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Drei Jahrzehnte im KnastDer Ex-Bonner Jens Söring über sein erstes Jahr in Freiheit

Lesezeit 4 Minuten
Jens Söring

Jens Söring im Palmengarten in Frankfurt. 

Bonn – Er sagt von sich selbst, er sei „der letzte Westdeutsche“. Das klingt ein bisschen ironisch nach dem „Letzten Mohikaner“, hat aber ein Körnchen Wahrheit. Als Jens Söring 1986 als 19-Jähriger wegen Doppelmordes an den Eltern seiner Freundin verhaftet wurde und ins Gefängnis kam, stand noch die Berliner Mauer, war Helmut Kohl Bundeskanzler und Boris Becker Sieger in Wimbledon. Jetzt, 35 Jahre später, ist die Mauer gefallen, Helmut Kohl verstorben, und Boris Becker macht irgendwas.

Söring, inzwischen 55, ist in ein anderes Land heimgekehrt. Genau 33 Jahre, 6 Monate und 27 Tage war er hinter Gittern, zuerst in England, dann in den USA, verurteilt für eine Bluttat, die er nicht begangen haben will. Am 26. November 2019 wurde er von der US-Justiz auf Bewährung entlassen und in die Bundesrepublik abgeschoben. Über sein erstes Jahr in Freiheit hat Söring ein Buch geschrieben („Rückkehr ins Leben“, C. Bertelsmann, 304 Seiten, 20 Euro).

Urteil lautete zweimal lebenslänglich

„Ich weiß, dass ich unschuldig bin“, sagt der Autor im Vorwort, fügt aber hinzu, dass man ihn einen Doppelmörder nennen darf. Denn ein Gericht in Bedford im US-Bundesstadt Virginia hat ihn am 21. Juni 1990 rechtskräftig wegen Mordes zu zweimal lebenslänglich verurteilt.

Die Geschichte dahinter ist bizarr. Jens Söring wird am 1. August 1966 als Sohn eines deutschen Diplomaten in Bangkok geboren, er hat einen jüngeren Bruder. Die Familie lebt zwischen seinem siebten und zehnten Geburtstag in Bonn, zunächst im Stadtteil Kessenich unweit von Haribo, und er erinnert sich noch an den Geruch der Gummibärchenherstellung; dann zieht die Familie auf die Hardthöhe, Kinder von Bundeswehrsoldaten sind seine Spielkameraden. Der Vater wird schließlich ans deutsche Generalkonsulat in Atlanta/Georgia versetzt.

Per Hochbegabtenstipendium in den USA

Söring wächst in den USA auf, studiert mit einem Hochbegabtenstipendium an der Universität Virginia – und lernt dort die zwei Jahre ältere Elizabeth Haysom kennen. Die hübsche junge Frau ist die erste Liebe des sexuell unerfahrenen 18-Jährigen. Am 18. März 1985 werden ihre Eltern, das Industriellenehepaar Derek und Nancy Haysom, in ihrem Haus grausam ermordet. Sieben Monate später gerät das junge Paar in Verdacht und flieht durch Asien und Europa. Am 30. April 1986 verhaftet Scotland Yard die beiden nach einem Scheckbetrug in London.

Nach 33 Jahren in amerikanischer Haft versucht Jens Söring sich eine neue Existenz als Redner aufzubauen.

Viermal gesteht Söring den Mord, einmal weil er irrtümlich meint, als Sohn eines Diplomaten genieße er diplomatischen Schutz, dann - so seine Einlassung im Buch – um Elizabeth zu retten und schließlich um nicht auf dem elektrischen Stuhl zu landen. Einer, vor dem der junge Mann in London ein Geständnis ablegt, ist Bernd König, Staatsanwalt aus seinem letzten deutschen Wohnort Bonn. Er habe den Untersuchungshäftling, erinnert sich der Leitende Oberstaatsanwalt a. D. im Gespräch mit dieser Zeitung, zwischen Weihnachten und Neujahr 1986 im Beisein seines deutschen Anwalts Andreas Frieser und von zwei Beamten von Scotland Yard vernommen. „Söring war für sein Alter sehr eloquent. Das hat mich beeindruckt“. Die Erinnerungen an die Szene im Gefängnis gehen indes auseinander. Der Buchautor schreibt, der Staatsanwalt habe ein Geständnis benötigt, um ein deutsches Auslieferungsersuchen einzuleiten. König: „Ich bin überzeugt, ihm das nicht gesagt zu haben“.

Statt nach Deutschland wird Söring an die USA überstellt, zieht sein Geständnis zurück, bezichtigt seine Ex-Freundin der Tat, das Gericht sieht die Beweislage anders und verurteilt ihn zu zweimal lebenslanger Haft. Elizabeth Haysom bekommt 90 Jahre.

Wiederaufnahmeanträge allesamt abgelehnt

Der Deutsche stellt aus dem Knast wiederholt Wiederaufnahmeanträge, die abgelehnt werden. Die Folge: Frustration und Selbsthass. Er schildert in seinem Buch, wie er ihn durch Meditation überwunden hat und wie er sich sportlich fit hielt, um von Mithäftlingen nicht angegangen zu werden. In Deutschland hat sich unterdessen ein Freundeskreis gebildet, der ihn unterstützt und zwischen 2011 und 2018 in zehn Briefwellen jeweils zwischen 1500 und 5000 Briefe an Zeitungen und Politiker verschickt: Merkel, Steinmeier und andere bringen seinen Fall gegenüber amerikanischen Kollegen zur Sprache.

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Viele glauben seinen Unschuldsbeteuerungen, einer bezichtigt ihn öffentlich, ein Doppelmörder zu sein. Jens Söring nennt ihn nicht mit Namen, sondern nur einen „texanischen Blogger“. Dieser Mann heißt Andrew Hammel, ist amerikanischer Verteidiger und Übersetzer und lebt heute in Düsseldorf. Er hat die Fallakten studiert und in Gastbeiträgen in der FAZ und in der Berliner Zeitung behauptet, Söring sei der Täter; das ist auch auf Hammels Internetseite nachzulesen. Der Angegriffene widerspricht vehement.

Wie dem auch sei: Jens Söring hat 33 Jahre für eine Tat verbüßt, für die er, wäre er in Deutschland schuldig gesprochen worden, wahrscheinlich nach 15 bis 20 Jahren entlassen worden wäre. Er war, wie er sagt „drei Jahrzehnte auf dem Abstellgleis“. Seine Mutter ist 1997 gestorben, sein Vater und Bruder haben jeden Kontakt zu ihm abgebrochen. Aber Söring weigert sich „zu akzeptieren, dass mein Leben bis zum heutigen Tag eine Katastrophe sein soll“. Er hat sich zum Redner ausbilden lassen, um Menschen in ähnlich ausweglosen Lagen zu helfen.