Vor 100 Jahren starben bei einer Auseinandersetzung mit so genannten Separatisten bei Aegidienberg 16 Menschen.
Vor 100 JahrenWie Separatisten im Siebengebirge für einen eigenen Staat kämpften
Das Rheinland von der Deutschen Westgrenze bis an die Ränder des bergischen Landes als ein eigener Staat. Das war kurz nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur für die französischen Besatzer ein reizvoller Gedanke. Die hätten nach den Erfahrungen des Krieges gern einen Pufferstaat zwischen sich und dem Deutschen Reich installiert. Aber auch konservative Kräfte, die eine linke Revolution in Berlin fürchteten, spielten mit dieser Idee.
Die Republik in Koblenz proklamiert
Tatsächlich wurde vor 100 Jahren am 25. Oktober 1923 in der Hauptstadt der preußischen Rheinprovinz, also in Koblenz, die „Rheinische Republik“ proklamiert. Von Auswirkungen bis hinauf in den Rhein-Sieg-Kreis mit 16 Toten berichtet Historiker Elmar Scheuren, ehemaliger Chef des Siebengebirgsmuseums in Königswinter. In den nächsten Tagen hält er zwei Vorträge zum Thema. Außerdem wird in Aegidienberg an die damaligen Kämpfe erinnert.
Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg hatten die alliierten Truppen das Rheinland besetzt mit Brückenköpfen rund um Mainz, Koblenz und Köln. Die wirtschaftliche Lage mit Inflation und hoher Arbeitslosigkeit war katastrophal. In dieser Situation schlossen sich viele Enttäuschte, die zu den Verlierern der Gesellschaft zu zählen waren, der Bewegung der Separatisten an.
Um ihre Macht auch im Hinterland zu sichern, setzte die Separatistenregierung in Koblenz im November eine Truppe Richtung Norden in Bewegung, die die Bevölkerung auf ihre Seite ziehen sollte. Geld für die Unterhaltung gab es nicht. So verpflegte sich auch die Brigade „Rang“ des sogenannten „Rheinlandschutzes“, benannt nach ihrem Anführer, einem Bonner Maurer, durch "Requisition“, rabiate Plünderung. Dadurch konnten die Separatisten die Sympathien der Bevölkerung für die Rheinische Republik allerdings nicht gewinnen. Im Gegenteil: Vor allem die, die etwas zu verlieren hatten, speziell Landwirte mit vollen Lagern und Tieren in den Ställen riefen zur Mobilisierung eines Bürgerschutzes auf.
Auch Hennef, Siegburg und Menden betroffen
Dass sich auch in südlich gelegenen Gemeinden des damaligen Siegkreises wie Uckerath, Hennef, Oberpleis, Menden oder Siegburg Menschen aufmachten, um sich dem Rheinlandschutz entgegenzustellen, hält Elmar Scheuren für sehr wahrscheinlich. Von solchen Bewegungen in Uckerath und auch im angrenzenden Westerwald weiß er zu berichten.
Als die nahezu ohne Arbeit und Lebensmittel existierende Arbeiterschaft zögerte, boten die Landwirte Nahrung an. Großküchen wurden für die Bürgerwehren eingerichtet. „Für viele war das ein tolles Gemeinschaftserlebnis“, berichtet Scheuren. Tatsächlich gekämpft wurde selten und wenn, dann mit Waffen, die Weltkriegsveteranen nicht abgegeben, sondern versteckt und wieder hervorgeholt hatten. Eskaliert sei die Situation schließlich in Aegidienberg, beschreibt der Historiker. Von Bad Honnef kommend, wurden die Separatisten von einer Bürgerwehr erwartet.
Als der 18-jährige Schmied Peter Staffel auf das Trittbrett des ersten Wagens sprang und schrie „Halt, was wollt ihr“, wurde er erschossen. Später plünderten die Separatisten in einem Dorf. In Halver bei Aegidienberg nahmen sie, um sich zu schützen Geiseln, die sie wie Schutzschilde vor sich stellten. Die so aufgewiegelten Bürgerwehren griffen brutal durch, töteten, wen sie erwischten, übten Lynchjustiz. Am Ende waren 14 Separatisten und zwei einheimische Geiseln tot.
Mit dem Ende der Rheinischen Republik im November ebbte auch die Stimmung auf dem Lande ab. Nachdem die Veröffentlichung der Strafregister einiger Bonner Separatisten international Protest hervorgerufen hatte, war es auch mit dem Rückhalt der Franzosen vorbei.
Geschehen wurde umgedeutet und verdreht
Bis heute, so Scheuren, sei das Thema in der Region vielerorts ein Tabuthema. Das brutale Vorgehen der Bürgerwehren deuteten NS-Ideologen ein Jahrzehnt später als heldenhafte Verteidigung der Heimat um. Veteranentreffen wurden organisiert, Postkarten gedruckt, die Schlacht in Bildern nachgestellt. „Es hieß, in Aegidienberg sei das Deutschtum verteidigt worden, das war die erste Verdrehung der Tatsachen.“, bewertet der Historiker. „Dass die so genannte Schlacht den Separatisten das Genick gebrochen habe, ist die zweite.“
„Er fiel für die Deutsche Einheit“, sei auf den Grabstein von Theodor Weinz geschrieben worden. Der Senior war eine der Geiseln und Schutzschilde der Separatisten, die durch eine Kugel getötet wurden. „Der Mann war völlig unbeteiligt“, stellt Scheuren klar. Dass in ein Denkmal für die „gefallenen Helden“ des ersten Weltkrieges eine von den Separatisten zerschlagene Kirchenglocke eingebaut wurde, „stellt einen Kontext her, den es nicht gibt“.
Eine Linie von der Rheinischen Republik bis zum aktuell weltweit aufkeimenden Nationalismus zu ziehen, möchte sich Scheuren nicht anmaßen. Parallelen sieht er dennoch: „Der Nationalismus ist ein Grundübel der Neuzeit, seit man überhaupt von Nationen spricht. Das ist eine Geschichte, die immer wieder kommt.“ Das sei letztlich auch ein Grund gewesen, warum 1920 der Völkerbund mit Sitz in Genf und 1942 die Vereinten Nationen gegründet worden seien, zieht der Historiker am Ende doch noch den großen Bogen.
Veranstaltungen
Die „Schlacht“ im Siebengebirge und ihre Folgen ist am Mittwoch, 15. November, 18 Uhr, das Thema von Elmar Scheuren im Siebengebirgsmuseum, Königswinter, Kellerstraße 16. Kostenbeitrag sieben, Ermäßigt 5,50 Euro.
Die Rheinische Republik der Jahres 1923 und die „Schlacht“ im Siebengebirge lautet das Thema des Historikers am Donnerstag, 16. November, 19.30 Uhr, in der Aula der Konrad-Adenauer-Schule in Bad Honnef, Eintritt frei, Spenden erwünscht.
Zu einer Gedenkfeier zur Separatistenabwehr mit dem Historiker Dr. Ansgar Klein laden der Bürgerverein Aegidienberg und die Stadt Bad Honnef am Samstag, 18. November, 18 Uhr (Einlass 17 Uhr) ins Bürgerhaus ein. Dort wird das Heft „Der Abwehrkampf in Aegidienberg“ vorgestellt.