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Kinderarbeit in IndienEin Leben als Sklave im Steinbruch

Lesezeit 3 Minuten

In Indien arbeiten allein 100000 Kinder in Steinbrüchen. Viele sterben an den Spätfolgen schon mit 35 Jahren. (Symbolbild: dpa)

KOTA / INDIEN. Chefan ist durch die Hölle gegangen. Jahrelang schuftete der 12-Jährige für den Hungerlohn von einem Euro pro Tag in den Steinbrüchen von Rajasthan. Heute fühlt sich der kleine Inder wie im Himmel. „Erst habe ich Steine gemacht. Jetzt gehe ich zur Schule.“ Andere haben weniger Glück: Allein in der Region Budhpura sind geschätzte 15 000 der 100 000 Steinarbeiter Kinder.

Steinwüsten, so weit das Auge reicht. Barfuß, in Lumpen, ohne Mundschutz schlagen die Arbeiter Pflastersteine. Immer 14 mal 14 Zentimeter. Wenn Fremde kommen, laufen die Kinder weg - das haben ihnen die Minenbesitzer eingebläut. Kinderarbeit unter 14 Jahren ist offiziell verboten.

Beim - angekündigten - Besuch von NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann ist denn auch kein Kind am Meißel zu sehen. Hinter Büschen haben sich aber Kinder versteckt, manche haben vom Hämmern wunde oder verkrüppelte Hände. Als die Gruppe bei der Abfahrt einige Kinderarbeiter meißeln sieht und anhält, greift ein aufgeregter Moped-Fahrer umgehend zum Handy. Ruckzuck sind die Kinder weg. „Je größer die Kinder werden, desto größer wird der Hammer“, weiß Benjamin Pütter.

Gemeinsam mit dem katholischen Hilfswerk Misereor kämpft Pütter als Gründer der Organisation „Xertifix“ gegen die Kinderarbeit in Indien. „Xertifix“ hat mit deutschen Importeuren für 50 der 5000 Steinbrüche Verträge über ein Siegel abgeschlossen, das belegen soll, dass keine Kinderarbeiter eingesetzt werden. Ein Tropfen auf den heißen Stein - aber ein Anfang. Das NRW-Handwerk schätzt, dass fast jeder zweite Grabstein aus Indien stammt.

Wie auf einer Müllhalde leben Wanderarbeiter in Zelten und Bretterbuden direkt neben den Minen. Ohne Toiletten, ohne sauberes Trinkwasser. Schutzlos sind alle dem Staub ausgesetzt. Kinder, die hier arbeiten, werden kaum älter als 35, Steinstaublunge heißt die Todesursache. Das Hilfswerk Misereor will da nicht tatenlos zusehen. In Budhpura fördert Misereor eine Schule für 270 Kinder. Einer, der frühere Kinderarbeiter Phoolchang erzählt dem Minister aus dem fernen Deutschland stolz von seinen Plänen: „Ich will Lehrer werden.“ Bildung ist die einzige Chance, der Armut zu entfliehen. Dass der moralische Anspruch der Besucher an Grenzen stößt, wird in den Steinbrüchen deutlich. Ängstlich beäugt eine Steinarbeiterin die Fotografen. „Machen Sie unsere Arbeit nicht kaputt“, bittet die Steinarbeiterin. „Die Kinder gehen zur Schule.“ Keiner weiß, ob das stimmt. Rolf Krebs, Leiter des Evangelischen Büros in NRW, versteht die Nöte. „Sonst hätte sie gar nichts.“ Wer hier deutsche Ansprüche an den Arbeitsschutz anlegt, muss scheitern. „Ohne Arbeit kein Essen“, bringt ein Wanderarbeiter es auf den Punkt. Familien brauchen ihre Kinder zum Überleben. Die Hände in den Schoß legen wollen die Besucher aus Europa aber nicht. Die beiden großen Amtskirchen in NRW werden deshalb auf ihre Gemeinden als Träger von 80 Prozent der Friedhöfe einwirken, auf Grabsteine aus Kinderarbeit zu verzichten. Minister Laumann, vom Elend sichtlich beeindruckt, erwägt sogar einen Gesetzesvorstoß.

Die Rechtslage ist schwierig: Gemeinden in Andernach und München wurden erfolgreich von Steinmetzen verklagt. Sie hatten mit dem Verbot von Grabsteinen aus Kinderhand gegen das EU-Wettbewerbsrecht verstoßen. Im ersten Schritt will NRW deshalb die Vergaberichtlinie für Landesaufträge verschärfen.

Viele deutsche Importeure und Kunden lehnen Produkte aus Kinderarbeit ab, das Problem ist die Kontrolle. „Xertifix“-Chef Pütter schließt nicht aus, dass selbst in den wenigen Betrieben mit Arbeitsschutz-Siegel Kinder arbeiten.

Beim Treffen mit Steinexporteuren redet Laumann den Herstellern ins Gewissen. „Wer auf Dauer in Deutschland verkaufen will, muss Kinderarbeit meiden.“ Die Exporteure nicken freundlich - ob sie aktiv werden, steht auf einem anderen Blatt.