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Nach tödlichem Amoklauf in Meckenheim„Wieso hatte der überhaupt eine Waffe?“

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An der Josef-Kreuser-Straße durchschlug ein Projektil dieses Fenster, verletzt wurde aber niemand.

Meckenheim – Um die Ein- und Mehrfamilienhäuser am Meckenheimer Frankenweg und um die Tombergstraße herum ist es gestern Morgen um 9.30 Uhr noch ruhig. Ein scheinbar normaler Montag. Doch zahlreiche Einschusslöcher an Fassaden, zerborstene Scheiben und Markierungen auf dem Asphalt sind die Spuren eines nächtlichen Amoklaufs, der mit dem Tod eines 44-jährigen Meckenheimers endete.

Er hatte sich offenbar während eines Gefechts mit Beamten eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) in den Kopf geschossen. Das hat nach Mitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft eine rechtsmedizinische Untersuchung des Verstorbenen ergeben. Insgesamt wies der Körper des 44-Jährigen drei Schussverletzungen auf; zwei davon stuften die Rechtsmediziner aber nicht als Ursache für den Tod ein.

Während der Auseinandersetzung hatte der Mann einem 60 Jahre alten Polizeibeamten in die Hand geschossen. Er musste im Krankenhaus behandelt werden, weitere Opfer gab es nicht.

Bei Nachbarn als als verträglich und arbeitsam bekannt

Warum der bei seinen Nachbarn als verträglich und arbeitsam bekannte Meckenheimer, der Hausreparaturen und Renovierungsarbeiten übernommen haben soll, derart ausgerastet ist, kann sich bisher niemand erklären. Die Polizei vermutet das Motiv des Mannes im privaten Bereich. Hinweise auf einen politischen oder religiösen Hintergrund haben sich bisher nicht ergeben. Für die Betreuung von betroffenen Zeugen wurden Seelsorger eingesetzt.

Vor diesem Haus wurde der 60 Jahre alte Polizeibeamte von einer Kugel getroffen.

„Vor einigen Tagen habe ich ihn noch beim Arbeiten gesehen und ihm geraten, Schluss zu machen und nach Hause zu gehen“, sagte ein sichtlich erschütterter Anwohner der Tombergstraße.

Am Sonntagabend hatte einer seiner Söhne den 44-Jährigen in der Dunkelheit hinter dem Haus zunächst für einen Einbrecher gehalten. Als der vermeintliche Dieb dann jedoch vor dem Haus einen Holztisch gegen eine Treppe warf, sei klar geworden, dass hier ein Randalierer am Werk war. Welche Gefahr von ihm ausging, war da noch nicht klar.

Der ältere Sohn habe den Eindringling, der noch zwei große Messer verlor, nur noch von hinten gesehen, erzählt der Meckenheimer. Erst später habe sich herausgestellt, dass der Randalierer der Sohn der Nachbarin gewesen sei: „Kaum zu glauben!“ Morgens um 4 Uhr musste der Zeuge noch eine Aussage auf der Polizeiwache machen. „Ich bin total kaputt“, berichtete er am Montagmorgen.

Wahllos auf Häuser geschossen

Auf seinem weiteren Weg durch die Tombergstraße hat der 44-Jährige laut Aussage weiterer Anwohner dann offenbar wahllos auf Häuser geschossen, wovon gestern mehrere Einschusslöcher kündeten. Auch wurden Autos durch die Projektile beschädigt. Die Fahrzeuge wurden gegen drei Uhr morgens, als alles vorbei war, abtransportiert. „Ich bin noch einmal wach geworden, als der Tieflader durch die Straße fuhr“, sagte Brigitte Jordan, die mit Mann und Hund Max seit 2004 an der Josef-Kreuser-Straße wohnt.

In der Wohngegend um einen Seniorenkomplex geht es in der Regel sehr beschaulich zu, jeder Fremde wird beobachtet: „Wenn man nach 22 Uhr jemanden trifft, dann fällt das schon auf“, sagte die Frau, deren Familienauto gleich neben der Garageneinfahrt parkte, vor der der 60 Jahre alte Polizist in der Nacht getroffen wurde.

