Kinder sind der größte Rock'n'Roll
BIERENBACHTAL. Auf dem Tisch liegen Kinderzeichnungen. Thorsten Wingenfelder schiebt sie vorsichtig zur Seite, bevor er seine Kaffeetasse abstellt. Die sonnenbeschienene Terrasse ist ein grünes Idyll. Nur die Dobro-Gitarre in der Ecke zeugt von dem unbürgerlichen Beruf des Vaters von Renée (2) und Vincent (4).
Wingenfelder ist Rockmusiker. Als Gitarrist der Band Fury In The Slaughterhouse hat er vor tausendköpfigen Zuschauermassen gespielt, die Konzerttourneen haben ihn bis in die USA geführt. Fury ist eine der erfolgreichsten deutschen Rockbands der letzten 20 Jahre. Seit einigen Monaten lebt Wingenfelder in Nümbrecht-Bierenbachtal, in der Holzbausiedlung an der Feuerwehrstraße. Der Innenhof ist ein Paradies für Kinder, das war ein entscheidendes Argument für den Umzug hierher. Vorher lebten Wingenfelder und seine Frau Silvia in einem aufwändig ausgebauten Bauernhof in der Eifel. Das war irgendwie rockstarmäßiger, aber eben total unpraktisch, sagt Wingenfelder. Da wollten die Kinder am Sonntagmorgen um 8 Uhr von uns unterhalten werden. Jetzt können wir einfach die Haustür aufmachen, damit sie mit den anderen Kindern spielen.
Seine Frau lebte in Köln, als er sie bei der Hochzeit seines Bruders Kai (dem Sänger der Band) kennen lernte. Silvia Wingenfelder hat Verwandtschaft in Hübender und Großfischbach. Als ich hier zu Besuch war, habe ich mich in die Gegend verknallt, sagt der Musiker. Mir ist es wichtig, dass es der Familie hier gut geht. Die Abgeschiedenheit seines neuen Heims sei kein Problem. Als Musiker ist er ohnehin viel unterwegs. Das ist alles eine Frage der Organisation. Wenn wir heute zusammen proben oder aufnehmen, ist alles viel konzentrierter als am Anfang. Man überlegt nicht mehr so lange.
Im März ist Thorsten Wingenfelder 40 Jahre alt geworden. Er bezeichnet sich als norddeutschen Melancholiker. Und so hören sich seine Songs auch an. Die Musik von Fury In The Slaughterhouse verzichtete schon Ende der 80er Jahre auf rebellische Posen. Und die Revolte ist bei Fury immer noch eine Herzensangelegenheit: Every Heart Is A Revolutionary Cell (Jedes Herz ist eine revolutionäre Zelle) heißt die neue CD, die am Freitag in die Läden kommt.
Deshalb ist es kein Bruch, wenn Thorsten Wingenfelder auch auf seiner zweiten Soloplatte, die bereits im Frühjahr erschienen ist, von seinen persönlichen Erfahrungen als Familienmensch berichtet. Aber anders als bei Fury in deutscher Sprache: Die Kinder schreien so laut, ich kann Dich kaum noch hören, lautet eine prägnante Zeile aus der Single Die Unperfekten.
Das ist keine Platte für 17-Jährige, sagt Wingenfelder. Seine Musik schämt sich nicht, erwachsen zu sein. Darum spiegelt sich darin auch die revolutionäre Wendung der Vaterschaft: Kinder sind der größte Rock n Roll, den man sich denken kann, hat der Musiker festgestellt.
Nicht nur der Sound der Solosongs erinnert manchmal an Bruce Springsteen. Auf Thorsten Wingenfelders Soloplatte steht nur nicht Born in The USA sondern 360 Grad Heimat. Die Selbstfindung des Musikers im Jahr seines 40. Geburtstags ist auch eine nationale Orientierung. Ich wollte mal auswandern. Aber dann habe ich viele Leute kennen gelernt, die fühlten sich im Ausland erst recht deutsch.
Und wo genau liegt die Heimat, wo hat der 360-Grad-Rundumblick sein Zentrum? In Hannover oder nun in Nümbrecht? Thorsten Wingenfelder blinzelt in die oberbergische Sommersonne und sagt: Das könnte hier ein Zuhause werden.