Mein liebstes AndenkenDas schwarze Gold von Cadzand

Ein uralter, versteinerter Haifischzahn ist das liebste Andenken von Marlies Schlößer. Ein Fund, der Seltenheitswert hat.
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BEDBURG – Das Wetter an diesem Novembertag im Jahr 2007 ist optimal: Ein Sturmtief aus Nordwest peitscht den Regen in Richtung Küste. Das Meer ist ein brodelnder Kessel. Der Strand wird von scharfen Böen durchpflügt. Marlies Schlößer spürt, heute kann es, heute wird es geschehen. Nach 15-jähriger Suche scheint das Ziel zum Greifen nah. Also los: Kinn auf die Brust, Augen auf den Sand. Und tatsächlich, da ist er. „Es war, als würde er zu mir sagen: Na komm schon, heb mich auf.“
Endlich hält sie ihn in Händen. Er ist ihr. Marlies Schlößer möchte am liebsten vor Freude schreien. Aber sie nimmt ihre ganze Kraft zusammen und schweigt.
25 Jahre zuvor: Marlies und Wilhelm Schlößer reisen das erste Mal in die holländische Küstenstadt Cadzand. „Alles stimmte: die Luft, die Ruhe, die Weite, der Strand“, erinnert sich Wilhelm Schlößer. Obwohl, der Strand: Etwas seltsam war es schon, was das Ehepaar dort zu sehen bekam. War das eine besondere Form calvinistischer Demut? Die meisten Strandspaziergänger senkten ihr Haupt. „Einer kam jeden Nachmittag, anscheinend direkt von der Arbeit. Anzug und Krawatte noch an, zog er sich Gummistiefeln über die Füße und stapfte los - Kopf nach unten.“
Selbst heute noch, obwohl sie die Hintergründe kennt, kommt Marlies Schlößer diese Szene surreal vor. Was ist da los? Befragten sie die Einheimischen, verstanden die auf einmal kein Deutsch mehr. Deutsche Touristen, auf das seltsame Schauspiel angesprochen, gaben sich verstockt. „Wir mussten Literatur zurate ziehen“, räumt Marlies Schlößer ein. In den Büchern fand das Ehepaar des Rätsels Lösung: Haifischzähne. Versteinert. Millionen Jahre alt. Die Lage, die Strömung, die Schelde - warum auch immer: Cadzand ist eine Goldgrube, wenn es um diese Fossilien geht.
Noch in der Gegenwart faszinieren die hocheffizienten Raubfische. Um wie viel mehr erst ihre prähistorischen Urahnen. Nun verneigten sich auch Marlies und Wilhelm Schlößer vor diesen Geschöpfen. Ihre Augen scannten den Strand. Quadratzentimeter für Quadratzentimeter. So ansteckend muss es gewesen sein, das Goldfieber.
Es brauchte ein wenig Ausdauer, ein wenig Übung. Aber dann war es so weit: Marlies Schlößer hielt die ersten kleinen, wenige Millimeter großen versteinerten Haifischzähne in der Hand. Nur eine Vorahnung von dem, was noch kommen sollte. „Ich wusste, es gibt sie größer, und ich wollte einen Großen haben.“ Die Faszination hat noch nicht nachgelassen, auch nicht nach ihrem Fund im November 2007. Da ist ein Funkeln in Marlies Schlößers Augen.
Zahnärztin war tief beeindruckt
Cadzand wurde für die Familie Schlößer zur zweiten Heimat. Nicht nur wegen der Haifischzähne. Gott bewahre. Das Land, das Meer, die Menschen. „Die sind wie die Rheinländer“, sagt Wilhelm Schlößer. Mallorca, Fernreisen, das sei eben nicht ihr Ding. Aber die Haifischzähne, die sind natürlich Teil des Ganzen. Ein nicht zu vernachlässigender Teil.
Da gibt es ein Ankunftsritual. Raus aus dem Auto, rauf auf den Deich, runter zum Strand - und dann, unweigerlich, Kinn auf die Brust. So gingen die Jahre ins Land. Und dann kam der Tag im November 2007. Das Nugget. Als Marlies Schlößer den imposanten Zahn aus dem Sand gehoben hatte, war sie noch geistesgegenwärtig genug zu schweigen.
Die Konkurrenz war in Mannschaftsstärke nur wenige Meter hinter ihr. Trotz des Regens, trotz des Sturms? „Das ist einem irgendwann egal“, sagt Marlies Schlößer. Ihr entschlossener Gesichtsausdruck wehrt jeden Zweifel ab.
Muss jetzt etwa noch erwähnt werden, dass dieser Tag für das Ehepaar Schlösser ein unvergesslicher ist, dass der Haifischzahn ihr liebstes Andenken ist? Marlies Schlößer präsentierte den Zahn einmal ihrer Zahnärztin, aus Scherz. Er verfehlte nicht die Wirkung auf die Fachfrau. Sie wickelte ihn voller Respekt in ein Spezialtuch ein. Darin wird er seitdem aufbewahrt.