Mensch und Vieh unter einem Dach
WIPPERFÜRTH. Wie sahen die Bauernhäuser des 16. bis 20. Jahrhunderts im Raum Wipperfürth wirklich aus? Wie lebten die Menschen hier früher und welche Rolle spielte die Landwirtschaft in ihrem täglichen Leben? Antworten auf diese und weitere Fragen gab es bei der Veranstaltung Landwirtschaft früher in der Dorfschänke Agathaberg. Der Informationsabend wurde gemeinsam vom Heimat- und Geschichtsverein Wipperfürth und dem Rheinischen Landfrauenverband organisiert und hielt jede Menge Wissenswertes bereit.
Wenn wir das idealtypische Bauernhaus sehen wollen, dann müssen wir ins Freilichtmuseum gehen - über den Irrtum vom lupenreinen Exemplar klärt Erich Kahl, der Vorsitzende des Heimat- und Geschichtsvereines Wipperfürth gleich zu Beginn seines Vortrages auf. Denn durch das Wipperfürther Gebiet verlief früher die Baustil-Grenze zwischen niederdeutschem, vom Giebel her aufgeschlossenen Hallenhaus und mitteldeutschem, quer orientiertem Haus - was oftmals zu einer Vermischung beider Formen führte. Und zudem lassen sich aufgrund vielfältiger Erbteilungen, Umbauten und Verbesserungen an den Bauernhäusern heute nur noch grundlegende Merkmale erkennen.
Wenn ein Haus geteilt wurde, und die Erben haben renoviert, wurde sich da nicht unbedingt abgesprochen, so Kahl. Dem Bauernhaus in Überberg etwa ist auf dem Schwarzweißfoto von 1925 nicht anzusehen, dass es mit seinem Baujahr 1598 das Älteste der Region ist. Doch Kahl betont: Man muss die Häuser nur lesen können, dann sprechen sie Bände. Er erklärt, dass bis Beginn des 18. Jahrhunderts Vieh und Mensch ohne Trennwände unter einem Dach lebten. Die heute unvorstellbaren Wohnbedingungen erleichterten den Arbeitsaufwand, indem die Tiere direkt vom Wohnraum aus beaufsichtigt und gefüttert werden konnten, zudem lieferte das Vieh in Kältezeiten kostbare Wärme.
Früher gab es
keinen Schornstein
Um nicht ständig ausmisten zu müssen, war das damalige Konzept des Tiefstalls unentbehrlich: Dieser war einige Zentimeter tiefer gelegt als der wohnliche Herdraum und wuchs durch immer neue Streuschichten langsam empor, bis die Bodenerhebung dann einmal im Jahr abgestochen und als Dünger verwendet wurde. Auch hatten die Bauernhäuser jener Zeit keine Schornsteine - Rauch und Ruß dienten vielmehr als Konservierungsstoffe - etwa für Schinken, der einfach an der Decke geräuchert wurde. Erst im 18. Jahrhundert entwickelten sich getrennte Stockwerke, Zwischenwände und Schornsteine; die vorher üblichen Strohdächer verschwanden.
Ob Sassenbach, Holte, Ballsiefen oder Lendringhausen - viele der Fotografien rufen unter den Gästen persönliche Erinnerungen hervor. Wir möchten hier schließlich Raum zu Gesprächen und Austausch geben, freut sich Landfrauen-Vorsitzende Angela Kern über die spontanen Anekdoten. Abgerundet wird die gemütliche, nostalgische Atmosphäre durch kleine Vorlesungen. Landfrauenmitglied Claudia Eisenacher rezitiert einige Gedichte in bergischer Mundart und die Wipperfürther Schriftstellerin Jenny Kollenberg liest aus ihren Geschichten zur guten alten Zeit im Alltag vor. Auch das Bergische Heimatlied mit Zierharmonika-Begleitung darf an diesem Abend nicht fehlen.
Die Resonanz ist insgesamt sehr positiv, resümiert Kern. Eine weitere Veranstaltung in diesem Rahmen ist durchaus denkbar. Und dann soll auch die Bevölkerung insgesamt angesprochen werden, und nicht nur vorrangig Vereinsmitglieder.