Der Erinnerungsort für die Opfer der sogenannten „Ausländerkinder-Pflegestätte“ am Alfterer Rathaus ist seit Donnerstagnachmittag vollständig.
Ausländerkinder-PflegestätteErinnerungsstele am Alfterer Rathaus enthüllt – „unermessliches Leid“
In einem Trauerakt enthüllten Alfters Bürgermeister Rolf Schumacher und der Vorsitzende des Arbeitskreises „Zwangsarbeit/Ausländerkinder-Pflegestätte“ im Förderverein Haus der Alfterer Geschichte, Thomas Klaus, im Kreise zahlreicher Gäste den Gedenkstein auf der Wiese am Rathaus in Oedekoven.
Bereits seit einem Jahr erinnert eine Infotafel an selber Stelle an das Schicksal der Opfer dieser grauenvollen Einrichtung der Nazis. Während der NS-Zeit starben 19 Säuglinge und Kleinkinder an gewollter Mangelernährung, Verwahrlosung und fehlender Hygiene in einer Baracke im Landgraben in Alfter-Ort. Bislang konnten 14 der 19 Kinder identifiziert und deren Schicksale ermittelt werden. Kürzlich hatte ein Bürger aus Königswinter einen weiteren Namen recherchiert und der Gemeinde mitgeteilt: Nikoley Keres, der am 1. August 1944 geboren wurde, und am 8. Oktober 1944 entkräftet und erkrankt im Kloster Nonnenwerth verstarb. Weitere Recherchen laufen. Mit dem Erinnerungsort wollen Politik und Verwaltung gemeinsam mit dem Arbeitskreis nicht nur ein sichtbares Zeichen zur Erinnerung an das unermessliche menschliche Leid und die gesellschaftliche Verantwortung setzen, sondern auch allen Bürgern die Möglichkeit geben, sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Daher ist der Gedenkstein auch als Lernort zu verstehen.
Für Alfters Bürgermeister Rolf Schumacher ist die Bezeichnung „Kinderpflegestätte“ ein zynischer Begriff: „Er steht für einen Ort, an dem schwerste Verbrechen gegenüber Kindern geschehen sind und hat somit mit einer Kinder-Pflegestätte rein gar nichts zu tun.“ Umso wichtiger sei es, sich an die in Alfter zu Tode gekommenen Kinder zu erinnern: „Das Unfassbare ist nicht weit weg von hier geschehen, nicht irgendwo, sondern mitten in der Gemeinde Alfter.“ Wichtig sei es daher, den Ereignissen einen konkret sichtbaren Ort zu geben: „Wir können das Schreckliche nicht wiedergutmachen und auch nicht wirklich verstehen, aber wir können es berührbar machen und so unseren Teil dazu beitragen, das Erinnern wach zu halten.“
Thomas Klaus erinnerte in seiner Ansprache daran, dass zwischen 1939 und 1945 überzeugte Nationalsozialisten, auch aus Alfter, viele Verbrechen begangen hatten. Während des Zweiten Weltkriegs mussten etwa 530 Zwangsarbeiter in Alfter schuften, davon zirka 182 Frauen. Schwangere mussten nach der Geburt ihre Babys in die „Ausländerkinder-Pflegestätte“ abgeben: „Gepflegt wurde dort aber niemand. Die Babys wurden kaum ernährt. Kleidung, Windeln, Bettwäsche und Handtücher wurden ihnen verwehrt und Stroh für die Holzlager wurde ihnen nicht bereitgestellt. Wenn überhaupt geheizt wurde, quoll aus einem schlecht angeschlossenen Ofen Rauch in die Zimmer der Säuglinge“.
