AboAbonnieren

Kein Ausweis ohne Anwesenheit im Meldeamt?„Bürgerkoffer“ für Bornheim beantragt

Lesezeit 6 Minuten
Der Roisdorfer Winand Flohr mit Unterlagen der Bundesdruckerei zum Bürgerkoffer.

Der Roisdorfer Winand Flohr mit Unterlagen der Bundesdruckerei zum Bürgerkoffer.

Wie kommt ein Mensch, der nicht mehr ins Rathaus gehen kann, an einen neuen Ausweis? Winand Flohr musste in Bornheim dafür die Lösung selbst finden und hat sie nun per Bürgerantrag bei der Stadt eingereicht.

Winand Flohr hat bei der Stadt Bornheim die Beschaffung eines „Bürgerkoffers“ beantragt. In dem Set, das die Bundesdruckerei für 1500 Euro anbietet, ist alles zur Erfassung von Personendaten, biometrischem Bild und Fingerabdrücken enthalten. Flohr kam darauf, als er vergeblich versuchte, den Personalausweis seiner stark gehbehinderten Frau zu verlängern. Am Montag hat er im Sinne von Inklusion und Teilhabe einen entsprechenden Bürgerantrag eingereicht; am 21. August oll im Ausschuss für Bürgerangelegenheiten darüber befunden werden.

Hinter dem Antrag steckt eine „leidvolle Erfahrung“, wie der 76-Jährige der Rundschau berichtete. Der engagierte Bornheimer, der bei den Schützen und auch im Heimat- und Eifelverein bekannt ist, verschiedene Anliegergemeinschaften zum Erfolg führte, scheiterte beim Versuch, den abgelaufenen Personalausweis seiner Frau Annie zu verlängern, schon im Ansatz, ließ aber nicht locker.

„Schließlich habe ich selbst fast 50 Jahre bei der Bornheimer Verwaltung gearbeitet und war zuletzt Wirtschaftsförderer, aber als junger Mann auch mal im Passwesen“, sagt der Ruheständler: „Ich erinnere mich noch gut, wie wir damals noch nachts für den SSV Merten Kinderpässe geschrieben haben, weil die am nächsten Tag nach Holland fahren wollten.“

Am Schalter in Bornheim gescheitert

Anfang Mai lernte Flohr aber schnell, dass das heute so nicht mehr geht. Zuerst scheiterte er - wie er auch Bürgermeister Christoph Becker wissen ließ - an Schalter vier bei einer jungen Frau, die er für eine Auszubildende hält. Nein, seine Frau müsse wegen der Abnahme der Fingerabdrücke persönlich erscheinen, und eine andere Möglichkeit gebe es nicht. Darin erhielt sie auch Rückendeckung durch ihre Vorgesetzte, denn Flohr versuchte, mit der Schilderung des Gesundheitszustands seiner Frau einen anderen Weg zu finden.

Wegen Problemen mit der Hüfte kann seine Frau zwar Auto fahren, aber kaum gehen. Die Schmerzen, gegen die bislang keine Therapie half, erlaubten ihr bloß kurze Wege per Rollator in ihrer Wohnung. Nicht mal in den Kleinbus der Klinik bei der Anschlussheilbehandlung sei sie gekommen, berichtet Flohr der Rundschau. Er muss sie nun irgendwie per Taxi heim holen.

Dass jemand vom Amt nach Hause kommt und den Antrag fertigstellt, wie es das früher gab, sei inzwischen „ausdrücklich verboten“, lernte der Senior beim Besuch im Bornheimer Rathaus. „Meine Einwände, dass ich meine Frau in ihrem derzeitigen gesundheitlichen Zustand wohl schlecht im Krankenbett vorbeifahren kann und im 21. Jahrhundert sowie angesichts der Digitalisierung der Verwaltung doch wohl ein mobiles Gerät zur Abnahme der Fingerabdrücke vorhanden sein dürfte, wurden damit beschieden, dass es ein solches Gerät nicht gäbe und demzufolge bei der Stadt auch nicht vorhanden sei.“

Beinahe hätte Flohr das mit dem nicht existierenden Gerät geglaubt. Weil ihn jedoch ein früherer Kollege darauf hinwies, dass ein nicht verlängerter Ausweis eine Ordnungswidrigkeit darstellt, für die auch Rentner schon mehrfach Bußgelder hätten zahlen müssen, strebte Flohr weiter nach einer Lösung. Die letzte Motivation gab der Abteilungsleiter, der ablehnte, Frau Flohr durch einen Aktenvermerk vor einem Bußgeld zu schützen und stattdessen vorschlug, ein ärztliches Attest beizubringen, wonach die Seniorin nicht mehr in der Lage sei, am öffentlichen Leben teilzunehmen.

Das ging mir dann doch zu weit und hat mich sehr betroffen gemacht. Meine Frau ist ja klar im Kopf. Sie kann nur nicht gehen
Winand Flohr lehnt ein Attest vom Arzt wegen des geforderten Inhalts ab

„Das ging mir dann doch zu weit und hat mich sehr betroffen gemacht. Meine Frau ist ja klar im Kopf. Sie kann nur nicht gehen“, sagte Flohr. Er rief bei der Bundesdruckerei an, die schließlich die Ausweise herstellt und erfuhr im Gespräch mit einer netten Mitarbeiterin vom „Bürgerkoffer“. Den gibt es seit 2021 in umfassender Ausstattung mit allem Gerät, das für die Erfassung der Ausweisdaten notwendig ist, also auch dem angeblich nicht existierenden mobilen Fingerabdruckscanner. Die einmalige Zahlung von 1500 Euro ist kein Kaufpreis; das Gerät bleibt Eigentum der Bundesdruckerei, wird aber bei der Bestellung zur Dauerleihgabe.