Auf der Tombergstraße rekonstruierten Ermittler am Montag den Weg des 44-Jährigen durch das Wohnviertel.

Die ersten Schüsse habe sie gegen 21 Uhr gehört, als sie mit ihrem Mann im Fernsehen eine Serie über Spezialeinheiten schaute, erzählt Jordan der Rundschau: „Ich habe drei Schüsse gehört, mir aber weiter nichts dabei gedacht, als es danach wieder ruhig war.“ Kurz vor dem obligatorischen Gassi-Gang mit ihrem Retriever habe jedoch eine Nachbarin angerufen und sie darüber informiert, dass ein Spezial-Einsatzkommando (SEK) vor dem Haus in Stellung gegangen sei. Als sie dann „die Nase aus der Haustür“ gesteckt habe, riet ein Beamter, zunächst drinnen zu bleiben.

Wie im Western

„Das war wie ein Western“, sagt eine Bewohnerin eines Nachbargrundstücks, die noch unter Schock stand. Kurz nach 21 Uhr war der Randalierer auch durch ihren Garten gestreift. Der Ehemann beobachtete den Eindringling vom Schlafzimmerfenster im ersten Stock aus und hielt ihn für einen Einbrecher: „Ich habe ihm zugerufen, er solle abhauen, da hat er mit einer Pistole auf mich geschossen!“ Zum Glück traf der Schütze jedoch ausschließlich das halb heruntergelassene Rollo und das Fenster.

Der Hausbesitzer konnte unverletzt aus dem Zimmer flüchten und sagte seiner Frau Bescheid, die daraufhin die Polizei rief. Etwas später zählte das Paar zunächst vier Projektile in seinem Schlafzimmer, ein weiteres wird noch „irgendwo“ vermutet.

Gestellt wurde der Mann letztendlich von den Spezialkräften. „Die Polizei hat nicht viel geschossen, aber der Täter wohl“, berichtet ein Hausbesitzer an der Josef-Kreuser-Straße, vor dessen vergitterten Souterrain-Fenstern sich das Drama abspielte. „Er hat im Gebüsch gestanden, und um 23.30 Uhr war alles vorbei“, sagt der traumatisierte Anwohner, der sich laut eigener Aussage „mitten in Meckenheim wie im Krieg“ wähnte: „Ich fühle mich schrecklich.“

Der Mann hatte auch mitangesehen, wie der Polizist schräg gegenüber angeschossen wurde und zu Boden fiel. Sichtlich schockiert zeigt er auf Einschusslöcher in einer Garagentür und in der Wand daneben. Dass so etwas „direkt vor der eigenen Haustüre passiert, das ist schon komisch“, sagt ein weiterer Bürger vom Amselweg.

Warum hatte der Mann eine Waffe?

Für alle steht die Frage im Raum: „Wieso hat der Mann eine Waffe bei sich gehabt?“ Bei der Durchsuchung der Wohnung des 44-Jährigen wurden neben Messern, Macheten und einer Axt auch eine große Menge Munition, sowie mehrere Lang- und Kurzwaffen sichergestellt. Der Verstorbene hatte laut Polizei als Sportschütze eine entsprechende Besitzkarte. Auf ihr sei jedoch nur ein Teil der gefundenen Waffen eingetragen gewesen.

Eckehard Haffner, stellvertretender Präsident der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft, sagte zu Gerüchten, nach denen der Schütze Mitglied in einer Schützenbruderschaft gewesen sein soll: „Er ist mir nicht bekannt. Pistolenschießen – außer Luftpistole – ist in unserer Bruderschaft nicht üblich.“ Hendrik Beer von der St. Sebastianus Schützenbruderschaft Ersdorf-Altendorf äußerte sich ähnlich.

Bürgermeister Holger Jung, der sich bereits am Sonntagabend vor Ort einen Überblick verschafft hatte, dankte gestern den Einsatzkräften. Sie hätten die unübersichtliche Lage schnell in den Griff bekommen. Jung wünschte dem verletzten Polizisten eine baldige Genesung. Seine Gedanken seien aber auch bei den Angehörigen des Verstorbenen.