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Interview mit Sven Fischer„Dann gehe ich zu Doktor Wald“

Lesezeit 6 Minuten

Sven Fischer sagt, er habe seinen "Frieden gefunden". Wohl auch, weil er nach seiner Karriere neue Aufgaben entdeckt hat. (Foto: imago)

Auch Olympiasieger haben Reifenpannen. Irgendwie tröstlich. Beim ersten Anruf hört sich Sven Fischer gehetzt an, er steht in seiner Heimat Thüringen auf der Landstraße und sagt, umtost von reichlich Lärm: „Ich wechsele gerade den Reifen.“ Okay, wir einigen uns auf einen anderen Tag. Doch auch da geht es laut zu, es scheppert. Fischer klärt auf: „Meine Frau räumt gerade den Tisch ab. Wir haben zu Mittag gegessen.“ Ein Interview mit gut gefülltem Magen, umso besser.

Herr Fischer, Sie würden gerne mal Papst Benedikt treffen. Steht der Termin schon?

Nein, leider noch nicht. Aber das mit dem Termin wird schwierig, der Papst hat auch ohne mich genug zu tun. Nichtsdestotrotz bleibt das ein Traum. Er hat ja auch am gleichen Tag wie ich Geburtstag.

Ein schöner Zufall . . .

In der Tat. Ich denke, dass er einiges leisten kann. Viele verehren ja Popstars, aber die bringen mir alle nichts.

Sie gelten als gläubiger Christ. Viele Menschen finden zur Religion keinen Zugang mehr. Was gibt Ihnen der Glaube?

Ich bin als Mensch durch viele Tiefen gegangen. Mit 18 Jahren hatte ich eine schwere Knieverletzung, meine Karriere war kurz vor dem Ende. Ich habe viel geweint damals. Vorher war alles Friede, Freude, Eierkuchen. Und dann habe ich plötzlich gemerkt, dass ich bis dahin viel Glück hatte. Aus diesem Loch herauszukommen war nicht so einfach. Dann brauchst du dein Umfeld, Menschen die dir helfen. Und du benötigst einen gewissen Glauben, um zu sagen: „Ich glaube daran, dass alles gut ausgeht.“ Das konnte man ja auch kürzlich in Hannover beobachten . . .

Sie meinen den Suizid von Nationaltorhüter Robert Enke.

Genau. Da sieht man, wie eine Situation eskalieren kann, wenn man nicht an das Gute glaubt. Denn je mehr du in der Öffentlichkeit stehst, umso schwieriger wird dein Leben. Jeder nimmt heutzutage seine Probleme als hundertprozentig wichtig. Mir vermittelt der Glaube eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit meinen Sorgen.

Dennoch zählt im Sport oft nur der Sieg.

Schon, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade die Nichtgewinner, also sozusagen die Verlierer, lange dabei bleiben und trotzdem ihren Spaß haben. Der Weg zu einem Ziel hat mir immer mehr gegeben als das Ziel selbst.

Sie selbst leben in Schmalkalden, ihrem Geburtsort, mit Frau und Kindern.

Ja, bei meinen Eltern unterm Dach.

Offenbar haben Sie Ihren Frieden gefunden!

Ja. Ich habe durch den Sport und die vielen Reisen erfahren dürfen, wie andere Leute leben. Glauben Sie mir, Reichtum hängt nicht vom Geldbeutel ab. Und uns in Deutschland geht es doch vergleichsweise gut. Wir haben zwar Probleme, aber die sind lösbar.

Das hört sich nach einem optimistischen Sven Fischer an?

Ja, das bin ich. Man hat mich 2007, nach meinem Rücktritt, auch auf das Loch nach dem Karriereende gefragt. Da habe ich gesagt: „Was für ein Loch?“ Mir geht es gut, ich arbeite jetzt ehrenamtlich als Biathlon-Sportwart für den Thüringer Ski-Verband und freue mich, für das ZDF als Fernseh-Experte tätig sein zu dürfen.

Sie gehen gerne auf die Jagd. Worüber denkt der Mensch Sven Fischer auf dem Hochsitz nach, wenn er auf Wild wartet?

Das Thema Jagd rührt von meiner Naturverbundenheit her. Ich bin auf dem Bauernhof groß geworden, das prägt. Wenn ich richtig stressige Tage habe, dann gehe ich zu Doktor Wald. Dort bekomme ich den Kopf frei und kann alles sacken lassen. Das ist für mich wie eine Meditation.

