu sehen. „Hier stand ein großes, schönes Bachsteinhaus, was auch von der Flut betroffen war. Als fertig saniert wurde, kam nochmal ein Gutachter und hat festgestellt, dass noch immer Öl im Haus zu finden ist“, so Mengel. Das Haus wurde dann abgerissen, die Besitzer wohnen in einem Wohnwagen. „Einige Hausbesitzer haben auch ein Problem mit dem Denkmalschutz“, ergänzt Schüller.
Viele ältere Leute weggezogen
Auf dem Weg zu dem einzigen Laden des Ortes, überquert Ortsvorsteherin Ellen Schüller den Swistbach — oder was sich gerade von ihm erahnen lässt — und erzählt von denjenigen, die ihr Haus nach der Flut verlassen mussten: „Gerade ältere Leute sind teilweise sehr schnell verschwunden, sind von ihrem Haus in Pflegeheime oder andere Einrichtungen gezogen.“ Sie habe sich gar nicht richtig von den Menschen verabschieden können.
Das Abschied nehmen war auch in anderer Hinsicht für Schüller ein Thema: „Mein Schwiegervater wäre eigentlich beerdigt worden als die Flut kam. Wir mussten dann warten und haben ihn im kleinen Kreis verabschiedet.“
Als die Ortsvorsteherin kurz vor dem Laden von Familie Mohamed verharrt, kommt sie auf ihre Arbeit während dieser Zeit nach der Flut zu sprechen:„Wir haben uns alle bemüht, dass wirklich keiner alleine gelassen wurde. Das war auch kein Lippenbekenntnis“, bekräftigt Schüller. Das Erinnern und mit den Erkenntnissen aus dieser Zeit in die Zukunft zu gehen, finde sie wichtig.
Der kleine Laden der Familie Mohamed hat die Flut jedenfalls überstanden. Hier gibt es wieder die Tageszeitung, Backwaren, gekühlte Getränke und Lebensmittel für den täglichen Bedarf. Von der Flut war die Familie gleich doppelt betroffen: Sowohl der Laden, als auch das Haus wurden geflutet. „Anfang November 2021 konnten wir wieder öffnen“, erzählt Mohamed. Jedoch habe er nun weniger Kundschaft. „Ich habe nur vormittags auf, weil es sich sonst nicht mehr lohnt“, erklärt er. Das liege auch an den vielen älteren Leuten, die weggezogen sind: „Am liebsten hätte ich gar nicht wieder aufgemacht, es ist sehr schwer geworden.“
Hoffnung mitten im Chaos
Neben den persönlichen Schicksalen, von denen die Ortsvorsteherin, die 2020 dieses Amt antrat, weiß, hat sie auch eine Anekdote zu erzählen, die Mut macht: „Ich bin Oma geworden in der Zeit der Flut. Da war dann der Kleine, und ihm ging es gut - das war ganz viel Motivation für mich“, sagt Schüller. Es hätten sich viele mit ihr und ihrer Familie mit gefreut. „Mitten im Chaos haben Freunde meines Sohnes die Sektgläser rausgeholt und wir haben angestoßen.“
Für die Zukunft wünscht sich Schüller „möglichst bald die Interimslösung auf dem Dorfplatz“. Sie sehe es als Chance, das Dorfleben wieder aktiv zu gestalten. „Eigentlich bin ich zuversichtlich, dass das klappt“, so Schüller. Der Ort, der circa 3000 Einwohner hat, werden zudem dank der neuen Schule attraktiv bleiben.