„Die Taliban waren nie weg“Bornheimer Flüchtlingshelfer berichtet über Lage in Afghanistan
Bornheim – „Das, was jetzt in Afghanistan passiert, war vorhersehbar.“ Hussein J. (Name von der Redaktion geändert), der mit seiner Familie inzwischen in Bornheim wohnt und sich in der Flüchtlingshilfe engagiert, verfolgt das Geschehen in seiner Heimat mit großer Sorge.
„Die Taliban waren nie weg. Zu jeder Zeit in den vergangenen 20 Jahren waren sie überall. In der afghanischen Armee genauso wie in der Regierung“, sagt der 28-Jährige. 2016 war er mit seiner Frau und seiner damals dreijährigen Tochter aus Zentralafghanistan über Pakistan und den Iran nach Deutschland geflüchtet.
Jeden Tag mit den Freunden in Kontakt
Immer noch vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht mit seinen Freunden in Afghanistan telefoniert. Und endlich habe er vor ein paar Tagen auch das so sehr herbeigesehnte Lebenszeichen von seinem Bruder erhalten. „Seit der Machtübernahme der Taliban war er regelrecht verschollen“, berichtet Hussein J., dessen richtiger Name zu seinem Schutz nicht preisgegeben werden soll. Sein Bruder habe sich in der Provinz Nimroz im Südwesten Afghanistans aufgehalten, bevor es ihm gelungen sei, den Iran zu erreichen. Wie lange er dort jedoch bleiben kann, wisse niemand.
Seit dem die Taliban wieder an der Macht seien, habe sich das Leben für seine Landsleute in der Heimat radikal verändert, bestätigt Hussein J. entsprechende Berichte. „Es werden immer wieder Menschen mitgenommen oder direkt erschossen“, berichtet er. Und: „Die Taliban suchen nach Helfern der ausländischen Militärs. Sie gehen von Haus zu Haus, durchsuchen alle Zimmer, und sie finden die Helfer auch.“ Der 28-Jährige hat Kontakt zu Freunden in mehreren Provinzen. Aus Daikundi weiß er, dass Mädchen dort nur noch bis zur sechsten Klasse die Schule besuchen dürfen. Frauen dürften nur voll verschleiert und nur in Begleitung auf die Straße. „Meine Freunde dort haben schreckliche Angst“, berichtet er. Die Straßen seien erschreckend leer, kaum jemand traue sich aus dem Haus. „Die Taliban sind die mächtigste Terrorgruppe der Welt“, betont der 28-Jährige. Sie hätten neben ihren eigenen Waffen jetzt auch die des afghanischen Militärs – „und sie zeigen und leben ihre Macht“.
Mit langen Gewändern auf die Straße
Aus Mazar-e-Scharif will der Afghane aus Bornheim erfahren haben, dass die Männer auch nicht mehr in Jeans und T-Shirt auf die Straße dürften. „Sie müssen lange Gewänder tragen und Tücher um den Kopf.“ Auch ihre Bärte dürften sie sich nicht mehr stutzen oder rasieren. Wer nicht mitmache, dem drohe der Tod. Nur zu gut kenne auch er dieses Gefühl der Angst auf Schritt und Tritt. „Ich bin im Krieg aufgewachsen“, berichtet der 28-Jährige bei dem Gespräch in Bornheim. Wie oft schon ein Maschinengewehr auf ihn gerichtet worden sei, könne er gar nicht mehr zählen. Um den Grausamkeiten zu entkommen, seien er und seine Frau schließlich geflüchtet. Doch auch auf dem gefährlichen Weg nach Europa habe er miterlebt, wie zwei Menschen von Uniformierten einfach erschossen worden seien. „Das hätte auch uns erwischen können“, sagt er.
Hussein J. war noch ein Jugendlicher, als nachts die Taliban in das Haus seiner Familie eindrangen. „Ich wurde wach durch den Druck eines Gewehrkolbens auf meiner Brust“, erinnert er sich. Der Eindringling sei völlig vermummt gewesen. Im Nebenraum habe er seinen Vater, seine Mutter und seinen älteren Bruder schreien hören. Die Taliban hätten sie verprügelt, seiner Mutter die Finger gebrochen und seinem Bruder mit dem Gewehrkolben das Bein gebrochen. Um diesem Terror zu entkommen, seien seine Eltern mit ihm und seinen Geschwistern dann irgendwann in den Iran geflüchtet.
„Meine Eltern leben jetzt illegal dort, ohne Aufenthaltsgenehmigung und ohne eine Perspektive.“ Er selbst und später auch sein Bruder seien immer wieder ausgewiesen worden. Mehrfach seien sie über die Grenze von Afghanistan in den Iran, doch immer wieder habe man sie zurückgeschickt.
Dass er jetzt in Frieden und Freiheit in Deutschland leben kann, sieht der 28-Jährige als großes Geschenk. Als afghanischer Flüchtling habe er 2016 keinen Deutschunterricht bekommen, was er bis heute nicht verstehe. Doch der Wille war größer als die Hürden der deutschen Bürokratie. „Ich habe mir die deutsche Sprache alleine beigebracht“, berichtet der Bornheimer. Er hat sich seinem Bericht zufolge zu den erforderlichen Sprachprüfungen angemeldet und auf Anhieb bestanden. Bald half Hussein J. in der Bornheimer Flüchtlingshilfe sogar als Dolmetscher. Später suchte sich der 28-Jährige einen Ausbildungsplatz als Kfz-Mechatroniker und besucht inzwischen zusätzlich eine Abendschule.
Bis heute ist aber auch die Angst oft noch allgegenwärtig. Immer noch schrecken er und seine Frau nachts aus dem Schlaf. „Wir kriegen diesen Krieg und den Terror einfach nicht aus unseren Köpfen“, erklärt er.
Und die schrecklichen Bilder und die Nachrichten, die er und seine Frau zurzeit aus ihrer Heimat sehen und hören, seien für sie kaum mehr zu ertragen. „Ich denke jeden Tag an meine Familie, an meine Freunde, und ich mache mir sehr große Sorgen um sie und um Afghanistan“, erklärt er, und öfter fragt er sich auch: „Warum nur kann Afghanistan kein freies und offenes Land sein?“