Expertin zu Corona-Beschränkungen„Die Menschen brauchen Begegnung“
- Lockdowns, geschlossene Treffs, Homeschooling – all das hinterlässt Spuren bei jungen Menschen.
- Wie die Auswirkungen in der offenen Kinder- und Jugendarbeit spürbar werden, dazu befragte Jacqueline Rasch die Fachbereichsleiterin Jugendsozialarbeit bei der Katholischen Jugendagentur Bonn, Kathrin Friedrich.
- Die KJA ist einer der Träger von Jugendarbeit in Bornheim.
Frau Friedrich, wie hat sich die KJA, die auch das Stadtteilbüro im Bunten Viertel führt, auf die veränderten Bedingungen eingestellt?
Das Team im Stadtteilbüro, bestehend aus der Leitung, den Kollegen und Kolleginnen der Schulsozialarbeit und der Kollegin unseres Jugendmigrationsdienstes, haben sich direkt im März 2020 an die Arbeit gemacht, um neben den gewohnten analogen Zugängen zu den Bewohnern und Bewohnerinnen, die im ersten Lockdown am massivsten eingeschränkt waren, neue digitale Angebotsstrukturen zu schaffen.
Es gab online Angebote zu den Themen Musik, Spiel und auch Nachhilfe und Beratung konnten telefonisch stattfinden. Das Stadtteilbüro hat auch einen Druckerservice für Familien angeboten, um sie im Homeschooling zu unterstützen. Die Seniorengruppe hat mit Unterstützung des Teams eine Kettenbriefaktion auf die Beine gestellt, um weiterhin Nähe und Austausch zu haben.
Und nach dem ersten Lockdown?
Es gab wieder Präsenzangebote mit einem Hygienekonzept. Dazu gehörten Minigruppenangebote im Stadtteilbüro, aber auch in den Räumen der städtischen Jugendeinrichtung, persönliche Beratung und auch Ferienprogramme.
Auch bis und während des zweiten Lockdowns wurde bei uns in der Einrichtung 1:1-Beratung und Einzelfallhilfe in dringenden Fällen angeboten, dies war in der Jugendsozialarbeit rechtens und für die Menschen wertvoll.
Sind die Jugendlichen mitgezogen, oder haben Sie auch Kontakte verloren?
Die Leitung des Stadtteilbüros hat viel dafür getan, um die Familien zu unterstützen mit dem Ziel, dass ihre Kinder auch zum Beispiel an den digitalen Angeboten der Einrichtung teilnehmen können. Ob Kontakte in Teilen nur ruhen oder wirklich verloren gegangen sind, wird abschließend noch zu beurteilen sein, sobald eine deutliche Öffnung der Einrichtung wieder gegeben ist. Für die Beratung des Jugendmigrationsdienstes im Stadtteilbüro für die Zielgruppe der 12-bis 17-jährigen lässt sich aber definitiv feststellen, dass es häufig die einzige Anlaufstelle für diese jungen Menschen war, die gut erreichbar war. Sie kamen mit Aufenthaltsfragen, Wartezeiten auf Sprachkurse, die entstanden sind, Anschlussperspektiven nach der Schule und vielen verschiedenen Anliegen.
Erfahrungen der Schulsozialarbeit
„Ja, psychische und physische Gewalt nimmt zu, es gibt vermehrt Fälle von Kindeswohlgefährdung.“ Diese Erfahrung hat Sabine Krüger, Bereichsleiterin Schulsozialarbeit bei der Katholischen Jugendagentur, gemacht. Die Schulsozialarbeit ist in zehn Bornheimer Grundschulen, drei weiterführenden Schulen und im Stadtteilbüro vertreten. Es seien auch persönliche Kontakte zu den Kindern verloren gegangen, gerade, wenn keine persönliche Begegnung möglich war, so Krüger. „Probleme, die auch schon vorher vorhanden waren, haben sich verstärkt“, Fehlen in der Schule nehme zu. Die Eltern seien „oft hilflos und überlastet mit dem Homeschooling“, hätten Schwierigkeiten, das System zu verstehen oder digitale Handicaps; psychisch-soziale Probleme nähmen zu.
