„Fidelio“Volker Lösch inszeniert Beethovens Oper als politisches Freiheitsstück
Bonn – Regisseur Volker Lösch schlägt ein türkisches Restaurant als Treffpunkt für das Gespräch vor: „Mal sehen, ob sie uns nächste Woche hier noch reinlassen“, lächelt er, setzt sich an einen Tisch und bestellt Sigara Börek, gefüllte und frittierte Teigtaschen.
Die leicht dahin geworfene Bemerkung könnte wahr werden, denn der 56-Jährige inszeniert in der Bonner Oper „Fidelio“, Beethovens Freiheitsoper, und verbindet darin die Geschichte von Leonore, die ihren Mann, den Freiheitskämpfer Florestan, aus dem Gefängnis befreit, mit den aktuellen politischen Zuständen in der Türkei. Und das sehr kritisch.
„Theater ohne Zeitgenössisches interessiert mich nicht“
Warum nicht China, warum nicht Russland, ebenfalls autokratisch geführte Staaten? In der Türkei, antwortet Lösch, herrsche ein Unrechtsregime, es gebe massive Menschenrechtsverletzungen; es sei aber gleichzeitig das Land, das uns am nächsten ist, als Nato-Partner, und mit dem Deutschland intensive Wirtschaftsbeziehungen pflege, doch seine außenpolitische Stärke nicht nutze, um am Bosporus Einfluss auszuüben.
Making of Fidelio
Die Bühne im Bonner Opernhaus zeigt den Green Screen eines Filmsets, darüber eine große Leinwand. Darauf werden mit Hilfe von zwei Live-Kameras das Bühnengeschehen von Beethovens Oper, Dokumentaraufnahmen aus dem Erdogan-Regime sowie die Erfahrungsberichte und Kommentare der Zeitzeugen überblendet und in einem Bild zusammengeführt. Die Zuschauer erleben so ein „Making of Fidelio“, in dem die Oper mit aktueller, politischer Gegenwart aufgeladen wird. Getragen von Beethovens Musik soll diese filmische „Fidelio“-Montage nach Mitteilung des Regisseurs die Handlung und die befreiende Botschaft der Oper sinnlich vor Augen führen und reflektierbar machen – und die Gefangenen wieder „sichtbar“. (EB)
„Republik der Angst“ war am 18. Dezember ein Artikel in dieser Zeitung überschrieben, in dem die Türkei-Korrespondentin Susanne Güsten über eine Welle von Massenfestnahmen in Erdogans Reich berichtete. Das ist das „Draußen“, das Lösch mit seiner „Fidelio“-Inszenierung in die Oper holt. „Theater, das Zeitgenössisches nicht mit einbezieht, interessiert mich nicht“, sagt er.
Für diese Verbindung sorgen fünf Zeitzeugen, die neben den Sängerinnen und Sängern, dem Chor und einem Schauspieler auf der Bühne stehen. Lösch und sein Team haben die fünf durch langwierige persönliche Recherchen gefunden. Es sind eine Kurdin, drei Kurden und ein Türke, die entweder in ihrer Heimat in Haft saßen oder Verwandte haben, die dort eingesperrt sind. Einer dieser Zeitzeugen ist Süleyman Demirtas, der Bruder des seit 37 Monaten im Hochsicherheitsgefängnis von Edirne inhaftierten Selahattin Demirtas.
Bühnentexte basieren auf stundenlangen Interviews
Der ehemalige Co-Vorsitzende der pro-kurdischen Partei HDP trat 2014 bei der Präsidentschaftswahl gegen Erdogan an, im November des gleichen Jahres wurde er verhaftet. Die Deutsche Welle meldete Anfang dieses Monats, dass der Politiker schwer erkrankt sei, an Atemnot leide und in seiner Zelle zusammengebrochen sei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat seine Haft 2018 als unrechtmäßig angeprangert. Ein weiterer Zeitzeuge ist der in Köln wohnende Schriftsteller Dogan Akhanli, der mehrere Jahre in türkischen Strafanstalten verbringen musste.
Volker Lösch hat sein Abitur unter anderem in Musik gemacht und arbeitet seit 1989 für das Theater, zunächst fünf Jahre als Darsteller. Er hat als Regisseur ungefähr 100 Theaterstücke auf Schauspielbühnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz gebracht, „Fidelio“ ist seine dritte Operninszenierung. Der Regisseur arbeitet oft mit Zeitzeugen und Bürgerchören. 2013 erhielt er den Lessing-Preis des Freistaats Sachsen. (dbr)
Lösch und Dramaturg Stefan Schnabel haben mit der Frau und den vier Männern jeweils mehrstündige Interviews geführt und daraus für die Bühne Texte verfasst, die sie unter anderem mit Texten des Journalisten Ahmet Altan verbinden. Der war nach drei Jahren in Haft im vergangenen Monat freigelassen, nach acht Tagen aber „wegen Fluchtgefahr“ wieder verhaftet worden.
Beethoven und seine „Fidelio“-Librettisten Sonnleithner und Treischke lassen die Sänger verstaubt wirkende Zwischenpassagen sprechen, um den Fortgang der Handlung zu erklären. Lösch hat sie gestrichen: „Man braucht die Zwischentexte Beethovens nicht“, stattdessen reden die Zeitzeugen, führt als Regisseur der Schauspieler Matthias Kelle durch das Stück. Einzig die Liedtexte sind geblieben.
Laien ins Theater geholt
Die Theaterstoffe müssten „auf ihre Repräsentanz für heute“ überprüft werden, begründet Volker Lösch den radikalen Schnitt. „Theater ist kein Museum, es muss sinnlich sein, unterhalten, Gegenwart verhandeln, politisch und offen sein, sich als Stadttheater ernstnehmen: eben ein Theater für alle, für die ganze Stadt sein.“
Er hat das im Schauspielhaus Bonn sehr augenfällig mit seiner szenischen Umsetzung des WCCB-Skandals gezeigt: „Bonnopoly. Das WCCB, die Stadt und ihr Ausverkauf“ war ein Publikumserfolg, ein bissiges Stück für die Bürger, die das Millionendesaster mit ihren Steuern bezahlen müssen. Lösch holte auch hier Laien in die Kammerspiele, orchestrierte sie zu einem Bürgerchor, der seine Forderungen an die Verantwortlichen in der Kommunalpolitik skandierte und die danach durchaus thematisiert wurden.
„Theater muss etwas wollen“
Denn das ist der Antrieb des Mannes, der seit 1989 für die Bühne arbeitet: „Theater soll Debatten erzeugen, Dinge in Frage stellen, die als gesetzt gelten, irritieren, da, wo es sein muss, Mut machen, dass Dinge im humanistischen und demokratischen Sinne veränderbar sind“. Das heißt vor allem: „Theater muss etwas wollen“.
Die „Fidelio“-Premiere mit Dirk Kaftan am Pult des Beethoven Orchesters Bonn am Neujahrstag und die Vorstellung am Samstag, 4. Januar, sind ausverkauft. Weitere Aufführungen sind am 16. und 24. Januar im Bonner Opernhaus.