Und dann hat es „richtig gescheppert“. Markus Ranger (Name geändert) sagt diese beiden Worte mit Nachdruck, so als würde er in diesem Moment noch einmal zuschlagen. An einem Samstag Anfang der 1980er Jahre ist er zum Hooligan geworden. Der 1. FC Köln spielte bei Borussia Dortmund. Vor dem Westfalenstadion prügelten Kölner und Dortmunder Hools aufeinander ein. „Es war leichtes Spiel, die Polizei hatte nichts im Griff“, erinnert sich Ranger. „Vorher hatten wir schon Steine nach den Dortmundern geworfen.“
Als es damals in Dortmund zur Sache ging, war Markus Ranger 15 Jahre alt. Schon als Zwölfjähriger habe er im Dunstkreis der Hooligans in der Nordkurve gesessen. Ein Freund habe ihn mitgenommen und den Jungs des berüchtigten Fanclubs „Red Army Cologne“ vorgestellt. „In den 80er Jahren waren wir die Gefährlichsten, wir hatten einen richtig guten Ruf in Deutschland“, sagt er zufrieden. Die harten Jungs vom Oberrang Nord waren seine Vorbilder.
Markus Ranger ist seit Jahrzehnten bei den szenekundigen Beamten in Köln bekannt. Sie führten ihn in ihren Akten lange als Fan der „Kategorie C“, also als gewalttätig. Acht Jahre hatte er insgesamt schon Stadionverbot. Fast 10 000 Euro Bußgeld musste er über die Jahre wegen Körperverletzungen zahlen. Heute ist er Mitte 40. Er ist nicht mehr bei jedem Spiel dabei, auf der Nordtribüne, Block 14. Doch ans Aufhören denkt er nicht. „Mir geht es um das Gemeinschaftserlebnis, um die Tour zu den Spielen und ums Prügeln“, sagt er. Dass sein Hobby oft als „merkwürdig“ empfunden werde, gesteht er ein.
Der 1. FC Köln hat eine miserable Saison hinter sich. Einerseits wegen des Abstiegs, anderseits wegen der erschreckenden Eskapaden seiner Fans. Da waren die Fäkalien-Würfe auf Schalker Fans. Da waren die unzähligen Spiele, bei denen verbotene Bengalos abgefackelt wurden. Da war der Angriff auf den Fan-Bus aus Mönchengladbach und die Schläger-Attacke zweier Kölner auf Leverkusens Profi Michal Kadlec auf den Ringen. All das geht nach Einschätzung der Polizei auf das Konto diverser Ultra-Gruppierungen.Die Ultras im Süden des Stadions, die Hooligans im Norden. Sie bilden die Pole der Kölner Fußballwelt. Beide extrem, beide mit Hang zur Gewalt. „Aber bei uns gibt es einen Ehrenkodex“, sagt Markus Ranger, der Hooligan. „Unbeteiligte sind tabu. Für den Angriff auf einen Fan-Bus habe ich kein Verständnis, da hört der Spaß auf“, rügt er. Als Folge dieser Eskalation hatte die Polizei das Vereinsheim der Ultra-Gruppierung „Wilde Horde“ durchsucht.
Der Kreis der Hooligans umfasst nach Schätzungen der Polizei etwa 100 Personen, von den etwa 800 Ultras gelten rund 70 als gewaltbereit. „Früher haben die Hooligans mit der Polizei wenigstens kommuniziert. Aber die Fan-Kultur hat sich gewandelt, viele Ultras verweigern leider bislang die Kommunikation mit den Beamten“, bedauert Rainer Mendel, seit 1989 Fan-Beauftragter des 1. FC Köln.Am 18. März 2012 sollte es wieder scheppern. Kölner Hooligans hatten zwei Busse gechartert, um sich vor dem Auftritt des FC in Hannover mit Fußball-Schlägern aus Norddeutschland zu prügeln. Auch Markus Ranger saß erwartungsfroh mit der schlagkräftigen Reisegruppe im Bus. „Die Prügeleien geben mir einen Kick“, sagt er.