So wird es auch im Gesamtbericht 2020 Offene Kinder-und Jugendarbeit/Streetwork zusammengefasst: „Durch die neu entstandene Hürde konnten etliche junge Menschen, die nur über eine begrenzte technische Ausstattung verfügten, grundsätzlich nicht gern in sozialen Netzwerken aktiv sind oder Probleme mit Lesen und Schreiben haben, nicht mehr erreicht werden.“ Für die Angebote der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Bornheim stehen rund 395 000 Euro jährlich zur Verfügung. (jr)
Hat sich das Bedürfnis der Jugendlichen oder auch der Eltern nach Betreuung in der Pandemie geändert?
Die Eltern werden weiterhin und verstärkt einen erhöhten Betreuungs- und Förderbedarf haben beziehungsweise für ihre Kinder sehen und feststellen. Dabei werden sie im Rahmen unserer Möglichkeiten Unterstützung erhalten, wir werden natürlich auch mit Kooperationspartnern neue Angebote zur Unterstützung gründen.
Hat die Isolation jetzt zu mehr Gewalt in den Familien geführt?
Das ist aus unserer Sicht erst zu einem späteren Zeitpunkt im Rückblick zu bewerten.
Denken Sie, man kann nach der Pandemie zu den alten Betreuungsstrukturen zurückkehren, oder wird sich grundsätzlich etwas ändern?
Die Entwicklung und die Erfahrungen, die wir mit der Gründung von digitalen Möglichkeiten gemacht haben, werden wir weiter pflegen. Eine große Aufgabe von außerschulischer Bildungsarbeit wird es sein, Eltern, Jugendliche und Kinder für die digitale Welt fit zu machen, mit dem Ziel, mehr zu können, mehr teilzuhaben und sich in der digitalen Welt auch schützen zu können. Eine Rückkehr zu unserem pädagogischen Angebot in „Real“ wünschen wir uns dennoch sehr!! Die Menschen brauchen Begegnung, egal ob Jung oder Alt. Mehr Raum dafür zu haben, wäre für die Arbeit im Stadtteilbüro sehr wichtig. Auch ohne Pandemie sind unsere Räumlichkeiten voll ausgelastet. Gleichzeitig haben wir den Blick noch weiter für das Außen geöffnet. Toll wäre zum Beispiel eine Straßensperrung einmal monatlich von Frühjahr bis Herbst, um einen Straßenzug befristet im Viertel autofrei und somit bespielbar zu machen. 2021 haben wir in den Osterferien Programm gemacht – digital. Für die Sommerferien ist das Team auch in Planung. Dies ist nur ein Beispiel dafür, dass das Stadtteilbüro viel dafür tut, Struktur und Angebot lebendig zu gestalten.
Mit dem Gesamtjahresbericht der offenen Kinder-und Jugendarbeit und Streetwork befassen sich Jugendhilfe- und Schulausschuss in Bornheim heute, Donnerstag, ab 17 Uhr in der Rheinhalle Hersel.
Umfrage unter Jugendlichen
Die Mitarbeiter des Bornheimer „JugendKulturBusses1237“ haben Ende April 25 junge Menschen im Alter von 14 bis 21 Jahren Fragen zu ihrer persönlichen Zufriedenheit, ihren Erfahrungen mit dem Online-Unterricht und zu ihren derzeitigen Freizeitbeschäftigungen befragt. Teilgenommen haben 18 männliche und 7 weibliche junge Menschen. Auffällig ist das Ergebnis auf die Frage nach der Zufriedenheit:
58 Prozent geben an, „total unzufrieden“ zu sein. 31 Prozent sagen, sie sind „unzufrieden“, 11 Prozent fühlen sich „mittelmäßig“. Kein Teilnehmer hat „zufrieden“ angekreuzt.
31 Prozent fehlen Treffen mit Freunden, 26 Prozent fehlt Normalität, 22 Prozent Lust und Motivation.
57 Prozent der Befragten langweilen sich in ihrer Freizeit, 43 Prozent geben an, genug zu tun zu haben. Die Hälfte gibt als liebste Freizeitbeschäftigung Zocken, Streamen oder Social Media an, 20 Prozent beschäftigen sich mit Freunden oder dem Partner.
„Die Ergebnisse der Umfrage zeigen deutlich, dass sich die jungen Menschen einsam fühlen, das Homeschooling eine Herausforderung ist und die Sozialkontakte enorm fehlen“, heißt es auf der Homepage der Bornheimer Jugendarbeit. (jr)