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Urlaub in San LucaDas Dorf der Mafia-Bosse

Lesezeit 4 Minuten

Polizisten stehen vor den Leichen zweier Opfer eines Mafia-Mordanschlagsin Duisburg (Archivfoto der dpa vom 15.08.2007).

SAN LUCA. Von Polizeikontrollen keine Spur. Der Verkehrsfluss auf der Staatsstraße 106 wird nicht mehr von schwer bewaffneten Polizisten unterbrochen. Als ich vor einem Jahr hier war war das noch ganz anders. Ich fahre direkt in die Ortschaft hinein. San Luca, im tiefen Kalabrien, Heimat der kalabrischen Mafia Ndrangheta.

„Hier legen die bei helllichtem Tageslicht die Leute um“, erklärt mir Don Adolfo, einer der Geistlichen in San Luca. „Da kennen die gar nichts“, sagt er auf dem Weg in seine kleine Kirche, in der auch die lokalen Mafiafamilien beten. „Natürlich kommen auch diese Leute zum Gottesdienst, die Mitglieder der Clans Nirta und Pelle, Strangio und Vottari“, sagt Don Adolfo, „denn die verstehen sich als aufrechte Christen“.

Ständige Polizeikontrollen

Sommer in San Luca. Spricht man die wenigen Frauen, die sich, beladen mit Einkaufstaschen, sehen lassen, auf den vergangenen August an, schütteln sie ihre gesenkten Köpfe und eilen davon. In einem Tabakladen, in dem Mücken unter der Decke tanzen, treffe ich Clara. Ihre Nachnamen soll ich nicht nennen, sagt die etwa 40-jährige stämmige Frau. Seit Jahren verkauft sie Zigaretten in San Luca.

„Hier kenne ich jeden, wirklich jeden, auch diejenigen, an denen Sie doch sicherlich ganz besonders interessiert sind“, sagt Clara in Anspielung auf die immer noch nicht aufgeklärten Morde von Duisburg. „Ich erinnere mich, dass Journalisten sogar verprügelt wurden, wenn sie zu viele Fragen stellten“, warnt sie dann.

Seit einem Jahr ist San Luca international bekannt, „man beschreibt uns als eine Art Kabul Italiens, weil die Clans sich bis aufs Blut bekämpfen“. Seit den Schüssen in Duisburg „herrscht hier Stille, Totenstille“, berichtet Clara.

Die Polizei kontrolliert ständig und wird dann und wann auch fündig. Zwei Wochen nach dem Anschlag in Duisburg wurden gleich 40 Verdächtige verhaftet. Im vergangenen Mai waren es 12 weitere (siehe Kasten).

Damit hat es sich aber auch schon. „Das Problem ist“, so ein Sprecher der Anti-Mafia-Polizei, „dass wir nur die kleineren Fische fangen und die großen perfekt untergetaucht sind“. Von einem Sieg über die kalabrische Mafia, so auch der Mafiasoziologe Luciano Violante, „kann noch lange keine Rede sein“.

Ich treffe eine Freundin von Clara, Francesca. Ihr Mann ist Polizist und, so die 32-Jährige, weiß, was los ist in San Luca. „Man muss schon Mut haben, von diesen Clans zu sprechen“, sagt sie bei einer Tasse Espresso. „Das tut hier doch niemand, da wird sogar verleugnet, dass die Mafia hier den Ton angibt, immer noch.“ Sie hofft, dass ihr Mann bald versetzt wird. Fort aus San Luca, wo die Clans regieren und die Polizei tagtäglich Häuser durchsucht. An einen Ort, an dem ihre Kinder ohne die ständige Angst vor der Ndrangheta aufwachsen können.

Ich erfahre in welchen Straßen die Bosse und ihre Familien leben. Neubauten, Villen zumeist, die von draußen natürlich nicht erahnen lassen, dass darin Mafiosi leben, die einen Großteil des süditalienischen Drogenhandels kontrollieren und Riesenumsätze machen. Vor einer futuristisch wirkenden dreistöckigen Villa mit hoher Mauer und gleich vier Videokameras am Eingangstor fegt der städtische Müllmann Gennaro den Bürgersteig. In der Villa lebt ein Zweig des mächtigen Clans der Familie des Bosses Francesco Pelle. In einer Kaffeebar schräg gegenüber der Villa beginnt Gennaro zu plaudern. „Die Bewohner sind quasi unsichtbar“, weiß er. „Die lassen sich seit langer Zeit schon nicht mehr in der Öffentlichkeit sehen, seit dem 15. August, seit also die Bullen ständig präsent sind“. Er selbst habe schon beobachtet wie die Polizei kam „und diese Villa da hinten durchsuchte“. Dabei habe man, berichtet der junge Mann, einen riesigen unterirdischen Bunker entdeckt. „Da treffen sich doch die Bosse der Nrangheta“, flüstert er mir zu, damit der Barbesitzer nichts mitbekommt. „Da verstecken die sich, das wissen wir doch alle hier in San Luca.“

In den letzten Monaten wurden viele der Mafia-Villen in San Luca durchsucht. Immer wieder wurden Bunker entdeckt. Zum Teil mit Waffen, immer aber mit Lebensmittelvorräten, um untergetauchte Ndrangheta-Mitglieder wenn nötig auch für längere Zeit zu verstecken. In so einem Kellerbunker wurde vor wenigen Tagen Paolo Nirta, 31, geschnappt. Gestern ging der italienischen Polizei in Aprilia bei Rom Gianfranco Antonioli ins Netz - er soll dem Pelle-Vottari-Clan Waffen geliefert haben.