Die Tattoo-Messe in Meckenheim begeistert Besucher mit kunstvollen Tätowierungen und Piercings. Organisiert wird das Event von Jürgen „JoJo“ Kastenholz, einem branchenerfahrenen Tattoo-Künstler.
Ein Schmetterling geht unter die HautBei der ersten Meckenheimer Tattoo-Messe zeigen die Tätowierer ihr Können
Kunstvolle, teils schon fotorealistische Porträts, Muster, Bilder und Schriftzeichen zieren die Arme, Beine, Hälse und sogar die Gesichter der Besucher und Standbetreiber. „Tattoos sind Kunst und Tätowierer sind Künstler und Handwerker“, sagt Jürgen „JoJo“ Kastenholz. Er ist 50 Jahre alt, und Ausrichter der Tattoo-Messe in der Meckenheimer Jungholzhalle. Wie alle hier ist natürlich auch JoJo tätowiert. „Seit Ende der 1990er ist tätowiert sein gesellschaftsfähig und deutlich häufiger geworden. Es gibt ja heute in jeder Stadt mehrere Tattoostudios, das war früher nicht so“, sagt er.
Bis zu 30 Prozent der Deutschen sollen tätowiert sein
Es gibt keine konkreten Zahlen, aber Schätzungen zufolge sollen 25 bis 30 Prozent der Deutschen tätowiert sein. Den Eindruck, dass es deutlich mehr sein könnten, benickt JoJo grinsend. Seit 2017 veranstaltet er Tattoo-Messen, etwa drei bis vier im Jahr.
29 Aussteller, Tattoo- und Piercing-Artists aus ganz Deutschland verschiedenster Stilrichtungen präsentieren sich an zwei Tagen in Meckenheim und bieten Beratung und Informationen rund um die Kunst auf der Haut. Schmuck, Zubehör, Kleidung und ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm mit Livemusik wird ebenfalls angeboten. Natürlich zeigen die Tätowierer ihr Können auch direkt vor Ort.
Nicole macht seit 24 Jahren Piercings, einst war sie Krankenschwester. Gerade hat sie Kerstin ein Nasenpiercing gestochen. „Ganz spontan, das war eigentlich nicht geplant“, sagt Kerstin. Der Schmuck gefalle ihr einfach, sagt sie auf die Frage, warum sie sich Metall durch die Nasenwand bohren lasse. Schmuck hätte sie sich doch auch um- oder anhängen können? Das sei nicht das gleiche, erwidert sie. Piercings und Tattoos scheinen zusammenzugehören: Die meisten Besucher haben beides, und dann auch jeweils mehrere.
Am Stand schräg gegenüber sitzt Sabrina. Sie lässt sich eine Comicfigur auf den Oberarm stechen. Erst die Umrisse, dann kommt die Farbe. Ihr Tätowierer, Patrick, macht das seit 15 Jahren und wird für dieses Bild etwa sechs bis acht Stunden benötigen. Die Kosten für Tattoos berechnen sich nach Aufwand, sagt JoJo. Eine münzgroße Blüte in Schwarz und Grau schlägt vielleicht mit 80 Euro zu buche, schätzt er. Da wird Sabrinas Comic-Heldin auf der Schulter vermutlich eine kleine Investition.
Zum Tätowieren benutzen die meisten professionellen Tattoo-Studios eine elektrische Tätowiermaschine. Sie sticht die in Tattoo-Farbe getauchten Nadeln, die nicht hohl sind, sondern durch Kapillarkräfte die Tinte hochziehen, mit einer Frequenz von etwa 10 000 Stichen pro Minute in die Haut – so schnell, dass die Bewegung für das Auge nicht mehr sichtbar ist. Linien und Umrisse werden mit drei oder mehr Nadeln gestochen, Flächen mit einem Block von bis zu 45 Nadeln. Die Nadeln sind 0,2 bis 0,4 Millimeter dick und müssen immer wieder in die Farbe getaucht werden.
Wie tief gestochen wird, ist Erfahrungssache. Geht es zu tief in die Unterhaut (Subcutis), verliert das Tattoo an Kontur, es verschwimmt. Wird nicht tief genug gestochen, verschwindet es aber auch, da sich die oberste Hautschicht (Oberhaut, Epidermis) ständig erneuert. Eine Herausforderung beim Stechen ist die unterschiedliche Dicke der Haut an den unterschiedlichen Körperstellen. „Der Hals ist zum Beispiel kompliziert und sensibel“, sagt Michael, der bei Yvonne gerade einen Schmetterling sticht. „Der steht für mich für Freiheit“, sagt sie.