Der zuständige Ortsbauernführer habe sich nicht um sie gekümmert: „Mindestens 19 Babys wurden durch diese entsetzlichen Zustände umgebracht“, so Thomas Klaus: „Sich heute vorzustellen, wie erbärmlich die Babys am Landgraben sterben mussten, ist für uns heute noch bitter.“ Erinnern sei für ihn wichtig, da nach 1945 die meisten Deutschen von den begangenen Verbrechen nichts mehr wissen wollten: „Verleugnen und Verdrängen waren angesagt.“
Gerade in der heutigen Zeit, in der Menschen in Deutschland wieder gegen Geflüchtete, jüdische und islamische Mitbürger hetzten und es rassisch motivierte Angriffe gebe, sei es wichtig, mit einem Gedenkort wie diesem zu erinnern: „Neuerdings ist von Remigration Nicht-Deutschstämmiger die Rede. Das meint Vertreibung, Flucht von Deportation von Millionen Menschen aus Deutschland. Das hatten wir schon einmal. Das ist eine nicht hinzunehmende Schande“, mahnte Klaus. Nach den bewegenden Ansprachen enthüllten zunächst Alfters zweite stellvertretende Bürgermeisterin Jeanette Schroerlücke und Thomas Klaus die Gedenkstele. Danach legten Rolf Schumacher und Vize-Bürgermeisterin Luise Wiechert einen Trauerkranz an der Stätte nieder. Begleitet wurde die Zeremonie durch Trompetenklänge von Jürgen Krause, der dem Posaunenchor „Greenhorns“ der Evangelischen Kirchengemeinde am Kottenforst Witterschlick/Bonn-Röttgen angehört.
Um den Gedenkstein finanzieren zu können, hatte die Gemeinde gemeinsam mit der VR-Bank Bonn Rhein-Sieg zu einer Crowdfunding-Aktion aufgerufen, um die erforderlichen 5000 Euro einzusammeln. Am Ende kamen dank 104 Spendern und der VR Bank 5220 Euro zusammen: „Wir freuen uns, dass wir gemeinsam mit den Spendern dieses wertige, aber traurige Projekt unterstützten konnten, und freuen uns, dass es so gut umgesetzt worden ist“, lobte Marktbereichsleiter Georg Bouß bei der Enthüllung der Stätte.
Den Gedenkstein hatte das Unternehmen für Grabmalkunst und Bildhauerei Mimzeck geschaffen. Ein Rückblick: Den Anstoß, die Recherchen zu der sogenannten „Pflegestätte“ aufzunehmen gab vor drei Jahren ein Bürgerantrag an den Haupt- und Finanzausschuss. Nach einem positiven Beschluss aus der Politik gründete sich ein Arbeitskreis, der damalige Alfterer Gemeindearchivar Jens Löffler nahm die Forschungen auf und veröffentlichte eine umfangreiche Dokumentation zu dem Thema.
Die in Alfter getöteten Pflegekinder, deren Namen ermittelt werden konnten, hießen Nikoley Keres , Edmund Bogdanowa, Alexander Hontar/Contar, Michael Leoschik, Jurik Jawlowskaja, Halina Konikowa, Thadäus Masurkewitsch, Viktor Morkunow, Johann Plachina, Wladislaus Polosowa, Anneliese Saruba, Marija Sinjuk, Rolf-Dieter Trizipanzek, Viktoria Tschupwina, Peter Turulina
Bereits 2021 gab es dann eine Trauerfeier vor dem Rathaus in Gedenken an die jung verstorbenen Babys, es folgten unter anderem eine Ausstellung im Haus der Alfterer Geschichte sowie die Errichtung einer Erinnerungstafel im vergangenen Jahr. Löfflers Nachfolger als Archivar, Ulrich Stevens, führt die Forschungen weiter. Er organisierte und bot auch bereits eine Radtour zu den Stätten der Zwangsarbeit in Alfter an. Diese Tour soll künftig auch digital aufgearbeitet und auf der Internetseite www.zwangsarbeit-in-alfter.de allen Bürger zugänglich gemacht werden.
Wer die Arbeitsgruppe unterstützen möchte oder weitere Informationen zu dem Thema hat, kann über die Internetseite Kontakt aufnehmen. Die Dokumentation zur „Pflegestätte“ kann dort ebenfalls