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Fahrer bewusstlosLinie 66 fährt an acht Stationen vorbei – Notbremse wirkungslos

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In der Leitstelle der Stadtwerke Bonn informierten sich (hinten v. l.) Robert Scholten, Anja Wenmakers und Joachim Schallenberg  bei Fahrdienstleiter Jürgen Janick über die Ereignisse.

Bonn – Eine Straßenbahn außer Kontrolle mit einem bewusstlosen Fahrer am Steuer rollt an acht Stationen vorbei, ohne zu halten. Dabei überquert sie auch einige Bahnübergänge, an denen die Schranken nicht geschlossen sind. Obwohl Fahrgäste die Notbremse ziehen, fährt der Zug mit zwei Wagen weiter. Dieses Szenario hat sich in der Nacht zum Sonntag in einer Stadtbahn der Linie 66 abgespielt, die von Siegburg nach Richtung Bonn fuhr. Am Ende schlugen zwei Fahrgäste die Tür zum Fahrerstand ein und brachten die Bahn zum Stehen. Bei dem Vorfall wurde niemand verletzt, auch der Fahrer konnte das Krankenhaus am nächsten Tag wieder verlassen.

Fahrt von Siegburg nach Bonn

In einer Pressekonferenz erklärten Marketing- und Kommunikationsleiter Jürgen Winterwerp, Geschäftsführerin Anja Wenmakers sowie der Betriebsleiter Bahn Jörn Zauner und der Leitstellenleiter Joachim Schallenberg (alle Stadtwerke Bonn) und Robert Scholten, Pressesprecher der Polizei, am Sonntag, wie es zu dem Vorfall kommen konnte. Gegen 0.40 Uhr war die Stadtbahn laut Scholten zwischen den Haltestellen Sankt Augustin-Mülldorf und Sankt Augustin Zentrum unterwegs, als bei der Einsatzleitstelle mehrere Notrufe eingingen.

Zeugen gesucht

Saßen Sie in der betreffenden Bahn? Wie haben Sie die Fahrt erlebt? Schildern sie uns Ihre Eindrücke unter 02241/17 49 57 15 oder per E-mail an redaktion.rhein-sieg@ksta.kr.de

„Fahrgäste meldeten, dass der Fahrer seit Sankt Augustin-Mülldorf augenscheinlich nicht ansprechbar sei und der Zug an mehreren Haltestellen nicht angehalten habe“, so Scholten. Man habe sofort die Leitstelle der Stadtwerke informiert und die weiteren Maßnahmen abgesprochen. Parallel habe man Kontakt zu mehreren Fahrgästen der Bahn gehabt, denen man am Telefon erklärt habe, wie sie weiter vorgehen sollten. „Ein 29- und ein 26-Jähriger haben die Tür eingeschlagen und -getreten und sich dabei leicht an den Händen verletzt“, berichtete Scholten. Das Fahrzeug konnten sie mit Anleitung aus der Einsatzleitstelle auf Höhe der Haltestelle Adelheidistraße anhalten und so ein mögliches Unglück verhindern.

Fahrer an Ort und Stelle behandelt

„Um 0.50 Uhr hatten alle Fahrgäste die Bahn bereits verlassen“, sagte der Polizeisprecher. Im vorderen Wagen hätten sich zehn Fahrgäste aufgehalten. „Es gibt aber vage Hinweise, dass im zweiten Wagen auch noch Personen saßen.“ Rettungskräfte behandelten den 47-jährigen Fahrer zunächst an Ort und Stelle, ein Rettungswagen brachte ihn in ein Krankenhaus. Das konnte er am Sonntag laut Wenmakers wieder verlassen. Etwa fünf Minuten lang war die Bahn nach Winterwerps Einschätzung führerlos unterwegs.

Mit welcher Geschwindigkeit sie fuhr, konnte Betriebsleiter Zauner nicht sagen: „Das wird noch ermittelt.“ Schätzungen gehen von etwa 30 Stundenkilometern aus. Die normale Geschwindigkeit auf der Strecke liegt bei 40 bis 70 Stundenkilometer, schneller als 80 kann die Bahn nicht fahren.Dass sie weiterfuhr, obwohl Fahrgäste die Notbremse zogen, ist so vorgesehen. „Auf offener Strecke gibt es nur ein Signal an den Fahrer, der dann die Fahrgäste informieren und die Notbremsung einleiten soll. Damit soll beispielsweise verhindert werden, dass eine brennende Bahn in einem Tunnel stehen bleibt“, führte Zauner aus.

Stadtwerke hätten Strom abschalten können

Lediglich bis acht Sekunden nach Verlassen einer Haltestelle sei die Bremse wirksam, um schnell reagieren zu können, wenn jemand vor den Zug falle oder mit der Jacke in der in der Tür hängen bleibe. „Mehrere Fahrgäste hatten aber auch die manuelle Türentriegelung gezogen. Dann kann der Fahrer kein Gas mehr geben. Die Bahn wäre also langsam ausgerollt“, so Zauner, der sich sicher ist, dass sie nicht über die Kennedybrücke gekommen wäre. Alternativ hätten die Stadtwerke auch den Strom abschalten können. „Dann wäre aber mehrere Bahnen betroffen gewesen.“

Der Betriebsleiter geht davon aus, dass die Bahn technisch in Ordnung war. Das Fahrzeug war Mitte der 70er Jahre gebaut und dann vor Jahren in Stand gesetzt und modernisiert worden. Geklärt werden muss, warum die sogenannte Totmannschaltung nicht funktionierte. Dahinter verbirgt sich ein Schalter oder ein Fußpedal, von denen mindestens einer gedrückt sein muss, damit die Bahn weiterfährt. Eine Möglichkeit ist, dass der bewusstlose Fahrer auf dem Schalter lag und ihn so weiter betätigt hat. Die Polizei hat mit der Spurensicherung begonnen und die Bahn sichergestellt.