So war der „Tatort”Kaum Raum für die psychologische Tiefe der Geschichte
Kiel – Hüseyin Tabak („Gipsy Queen”) inszenierte mit seinem ersten „Tatort” (Buch: Eva und Volker A. Zahn) ein bedrückendes, psychologisches Drama.
Der Fall
Nachdem eine junge Frau vor den Augen der Polizeischüler Tobias (Enno Trebs), Leroy (Stefan Hegli) und Nasrin (Soma Pysall) Selbstmord begangen hatte, versuchten sie gemeinsam mit dem vierten im Bunde, Sandro (Louis Held), ihren Schock in Alkohol und Gras zu ertränken.
Für „Tatort“-Fans
„Tatorte“ gibt es viele: klassisch, experimentell, spannend oder doch eher langweilig? In unserer Vorschau erfahren Sie immer bereits ab Samstag, wie der kommende „Tatort“ werden wird.
Direkt im Anschluss an jede Sendung am Sonntagabend folgt dann unsere „Tatort“-Kritik.
Als sie am nächsten Tag an einem Praxis-Workshop in der Polizeischule teilnehmen mussten, bedrohte Sandro Nasrin während der Übung im Spiel mit einem Schraubenzieher. Unbemerkt von ihren beiden Ausbildern Klaus Borowski (Axel Milberg) und Mila Sahin (Almila Bagriacik) flüsterte Sandro ihr etwas ins Ohr, woraufhin Nasrin völlig die Kontrolle über sich verlor und Sandro wie von Sinnen mit dem Schraubenzieher erstach.
Die Auflösung
Nasrin und Jule (Caro Cult) waren seit ihrer Kindheit befreundet. Als Nasrin mit ansehen musste, wie ihre ehemalige beste Freundin sich selbst in den Tod stürzte, ließ dies verdrängte Erinnerungen an ein furchtbares Ereignis wiederkehren. Nasrin wurde mit 15 Jahren von drei Männern erpresst, ihre Freundin auf das Dach ihres Hauses zu locken, damit diese sie dort vergewaltigen konnten.
Jules Selbstmord versetzte Nasrin in einen dissoziativen Zustand, sie musste das damals Erlebte nun verarbeiten. Ihr Freund Tobias dagegen entschloss sich, Rache an den drei Männern zu üben, die seiner Freundin das angetan hatten. Mit Sandro und Leroy begann er, die Täter aufzuspüren und zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Polizeischüler
Besonders Soma Pysall konnte in ihrer Rolle überzeugen. Nasrin schwankte ständig zwischen völlig in sich gekehrter Taubheit und unkontrollierten, gewalttätigen Ausbrüchen. Pysall interpretierte ihre Rolle als ehrgeizige junge Frau, die plötzlich jede Beherrschung über sich selber verliert, sehr glaubwürdig und ohne zu übertreiben. Ihre drei Ausbildungskollegen dagegen wirkten teilweise überzogen, obwohl auch Enno Trebs die psychische Desintegration von Tobias mit bedrückender Intensität zu verkörpern wusste.
Insgesamt waren die vier Polizeischüler jedoch zu flach angelegt: Ihre Motive ließen sich nur schwer nachvollziehen. Auch weil es kaum Hinweise auf die zahlreichen rapiden Handlungsumbrüche gab. Dass Tobias, Sandro und Leroy etwa in der Nacht nach Jules Selbstmord einen Mord begangen haben sollen, wirkte angesichts ihres locker-lässigen Verhaltens am nächsten Morgen doch eher unwahrscheinlich. Und weshalb Sandro Nasrin derart provozieren wollte, nachdem sie ihm im Vertrauen erzählt hatte, was damals mit Jule geschehen war, wirkte ebenfalls nur schwer nachvollziehbar.
Fazit
Die Stärken dieses „Tatorts” lagen eindeutig in der schauspielerischen Leistung einiger Darsteller und der bedrückenden Stimmung, die sie der Geschichte so verleihen konnten. Doch auch dies konnte nicht über die zahlreichen Unstimmigkeiten in der Geschichte hinweghelfen. Zu sehr schien die Handlung die Entwicklung der Charaktere zu dominieren, anstatt dass die Charaktere die Handlung vorangetrieben hätten. Daraus resultierte der nur schwer beiseite zu schiebende Eindruck, dass die Geschichte mit allzu viel Nachdruck in eine Form gepresst wurde, die ihrem natürlichen Verlauf zuwider lief.
Zudem ließ die spannungsorientierte Inszenierung keinen Raum für die eigentliche psychologische Tiefe der Geschichte. So blieb am Ende trotz des aufgeklärten Falls ein frustriertes „Warum?” zurück, zu wenig nachvollziehbar blieb das Verhalten der Protagonisten, zu undurchsichtig ihre Motive, zu unnatürlich der Handlungsverlauf.