Spieler im „Live-Escape-Game“ „UNbekanntes UNbehagen“ in der Kirche St.Sebastian in Bornheim-Roisdorf begebn sich auf die Fluch und finden sich plötzlich in der Rolle eines Asylsuchenden.
Flucht durch die KircheBornheimer Escape Room stellt den Weg zum Asyl nach
Verschränkte Arme, Sonnenbrille, zugekniffene Lippen – ein herzliches Willkommen sieht anders aus. Nicht ohne Grund heißt das interaktive „Live-Escape-Game“, das bis zum 18. Oktober in der Kirche St. Sebastian in Roisdorf aufgebaut ist und mit vorheriger Anmeldung als Gruppe gespielt werden kann, „UNbekanntes UNbehagen“. Hier geht es nicht bloß um das Entkommen aus einem geschlossenen Raum, wie üblich bei einem „Escape-Room“, sondern um einen Perspektivwechsel, bei dem die Besucher erleben, wie sich Geflüchtete fühlen müssen, wenn sie in ein fremdes Land kommen, in dem sie die Sprache, die Kultur und das System nicht verstehen und auch sonst keinen Menschen kennen – die Erfahrung des Fremdseins.
Die Spielteilnehmer werden also nicht als Urlauber in dem fiktiven Land namens „Fremdistan“ ankommen, sondern als Geflüchtete, die dort um Asyl bitten. Und als Geflüchtete haben sie sich den Bedingungen des Landes zu beugen. Da herrschen andere Gesetze. Handys zum Beispiel müssen an der Landesgrenze abgegeben werden und alle bekommen einheitliche Schlappen an die Füße.
Das etwa 60 Minuten dauernde Spiel führt die Teilnehmer durch mehrere Räume, in denen sie Aufgaben erfüllen, Rätsel lösen und Passwörter knacken müssen. „Die Räume stellen die Schwierigkeiten nach, mit denen sich die Geflüchteten bei ihrer Ankunft in der Fremde konfrontiert sehen“, erklärte Nadja Müller de Ossio, Angestellte bei der Flüchtlingshilfe Bonn. Zusammen mit ihrer Kollegin Jana Gigl hat sie das Projekt entwickelt. So werde zum Beispiel die deutsche Bürokratie symbolisiert, aber auch die Schwierigkeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Mit Originalmöbeln ist ein Zimmer für mehrere Geflüchtete in einer Sammelunterkunft dargestellt.
Im Rahmen einer kleinen Feier wurde am Freitagnachmittag allerdings zunächst nicht gespielt, sondern die Eröffnung dieser besonderen „Games-Wochen“ gefeiert. Die Männer mit den Sonnenbrillen stellen übrigens Leibwachen von Präsident Abbes von Fremdistan dar. Im wirklichen Leben ist das der 34 Jahre alte BWL-Student Abbes Obaid. 2015 ist er aus dem Irak nach Deutschland geflüchtet. Bei der Entwicklung des Projekts hat auch er geholfen. Zum Auftakt begrüßte er jedoch als Präsident von Fremdistan die Besucher und sprach seine Dankbarkeit aus, dass sein Land seine Botschaft verkünden darf. Allen Anwesenden versprach er, dass sich seine Mitarbeiter sehr gut um die Menschen kümmern werden, die hier um Asyl bitten.
Der Zeitpunkt für das „Live-Escape-Game“ sei ideal gewählt, merkte (der echte) Bürgermeister Christoph Becker an und erinnerte an die Eröffnung der interkulturellen Woche am 22. September in Saarbrücken. „Ihr Motto lautet nämlich: Neue Räume.“ Das passe perfekt, denn auch in der Kirche St. Sebastian gehe es ja jetzt darum, neue Räume zu begehen. Diese sind aus Sperrholzplatten zusammengezimmert, rundherum geschlossen und von außen in keiner Weise einsehbar. „Ich bin schon gespannt auf das Land Fremdistan“, verriet Becker. Obwohl es ihm aktuell manchmal so scheine, als sei die ganze Welt Absurdistan, werde der Ausflug nach Fremdistan sicherlich nochmal eine ganz andere Qualität haben. „Was macht das mit uns? Und umgekehrt“, fragte Becker, und wie gehe man im wahren Leben mit den Menschen um, die dieses Schicksal der Flucht und des Asylprozederes in Wirklichkeit erleiden und nicht nur in der Fiktion? Becker wünscht sich, dass alle Absolventen des Escape Rooms ein noch besseres Verständnis für die Situation der Menschen bekommen, die zumindest zunächst auf die Hilfe der Menschen vor Ort angewiesen seien.
