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Fingerspitzengefühl für KnochenKonservierung des „Ötzi von Rheinbach“ schreitet voran

Lesezeit 4 Minuten

Im Oktober 2019 wurde der Fund beim damaligen Tag der Restaurierung erstmals öffentlich präsentiert. Susanne Domke (r.) erläuterte die Arbeiten.

Rheinbach/Bonn – Im abseits gelegenen Labor im Untergeschoss der Restaurierungswerkstätten des Bonner LVR-Landesmuseums ist es nahezu einsam. Es fehlen die Geräusche aus benachbarten Arbeitsräumen oder Fachsimpeleien auf dem Flur, und nur gelegentlich wird jemand vom Licht angelockt, das während des regulären Betriebs eher selten brennt. In dieser ruhigen Atmosphäre geht die Restaurateurin Susanne Domke ungestört ihrer Arbeit nach: Der Konservierung der ersten und fast vollständig erhaltenen menschlichen Überreste eines vor zwei Jahren in Rheinbach ausgegrabenen Mannes aus der Jungsteinzeit.

Ausgestattet mit Kittel und Schutzbrille, Atemschutzmaske und Handschuhen sichert Domke die empfindlichen Gebeine, die zunächst mit einem Konservierungsmittel getränkt werden. Dieser Prozess, bei dem es um Substanzerhaltung geht, nennt sich Konsolidierung. Die dabei entstehenden gesundheitsschädlichen und entzündlichen Lösungsmitteldämpfe werden über die hausinterne Absauganlage aus dem Raum abgeleitet.

„Ötzi von Rheinbach“ ist 4000 Jahre alt

Seit 2018 arbeitet Susanne Domke als wissenschaftliche Volontärin in der Restaurierung für archäologisches Kunst- und Kulturgut am LVR-Landesmuseum. In ihrem jüngsten Blog-Beitrag auf der Internetseite des Museums berichtet die Fachfrau über die von ihr angewandten Präparationsmethoden der sogenannten Tränkung und anschließenden Trocknung des fast vollständig erhaltenen Skeletts, das im Januar 2018 im neuen Rheinbacher Gewerbe- und Industriegebiet „Wolbersacker“ gefunden wurde.

Die von ihr angewendeten Verfahren sind aufwändig und langwierig und auch der Umgang mit den Knochen erfordert höchste Vorsicht, schließlich lagerten sie mehrere Tausend Jahre im feuchten, lehmigen Boden in einem Feld nahe der Autobahn 61. Auf dem zu Rheinbach gehörendem Gebiet befindet sich heute das neue DHL-Distributionszentrum, das für den Elektronikkonzern Eaton Waren lagert und verteilt.

Mit seinen zarten 4000 Jahren ist „Ötzi von Rheinbach“, wie der Spitzname des einst in Seitenlage mit angewinkelten Beinen Begrabenen lautet, nur knapp 1300 Jahre jünger als sein Namensvetter, die Gletschermumie „Ötzi“ aus Südtirol – das ist geradezu ein Klacks in der geologischen Zeitrechnung. In der Region ist das fast vollständig erhaltene Skelett inzwischen fast ebenso bekannt wie der berühmte „Mann aus dem Eis“. „Männlich, um die 40 Jahre alt, circa 1,69 Meter groß, kräftige Statur und einige Zahnprobleme“, so beschreibt der Anthropologe und Archäologe Christian Meyer die Überreste.

Erstes noch erhaltenes Skelett im Rheinland

Sie gelten als eine archäologische Sensation, denn laut Aussage von Experten handelt es sich um das erste noch erhaltene Skelett im Rheinland aus der Zeit um 2500 bis 2050 vor unserer Zeitrechnung. Die sterblichen Überreste des mit 40 Jahren verstorbenen Mannes sind inzwischen in den Besitz des Landes übergegangen, 2022 sollen sie der Öffentlichkeit präsentiert werden. Bevor die sterblichen Überreste des „Ötzis von Rheinbach“ bewundert werden können, müssen seine von der langen Lagerung fragil gewordenen Knochen samt der sie umgebenen Erde erst einmal hergerichtet werden. Und dazu braucht Susanne Domke viel Geduld und Fingerspitzengefühl.

Im Fall einer „unkontrollierten Trocknung“ etwa, führt die Restaurateurin ein Beispiel an, „wären jetzt vermutlich nur noch winzige Fragmente übrig geblieben, die mir bis zum Lebensende Puzzlearbeit beschert hätten“. Zu verdanken sei der gut erhaltene Zustand der Knochen eigentlich nur der Tatsache, so Domke, dass das Grab an der Grenze zum tiefer liegenden kalkhaltigen Löss gelegen habe. Die von der heutigen Oberfläche aus betrachtet in einem Meter Tiefe angelegte Grabgrube war vom Ackerbau verschont geblieben, weil die Schneiden der Pflüge sie nicht erreichen konnten.

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Ganze fünf Monate hat es gedauert, bis sowohl das Wasser als auch das Lösemittel des Konservierungsmittels aus Erdblock und Knochen entwichen waren und alles getrocknet war. Das bedächtige Vorgehen war hier von Vorteil, denn je langsamer der Block trocknet, desto schonender ist dieser Prozess für die Knochen. Zu sehen sind zum Leidwesen der Restaurateurin trotz aller Vorsicht ungeliebte Nebeneffekte des Trocknungsprozesses, wie Risse, die im Erdblock und durch das Skelett verlaufen.

Die Knochensubstanz ist durch die Verfahren der Tränkung und Trocknung aber gefestigt und das bedeutet, dass der Mann vom Wolbersacker ausgestellt werden kann. Zuvor jedoch müssen die Überreste als Grab präsentabel hergerichtet werden, damit „die Blockbergung wieder als Grab erfahrbar wird“. Die hierzu erforderlichen Arbeitsschritte wird Susanne Domke demnächst auf der Internetseite des LVR-Landesmuseum vorstellen. www.lvrlandesmuseumbonn.wordpress.com/