Gerade nach der Flutkatastrophe 2021 waren im Ahrtal solche Geräte eingesetzt worden, damit die Menschen schnell Ersatz für die zerstörten Ausweisdokumente gelangen konnten. Flohr ist jedenfalls von der Lösung begeistert und wünscht sich, dass sie auch in Bornheim genutzt werden kann. Er ist überzeugt, dass es in Bornheim zahlreiche Menschen gibt, die den Gang zur Stadtverwaltung nicht mehr schaffen, aber einen Ausweis benötigen. Flohr: „Für meine Frau ist an der Haustür die Welt zu Ende. Dort an der Treppe kommt sie mit dem Rollator nicht weiter, und schon gar nicht kann sie damit eine größere Strecke zurücklegen.“ Ob das nach Hüftoperation und Reha besser wird, kann er sich gerade noch nicht vorstellen. Umso mehr hofft er darauf, dass sein Antrag angenommen wird.

Erste Einschätzung lässt wenig Hoffnung

Doch da sieht es wenig rosig aus. Der Rundschau liegt eine erste Einschätzung der Stadt Bornheim vor. Demnach hat der Bürgermeister den Antrag an die Leiterin des Ordnungsamts zur Prüfung gegeben. Mit folgendem Ergebnis: „Die Anschaffung eines Bürgerkoffers wurde bereits vor Jahren – und nun auf Anregung von Herrn Flohr erneut – geprüft. Das Ergebnis war und ist, dass dies mit deutlichen Betriebs- und Personalkosten verbunden ist. Das Bürgeramt rechnet mit einer zusätzlichen Stelle im Bürgerservice, der ein Dienstfahrzeug zur Verfügung stehen müsste. Hinzu käme ein hoher Bedarf an IT-Support, der ebenfalls von der Verwaltung geleistet werden müsste.“ Und weiter: „Das Bornheimer Bürgeramt ist personell ohnehin schon am Limit und die Kolleginnen und Kollegen sind sehr ausgelastet. Würden nun noch mobile Dienste angeboten, ginge das letzten Endes auf Kosten der anderen Bürgerinnen und Bürger, deren Wartezeiten auf Termine und Dokumente sich dadurch verlängern würden.“

Die Stadt Bornheim verweist auf die Möglichkeit eines Attests zur Befreiung von der Ausweispflicht; „nicht mehr in der Lage“ zu sein, „am öffentlichen Leben teilzunehmen“ bedeute bloß, keinen gültigen Ausweis mehr besitzen zu müssen. Entscheidungen treffen und selbstbestimmt leben, sei möglich. Dieses Attest könne auch vorübergehend gelten, bis ein Mensch wieder gesund und/oder mobiler sei. Weil ein Ausweis ein Jahr nach Ablauf im Schengen-Raum das Reisen ermöglicht, werde erst nach dieser Frist ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet. Ein Bußgeld sei die Ausnahme und habe es in den vergangenen zwölf Monaten nicht gegeben. Einen Rollstuhl im Bürgeramt vorzuhalten, ist laut Stadt „aus haftungsrechtlichen Gründen schwierig“. Selten komme ein mobilitätseingeschränkter Menschen ohne eigenen Rollstuhl. „Selbstverständlich gibt es für gehbehinderte Bürgerinnen und Bürger und ihre Begleitpersonen die Möglichkeit, nach vorheriger Anmeldung direkt vor dem Nebeneingang zu parken und natürlich einen Termin zu vereinbaren, um Wartezeiten zu vermeiden.“ Seit Juni 2021 fahre zudem ein „moderner, behindertengerechter Aufzug in jede Etage“. Behandelt wird der Antrag trotz dieser Einschätzung im Ausschuss für Bürgerangelegenheiten am 21. August.


Der Bürgerkoffer enthält PC, Scanner und Bilderstellung.

Der Bürgerkoffer enthält PC, Scanner und Bilderstellung.

Der Bürgerkoffer der Bundesdruckerei

Der Identitäten-Prüfkoffer, kurz „Bürgerkoffer“, der Bundesdruckerei GmbH in Berlin ermöglicht eine standortunabhängige Beantragung und Ausstellung von Ausweisdokumenten, Meldebescheinigungen, Führungszeugnissen, Beglaubigungen sowie Kfz- und Gewerbeangelegenheiten. Im Koffer stecken ein Visualisierungs-Änderungsterminal sowie ein Fingerabdruckscanner. Die Komponenten wie Notebook, Drucker und Scanner wurden von der Bundesdruckerei auf aktuellstem technischen Stand zusammengestellt. Techniker haben dafür gesorgt, dass höchste Sicherheitsanforderungen erfüllt sein sollen und IT-Dienstleister der Kommunen per VPN-Zugang verbunden sind.

In den Jahren 2021 und 2022 wurden insgesamt 115 Bürgerkoffer an Kommunen in Deutschland ausgeliefert. Weitere 350 Bürgerkoffer wurden beauftragt: Davon sind bereits 90 Stück an Behörden ausgeliefert worden. „Die weiteren knapp 250 Stück können im Jahr 2024 bestellt und ausgeliefert werden“, sagte ein Sprecher der Bundesdruckerei GmbH.