Sie gehen demnach mit hohem Bewusstsein durchs Leben und rasen nicht durch die Tage?

Genau. Und dadurch entstehen bei mir viele Probleme erst gar nicht. Ich relativiere einfach vieles für mich. Mir wird auch immer mehr bewusst, wie gut wir es haben. Meine Großväter waren im Krieg, die hatten Grund zu klagen. Uns fällt so schnell keine Bombe aufs Haus.

Fassen wir zusammen: Sie jagen gerne, kommen bodenständig rüber und geben als Reiseziele Norwegen und Alaska an. Typ kerniger Naturbursche?

Das könnte man so sagen.

Nach außen wirken Biathleten ohnehin immer grundehrlich und bescheiden. Täuscht das?

Ich glaube, es scheint nur so, dass es von Sportart zu Sportart Tendenzen in den Charakterzügen gibt. Aber ich habe in den vergangenen 25 Jahren alle Charaktere wiedergefunden, die es im normalen Leben auch gibt. Auch im Biathlon gibt es Deppen.

Die Sportart hat eine unglaubliche Entwicklung genommen, Millionen verfolgen Biathlon am Fernseher, zig Tausende kommen zu den Wettkämpfen. Bereuen Sie es, nicht mehr aktiv dabei zu sein?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe den Sport ja auch mit hochgebracht. Ich habe beides mitgemacht: Biathlon als Randsportart, als man den Fernsehsendern Geld gegeben hat, damit sie übertrugen. Und auch die Zeit, in der Tausende zwölf Stunden vor Rennbeginn schon in der Kälte stehen und die Sender Millionen zahlen.

Ist Ihr Dasein als Experte der perfekte Mittelweg? Sie sind noch dabei, können sich aber zwischen den Weltcups um Ihre Familie kümmern.

Das haben Sie eigentlich genau richtig analysiert.

Stichwort Doping: Ihr Kollege Holger Schönthier hat Sie 1995 des Dopings bezichtigt. Ist das der Preis dafür, wenn man in der Öffentlichkeit steht?

Ja, das gehört dazu. Aber das war schon schade, Holger war mein Zimmerkollege, ein Freund. Aber anscheinend war der Neid-Faktor so groß, dass er mich angegriffen hat. Da war ich schon sehr enttäuscht, weil ich eben nichts genommen habe. Ich glaube, wenn man betrügt, dann hat man den Respekt vor sich verloren. Ich bin mit mir im Reinen.

Vor wenigen Wochen jährte sich der Mauerfall zum zwanzigsten Mal. Berührt Sie das als ehemaligen DDR-Bewohner noch emotional?

Klar. Man verbindet mit der DDR ja auch seine eigene Geschichte - unabhängig vom System. Ein Beispiel: Der erste Kuss mit einem Mädchen, den hat man, egal in welchem System man lebt. Aber ein Ostalgiker bin ich nicht. Und außerdem war die Wende nach meinen Knieproblemen auch eine gesundheitliche Wende, die Heilung ging voran.

Sie haben mit 18 Jahren einem Stasi-Mitarbeiter gegenüber einen Zettel unterschrieben. Dort stand sinngemäß: „Ich verpflichte mich, im Ausland für die Ehre der DDR zu kämpfen und jeglichen Kontakt mit Westsportlern zu meiden.“ Später wurde Ihnen das als Stasi-Mitarbeit vorgeworfen.

Das war ein Fehler, aber das geschah durchaus mit gesundem Menschenverstand. Das war für mich völlig normal damals. Ich habe niemandem geschadet und habe auch niemanden ausspioniert oder Berichte abgeliefert. Meine Frage, ob ich denn nun bei der Stasi arbeite, verneinte der Offizier. Mit 18 Jahren ein Rebell zu sein ist schwierig.

Immerhin hat die Bundeswehr Sie 1998 entlassen.

Die Enttäuschung war, dass es 1994, als ich mich zu dieser Unterschrift bekannt habe, keine Konsequenzen gab. Vier Jahre später wurde es plötzlich zum Problem, ich musste gehen. Das konnte ich einfach nicht nachvollziehen, aber es hat meine sportliche Karriere nicht aufhalten können.