Über Landstraßen waren die Busfahrer auf Anweisung der Hooligans ausgewichen, um nicht von der Polizei entdeckt zu werden. Doch rund 20 Kilometer vor dem Stadion stoppten die Ermittler die Busse und eskortierten sie zurück nach Köln „Die Fahrt und die Eintrittskarte hatten mich 60 Euro gekostet. Ich war richtig sauer“, sagt Ranger.Seit Jahren hat Markus Ranger einen festen Job. Nach dem Hauptschulabschluss hat er eine Ausbildung gemacht. Seine Kollegen wissen nichts von seiner gelegentlichen Wochenendbeschäftigung. Als er mal mit geschwollenem Auge zur Arbeit kam, erzählte er, er sei mit dem Fahrrad gestürzt. „Das hat mir natürlich keiner geglaubt“, sagt er, „aber ich kann ja schlecht sagen: Ich war auf Schalke.“ Ein Foto seiner Verletzungen hat er im Handy gespeichert. Manchmal zeigt er es stolz, so wie andere Menschen die Fotos ihrer Kinder.
Schon früher musste Ranger ab und zu die Wahrheit verschweigen, um seiner Leidenschaft nachgehen zu können. Als er 13 Jahre alt war, hatten ihm seine Eltern Geld für Klamotten gegeben. „Ich bin von dem Geld zum Auswärtsspiel nach München gefahren. Das hat Ärger zu Hause gegeben“, erinnert er sich. Überhaupt hatte er einen speziellen Kleidungsstil: die Jacke von „Chevignon“, die Mütze von „Lacoste“ – so sah der Dresscode der Kölner Hooligans aus.Der Fußball trägt die Gewalttäter, die sich in seinem Namen prügeln, wie ein Geschwür in sich. Mitte der 1980er Jahre war der 1. FC Köln der erste Bundesligist mit eigenem Fan-Beauftragten. Wegen Verfehlungen seiner Fans musste der FC 1986 das Uefa-Pokal-Finale gegen Real Madrid in Berlin austragen. Gruppierungen wie die „Red Army Cologne“ oder die ebenfalls berüchtigten „Geißböcke 81“ haben sich einige Jahre später aufgelöst.
Die Hooligans von einst sind jetzt die „Alt-Hools“. Im Grunde brauchen sie den Fußball nicht, um ihre Gewaltgelüste auszuleben. „Wir haben uns auch schon abends im Wald getroffen“, erzählt Ranger. Davon bekomme keiner etwas mit.Doch manchmal wollen die Hooligans auch gesehen werden. Kölner Hooligans haben Ende 2011 ihr Aufeinandertreffen mit Gleichgesinnten aus Homburg und Mannheim gefilmt und ins Internet gestellt. Auf einer Waldlichtung sieht man etwa 50 Männer nervös auf und ab hüpfen. Manche tragen Mundschutz und Sturmhauben. „Wir vernichten sie. Helft den Leuten, die neben euch fallen“, ruft einer, so als zögen sie in den Krieg. Dann entladen sich Adrenalin und Aggression in Tritten, Schlägen und Gebrüll.
Am 8. Juni beginnt in Polen und der Ukraine die Fußball-EM. Gegen viele Hooligans wird die Polizei eine Ausreiseverfügung aussprechen. Auch Kölner Hools sind betroffen.Rainer Mendel will die Sommerpause nutzen, um Gespräche mit Fanclubs zu führen. „Die nächste Saison wird hoffentlich ohne größere Zwischenfälle seitens der Zuschauer verlaufen“, wünscht der Fan-Beauftragte.Markus Ranger wird auch in der Zweiten Liga dabei sein. In Stadien und auf Waldlichtungen. Wo immer es scheppert.