Bornheims Dezernentin für Soziales, Alice von Bülow, nannte die Flüchtlingssituation in Bornheim „schwierig“ und betonte: „So wie es ist, kann es nicht weitergehen.“ Gerade habe sie wieder einen Brief an die Landesregierung geschrieben, da Bornheim ohne jede Vorankündigung ein an Leukämie erkranktes Kind zugewiesen worden sei. Um der Situation gerecht zu werden, müssten auch Kindergärten und Schulen „viel besser aufgestellt werden“, so von Bülow.
Mit Christel Neudeck konnten die Organisatoren, zu denen auch Bruno Schrage zählt, für die Eröffnungsfeier eine Fachfrau in Sachen Flüchtlingshilfe gewinnen. Denn zusammen mit ihrem Mann und vielen Helfern hat Neudeck 1979 das Rettungsschiff Cap Anamur organisiert, mit dem insgesamt mehr als 11 300 sogenannte Boatpeople im südchinesischen Meer gerettet wurden. „Ich wünsche mir, dass aus dem Unbehagen ein Behagen wird und die Geflüchteten hier in Bornheim vielleicht sogar eine neue Heimat finden“, sagte sie.
Sie fühle sich in Bornheim sehr wohl. Neudeck erinnerte an den Bornheimer Ehrenpreis der Europaschule, mit dem ihr Mann Rupert noch kurz vor seinem Tod 2016 geehrt worden war. „Das Bundesverdienstkreuz hat er abgelehnt, aber den Bornheimer Preis nahm er an“, sagte sie. Und: „Er war glücklich bei Ihnen.“ Es wundere sie nicht, dass Bornheim 1700 Flüchtlinge aufgenommen habe.
Dass „UNbekanntes UNbehagen“ ausgerechnet in der Kirche stattfindet, war die Idee von Pfarrer Matthias Genster. Er fand es die pragmatischste Lösung. Dort gebe es Platz. Die Pfarrheime würden von Vereinen und Gruppen gebraucht: „Das spielerische Annähern an eine Problemsituation und die zutiefst menschliche Erfahrungen von Annehmen und Ablehnen lässt sich so auch geistlich interpretieren.“
Interkulturelle Woche
Mit einer Auftaktveranstaltung im Siegburger Stadtmuseum ist die Interkulturelle Woche im Rhein-Sieg-Kreis gestartet. Sie steht unter dem Motto „#NeueRäume“ und ist Teil einer bundesweiten Aktion, die für gesellschaftliche Vielfalt werben will. Die Städte und Gemeinden in der Region, zahlreiche Einrichtungen, ehrenamtliche Initiativen und Organisationen haben für die nächsten Tage ein Programm mit mehr als 50 zumeist kostenfreien Veranstaltungen zusammengestellt. Dem Motto entsprechend sollen bei den Veranstaltungen Orte entstehen, an denen sich Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund begegnen, austauschen, miteinander lachen und nachdenken können.
„Lassen Sie uns gemeinsam die Vielfalt in unserem Land und in der ganzen Welt feiern; das ist gerade in diesen Zeiten wichtig“, appellierte Antje Dinstühler, die Leiterin des Kommunalen Integrationszentrums des Rhein-Sieg-Kreises, an die Besucher der Eröffnungsveranstaltung. Das Integrationszentrum hat die Veranstaltungen der Interkulturellen Woche koordiniert. Unter anderem wird es Kino- und Theaterabende, Spiel- und Stadtfeste, Escape Rooms, Ausstellungen, Lesungen und Vorlesestunden, Musik- und Spieleabende, kreative Gestaltungsworkshops, gemeinsame Frühstücke, offene Abende, Informationsveranstaltungen, Vorträge, Stadtrundgänge und Kochkurse geben. Das komplette Programm gibt es auf der Internetseite des Kreises. (pf)