In Alfter wird ein Erinnerungsort für die Opfer der sogenannten „Ausländerkinder-Pflegestätte“ feierlich eröffnet. Die Recherchen nach den Identitäten der verstorbenen Babys gehen weiter.
Geschichte in AlfterGedenkstätte für verstorbene Babys von Zwangsarbeiterinnen eröffnet
Auch wenn am 25. April offiziell der Einnerunsgort für die Opfer der euphemistisch „Ausländerkinder-Pflegestätte“ genannten Einrichtung auf dem Rondell vor dem Alfterer Rathaus in Oedekoven eingeweiht wird – die Aufarbeitung der Geschehnisse ist damit nicht abgeschlossen. So konnte erst kürzlich ein 15. Opfer namentlich identifiziert werden. Bislang waren 14 Namen und Schicksale von 19 unter schrecklichen Umständen verstorbenen Säuglingen von Zwangsarbeiterinnen ermittelt worden. Nikoley Keres, geboren am 1. August 1944, war in der „Ausländerkinder-Pflegestätte“ in Alfter untergebracht und verstarb am 8. Oktober desselben Jahres im Kloster Nonnenwerth unter anderem an Unterernährung und Keuchhusten.
Darüber informierte Alfters Gemeindesprecherin Maryla Günther. Das Baby wurde auf dem Friedhof in Oberwinter bestattet. Seine Mutter Maria Keres stammte aus der Ukraine und leistete von 1944 bis Mai 1945 Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Alfter. „Durch umfangreiche Recherchen konnte so ein weiterer verstorbener Säugling der Anonymität und dem Vergessen entrissen werden“, erläutert Thomas Klaus, Vorsitzender des Arbeitskreises Zwangsarbeit/„Ausländerkinder-Pflegestätte“ im Förderverein Haus der Alfterer Geschichte.
Die Daten konnten durch Recherchen im Arolsen Archiv, dem weltweit größten Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus, gefunden werden. Hintergrund Alfters früherer Gemeindearchivar Jens Löffler hatte die Geschichte der „Ausländerkinder-Pflegestätte“, die im Landgraben 112 von 1944 bis 1945 in Alfter-Ort gestanden haben soll, in einer umfangreichen Dokumentation aufgearbeitet.
Schwangere Zwangsarbeiterinnen wurden demnach gezwungen, ihre Babys in entsprechende Pflegestätten abzugeben, wo viele oft mangels Hygiene und Unterernährung wenige Wochen nach ihrer Geburt starben. Der Impuls, diese Forschung aufzunehmen, kam über einen Bürgerantrag in den Haupt- und Finanzausschuss vor drei Jahren. Von den identifizierten Kindern erinnert bereits seit einem Jahr auf der Rathauswiese eine Gedenk- und Infotafel. Doch auf Wunsch der Politik und der Gemeinde sollte noch ein weiterer Erinnerungsort mit einem Gedenkstein an einem zentralen Punkt eingerichtet werden.
Crowdfunding brachte 5200 Euro
Um die dafür erforderlichen 5000 Euro zusammenzubekommen, hatte die Gemeinde gemeinsam mit der VR Bank Bonn Rhein-Sieg eine Crowdfunding-Aktion gestartet. 5220 Euro kamen dabei heraus, also konnte das Bonner Steinmetz-Unternehmen Mimzeck mit der Herstellung der Stele beauftragt werden. Bereits 2021 gab es eine Trauerfeier vor dem Rathaus in Gedenken an die viel zu früh verstorbenen Mädchen und Jungen. Dabei wurden auch Steine mit den Namen der toten Kinder angefertigt, die bereits im Haus der Alfterer Geschichte bei einer Sonderausstellung zu sehen waren.
Da der zuständige Arbeitskreis auf weitere Informationen und Namen von anderen Kindern hofft, ist der künftige Gedenktort so konzipiert, dass jederzeit weitere Namen angebracht werden können, erläuterte Maryla Günther. Jens Löffler, der auch Stadtarchivar von Bornheim ist, begrüßte diese „sehr positive Entwicklung“: „Es ist wichtig, dass solch eine Stele zentral sichtbar aufgestellt wird, da sie an eine Opfergruppe erinnert, die lange Zeit nicht im Fokus der Öffentlichkeit stand.“
Aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen meinte Löffler zudem: „Wir können in Sachen Rechtsextremismus noch keinen Schlussstrich ziehen. Wir befinden uns immer noch in der Aufarbeitung der Geschehnisse von damals.“ Um die weiteren Recherchen und Nachforschungen kümmert sich seit 2023 Löfflers Nachfolger in Alfter, Gemeindearchivar Ulrich Stevens.
Unter dem Nazi-Regime mussten rund 13,5 Millionen Ausländer unter grausamstem Bedingen arbeiten. 80 bis 90 Prozent von ihnen waren Zwangsarbeiter. Löfflers Auswertung von Meldekarten ergab, dass gut 590 Ausländer in Alfter im Einsatz waren, der größte Teil kam aus osteuropäischen Ländern. Untergebracht waren sie meist direkt bei ihren Arbeitgebern, in der Regel Landwirte, ortsansässige Betriebe oder in diversen Lagern. Acht Lager zwischen Witterschlick und Alfter-Ort sind bekannt.
Schwangere Zwangsarbeiterinnen waren den Nationalsozialisten „ein Dorn im Auge“, heißt es in der Dokumentation — sowohl aus ökonomischer als auch aus rassenideologischer Sicht, denn sie standen dem Hauptziel, der „Aufrechterhaltung der Produktion“, im Weg. Schätzungen zufolge ging es um 40 000 Schwangerschaften ausländischer Frauen im damaligen Reichsgebiet. Zunächst wurden die Schwangeren in ihre Heimatländer abgeschoben. Als es aber immer mehr wurden, entstanden Entbindungs- und Kinderanstalten, beschönigt als „Ausländer-Pflegestätten“ bezeichnet.
Quellen belegen für Alfter eine solche Pflegestätte im Landgraben 112, der Adresse des damaligen Ortsbauernführers. Zeitzeugen nannten die Zustände in den Einrichtungen erbärmlich. Es mangelte nicht nur an Kleidung, Windeln, Bettwäsche und Handtüchern, sondern auch an Stroh für die Betten. Die Räume waren oft unterkühlt, Wasser und Nahrungsmittel gab es weder für die Mütter noch für die Kinder in ausreichender Menge. Hätten die jungen Menschen damals überlebt, wären sie heute zwischen 75 und 80 Jahre alt.
Festakt
Die Erinnerungsstätte an die Opfer der sogenannten „Ausländerkinder-Pflegestätte“ wird am Donnerstag, 24. April, 17 Uhr, auf dem Rondell vor dem Alfterer Rathaus in Oedekoven, Am Rathaus 7, offiziell eröffnet. Nach einem kurzen Trompetensolo wird Bürgermeister Rolf Schumacher die Gäste begrüßen. Grußworte sprechen Oliver Männel, Regionaldirektor Alfter der VR-Bank Bonn Rhein-Sieg eG, und Thomas Klaus, Vorsitzender des Arbeitskreises Zwangsarbeit/Ausländerkinder-Pflegestätte. Nach der gemeinsamen Enthüllung des Gedenksteines werden die Namen aller Opfer verlesen. Es folgen eine Kranzniederlegung und ein abschließendes Trompetensolo. Weitere Informationen gibt es online, dort kann auch die Dokumentation kostenlos heruntergeladen werden.