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Kampf um RegierungsbeteiligungMögliche Szenarien nach der Neuwahl in Frankreich

Lesezeit 4 Minuten
Auf der Bildkombination sind der französische Präsident Emmanuel Macron (r) und die Parteivorsitzende der Rassemblement National (RN) Marine Le Pen zu sehen. (Archivbild)

Rivalen: Marine Le Pens (l) Partei Rassemblement National (RN) liegt in Umfragen vorn, während der französische Präsident Emmanuel Macron (r) um Stimmen für sein Wahlbündnis bangt. (Archivbild)

Bei der Neuwahl in Frankreich kann es zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die Auswirkungen auf die dortige Politik lesen Sie hier.

Die vorgezogene Neuwahl zur Nationalversammlung sorgt in Frankreich für erhebliche Unruhe: Erstmals könnten Rechtspopulisten auf nationaler Ebene Regierungsverantwortung bekommen. Und erstmals droht ein Wahlergebnis, bei dem kein Lager eine regierungsfähige Mehrheit erhält.

Das von Präsident Emmanuel Macron unterstützte Wahlbündnis liegt in Umfragen abgeschlagen auf dem dritten Platz. Gewählt wird am 30. Juni und am 7. Juli. Ein Überblick:

Wahlsieg der Rechtspopulisten

Die rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN) liegt in Umfragen mit 36 Prozent vorn. Parteichef Jordan Bardella erhebt Anspruch auf das Amt des Premierministers, will es aber nur übernehmen, wenn er auf eine absolute Mehrheit kommt. Sollte dies der Fall sein, könnte Macron politisch gezwungen sein, ihn zu ernennen.

Damit würde Frankreich zum vierten Mal eine Kohabitation erleben, in der Präsident und Premierminister aus unterschiedlichen Lagern kommen. Allerdings ist der ideologische Abstand zwischen Macron und Bardella weit größer als der zwischen früheren Paaren, etwa François Mitterrand und Jacques Chirac.

Parteichef der rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN), Jordan Bardella, bei einer Pressekonferenz. (Archivbild)

Parteichef der rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN), Jordan Bardella, würde wenn er Premierminister wird, auch bei europäischen Fragen mitreden wollen. (Archivbild)

In Frankreich hat der Präsident große Machtbefugnisse, etwa als oberster Befehlshaber der Streitkräfte. Im Fall einer Kohabitation verschiebt sich der Schwerpunkt allerdings zum Regierungschef. „Die Regierung bestimmt und leitet die Politik der Nation“, heißt es in der Verfassung. Bardella hat schon anklingen lassen, dass er etwa bei der Auswahl des französischen EU-Kommissars mitreden wolle.

Offen ist, wie Frankreich dann auf EU-Ebene auftreten würde. Traditionell ist der Sitz im Europäischen Rat dem französischen Präsidenten vorbehalten. Bei früheren Kohabitationen hatten der französische Präsident und Premierminister mehrfach gemeinsam an EU-Gipfeln teilgenommen. Wenn an den europäischen Ministertreffen euroskeptische RN-Minister teilnehmen sollten, dürfte dies den Einfluss Frankreichs in der EU erheblich schmälern.

Wahlsieg der links-grünen Neuen Volksfront

Das Bündnis aus Linkspopulisten, Sozialisten, Kommunisten und Grünen ist eine Neuauflage des früheren Bündnisses namens Nupes. Es brach auseinander, nachdem die Linkspopulisten es nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober abgelehnt hatten, diese als terroristisch einzustufen. Die nun antretende Neue Volksfront, die in Umfragen bei 28,5 Prozent liegt, einigte sich überraschend schnell auf ein gemeinsames Programm und gemeinsame Kandidaten.

Keine Einigung erzielten die linken Parteien allerdings bei der Frage, wen sie im Fall eines Wahlsiegs als Premierminister vorschlagen wollen. Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, der Interesse äußerte, stieß bei den anderen Parteien auf heftige Ablehnung.

Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, bei einer Veranstaltung. (Archivbild)

Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, würde gerne als Premierminister für die Neue Volksfront antreten, sollte diese einen Sieg bei den Neuwahlen einräumen. Dabei stößt er auf heftige Ablehnung. (Archivbild)

Das Regierungsprogramm, das Steuererhöhungen, gedeckelte Preise und die Rücknahme der Rentenreform vorsieht, enthält zudem mögliche interne Konfliktpunkte. So ist etwa die bei einem Teil der Linken umstrittene Atomkraft im Programm gar nicht erwähnt.

Geschäftsführende Regierung

Wenn weder die Rechtspopulisten noch die links-grüne Neue Volksfront eine Mehrheit erreichen, könnte Macron eine Art geschäftsführende Regierung ernennen. Dies könnte durchaus auch die amtierende Regierung sein. Deren Rücktritt wird nach der Neuwahl zwar erwartet, ist aber nicht vorgeschrieben.

Macron könnte auch einen wenig bekannten Politiker oder einen Technokraten zum Regierungschef ernennen. Es wäre nicht das erste Mal: Jean Castex etwa war vor seiner Zeit als Premierminister ein weitgehend unbekannter Bürgermeister aus den Pyrenäen. Die Neue Volksfront brachte bereits den ehemaligen Gewerkschafter Laurent Berger ins Gespräch, der aber ablehnte. Macron könnte dann versuchen, mit wechselnden Partnern Mehrheiten für einzelne Vorhaben zu erreichen.

Rücktritt des Präsidenten

Eine weitere Neuwahl ist frühestens in einem Jahr möglich. Macron könnte allerdings selber zurücktreten und damit die für 2027 anstehende Präsidentschaftswahl vorziehen. Dies hat er bisher mehrfach ausgeschlossen.

Bei der überraschenden Auflösung der Nationalversammlung habe Macron sich an General Charles de Gaulle orientiert, hieß es im Elysée. Dieser hatte nach den Studentenunruhen 1968 bei vorgezogenen Neuwahlen eine Mehrheit erreicht. Allerdings dauerte es dann nur noch ein Jahr, bis er schließlich doch zurücktrat.

Macron, der 2027 nicht wieder bei der Präsidentenwahl antreten kann, hat es bislang vermieden, einen möglichen Nachfolger aufzubauen. Mehrere ehemalige Verbündete nutzten den kurzen Parlamentswahlkampf nun für eigene Zwecke: Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, Innenminister Gérald Darmanin und Ex-Premierminister Edouard Philippe gingen erkennbar auf Distanz zu Macron.

Aber vermutlich wäre niemand so gut vorbereitet auf eine Präsidentenwahl wie die Rechtspopulistin Marine Le Pen, die bereits drei Präsidentschaftswahlkämpfe hinter sich hat und 2027 erneut antreten will. Sollte Macron ihr eines Tages die Amtsgeschäfte übertragen müssen, wäre er mit einem seiner wichtigsten Ziele seiner Amtszeit gescheitert: die Rechtspopulisten in Frankreich von der Macht fernzuhalten. (afp)