„Tatort“-KritikSo freizügig war der Sonntagskrimi schon lange nicht mehr
Köln – Philipp Kiehl (Andreas Döhler), der seine Frau zur Schönheits-OP in den Schwarzwald begleitete, wird erschlagen in seinem Hotelzimmer aufgefunden. Seine Todesnacht verbrachte er mit Romy Schindler (Darja Mahotkin). Die junge Mutter und Krankenschwester kannte er noch aus ihrer Zeit im Escortservice in Karlsruhe. Nun lebt sie jedoch mit dem Arzt Dr. David Hans (Andrei Viorel Tacu) zusammen. Es sollte nur ein ausgelassener Abend werden, sagte sie den Ermittlern. David Hans beteuert, nichts vom Fremdgehen seiner Freundin gewusst zu haben.
Für „Tatort“-Fans
„Tatorte“ gibt es viele: klassisch, experimentell, spannend oder doch eher langweilig? In unserer Vorschau erfahren Sie immer bereits ab Samstag, wie der kommende „Tatort“ werden wird.
Direkt im Anschluss an jede Sendung am Sonntagabend folgt dann unsere „Tatort“-Kritik.
Die Auflösung
Romy Schindler gesteht letztendlich den Mord an Kiehl. Nachdem er sie bedrängte und sich dann erneut über sie hermachte, erschlug sie ihn mit dem Aschenbecher. Bevor es zu ihrem Geständnis kam, gab jedoch ihr Freund Dr. Hans die Tat in einem Brief zu und schlitzte sich danach die Pulsadern auf, womöglich um sie zu decken. Romy konnte ihn noch rechtzeitig retten und gestand daraufhin die Tat. Als sie am Ende abgeführt wird, stellt sich die Frage, ob ihre Festnahme eher Strafe oder Erlösung ist.
Das Thema
Von Karnevalsromantik ist zwischen den maskierten Gestalten, dem Alkoholkonsum und der Präsenz von Gewalt nicht mehr viel zu spüren. Die Ausgelassenheit reißt auch die beiden Kommissare Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) mit. Nach ein paar Schnäpsen zu viel landen sie schließlich miteinander im Bett. Kein Wunder also, dass es in diesem Tatort nicht nur darum geht, den Mörder zu schnappen. Die Hauptermittler sind eben auch keine schuldlosen Figuren, sondern genauso menschlich fehlbar wie die Täter.
Die Hauptpersonen
Die weitestgehend unbekannten Fernsehgesichter Darja Mahotkin und Andrei Viorel Tacu in den Hauptrollen zu besetzen, war ein Glücksgriff. Die in Russland geborene und in Bochum aufgewachsene Darja Mahotkin überzeugt in ihrer Rolle als kaputte Krankenschwester mit großer Intensität und spielt ihre Kollegen auch gerne einmal an die Wand. Wagner schwächelt hingegen in diesem „Tatort“. Man nimmt ihm den Fasnacht-Muffel, der im Bärenkostüm betrunken über die Tanzfläche tapst und anschließend mit Kommissarin Löbau kopuliert, nicht so recht ab.
Das Fazit
„Ich habe im Traum geweinet“ ist definitiv ein ungewöhnlicher „Tatort“. Immerhin wartet man eine ganze halbe Stunde auf den obligatorischen Mord. Das tut dem Spannungsaufbau aber nichts, denn die Gewalt ist bereits ab der ersten Szene präsent. Selbst die Straßenumzüge der Narren sind von Gewalt durchzogen, wenn beispielsweise die Maskenträger, auch „Schuttig“ genannt, mit Stöcken, an denen Schweins- und Rinderblasen befestigt sind, wild auf den Kommissar eindreschen.
Durch die heftigen Sex- und Gewaltszenen mag der neue „Tatort“ zunächst wie ein Skandalkrimi daherkommen, Drehbuchautor Jan Eichberg und Regisseur Jan Bonny überzeugen aber gerade eben mit dieser Charakterstudie über Körperlichkeit und Rausch, Sexualität und Gewalt, in der die Auflösung des Falls zur kompletten Nebensache wird.
Dieser „Tatort“ spielt mit den Grenzen dessen, was Spiel und was Straftat ist, wem vergeben und wer bestraft wird, ob Fremdgehen zum Mord führt oder nur zur Trennung. Dabei geht es nicht immer schön zu, wenn Sauf- und Maskenorgien gezeigt werden. Im wortwörtlichen Sinne lässt diese nackte Ehrlichkeit des Films tiefe Einblicke in die menschlichen Abgründe zu. Aus der Reihe des klassischen „Tatort“ fällt der Film allemal. Und das ist sehr erfrischend.