Hygiene wird großgeschrieben, die Tätowierer tragen Handschuhe, die Kunden sitzen oder liegen auf mit Folie überspannten Stühlen oder Liegen, selbst die Stromzuführungskabel der Tätowiermaschinen sind mit Folie überzogen. Dass die Nadeln und auch die Farbnäpfchen bei jedem Kunden gewechselt werden, versteht sich von selbst.
Das Tattoo bleibt dauerhaft sichtbar, weil es in die Lederhaut (Dermis) gestochen wird. Das ist die zweite von den drei Schichten der Haut. Dort können die Farbpigmente aus den Tattoo-Farben dauerhaft eingelagert werden. Durch UV-Strahlung allerdings können sie verblassen. Und wenn sich die Haut in ihrer Spannkraft verändert, kann sich auch das tätowierte Gesicht des geliebten Hundes im Laufe der Jahre seltsam verziehen. „Entfernen ist teuer und schmerzhaft“, sagt JoJo. Besser sei, einfach nachzustechen oder mit einem neuen, dunklen Tattoo darüber zu gehen.
Porträts und realistische Motive seien derzeit gewünscht, berichtet JoJo, der ein Studio hatte, das aber bei der Ahrflut „abgesoffen“ sei. Ramona (44) lässt sich gerade ein Bild eines Roulette-Spiels auf die Schulter stechen. Wie viele Tattoos sie habe? Sie hätte aufgehört zu zählen, grinst sie. Und warum sie sich Tattoos stechen lasse? „Weil es schön ist“. JoJo meint, „das ist eine Sucht. Es fängt mit einem kleinen an, dann willst Du immer mehr“. „Anita ist ‘ne Litfaßsäule, die hat überall Tattoos, außer im Gesicht“, sagt Jennifer, die Permanent Make-up als Kosmetikerin gemacht hat und sich das Tätowieren vor knapp vier Jahren selbst beibrachte. Auf Anitas Unterarm sticht sie gerade den letzten freien Fleck mit Farbe zu.
Schwarz und Grau seien die häufigsten Farben, sagt JoJo. Danach kämen Rot, Blau und Pink, berichtet Tina, die Farben und Zubehör verkauft. Alle Farben kämen aus Amerika. Sie bestünden aus Farbpigmenten, Glycerin, Wasser und Konservierungsstoffen. Sie alle müssen aber der sogenannten REACH-Verordnung der EU entsprechen, eines der strengsten Chemikaliengesetze der Welt. Damit soll verhindert werden, dass in der EU gefährliche, gesundheitsgefährdende Chemikalien verwendet werden. Hersteller und Importeure müssen das sicherstellen und ihre Stoffe registrieren.
Einem bekannten Farbstifthersteller in Deutschland war das jüngst zu risikoreich. 2015 stieg er ins Tattoo-Farben-Geschäft ein, hatte sogar in Hamburg ein eigenes Tattoo-Studio betrieben. Ende 2024 ist Schluss damit. „Aufgrund der verhärteten gesetzlichen Grundlagen für Tattoo-Farben in den letzten Jahren mussten wir feststellen, dass wir die Reinheitsanforderungen an unsere Tattoo-Produkte trotz unserer Tintenentwicklungskompetenz nicht REACH-konform erfüllen können“, wird der CEO in einer Pressemitteilung auf der Firmenseite zitiert.
Nicht ohne Risiko
Die beim Tätowieren verwendeten Tinten können Probleme bereiten. Der Mainzer Experte und Hautarzt Dr. Uwe Kirschner berichtet in seinem Blog im Internet von Kontaktallergien, Wechselwirkungen der Farbbestandteile mit Implantaten oder von in den Tinten gefundenen Nanopartikeln, über deren Wirkung im Körper noch nichts bekannt sei. Auch die Stichtiefe sei ein Risiko. Ist das Tattoo zu tief gestochen, können sich Farben und Bestandteile in der Leber und den Lymphknoten anreichern, mit unbekannten Auswirkungen.
Im Blog heißt es weiter, Tattoos seien für die Schweißproduktion problematisch. Denn gerade bei großflächigen Tattoos reduziere sich diese um bis zu 50 Prozent. Zum Problem könnte das werden bei schweißtreibenden Berufen oder Sportlern. Ebenso erschweren die Tattoos die Früherkennung von Hautkrebs. Veränderte oder neu entstandene Muttermale seien auf tätowierter Haut schwerer zu entdecken, so Kirschner. Außerdem beinhalte auch das Entfernen von Tattoos gewisse Risiken. Bei der operativen Entfernung könne es zu einer Entzündung kommen und bei der häufig angewendeten Laserbehandlung können Abbauprodukten der Tinten im Körper verbleiben.