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Interview mit Kölner StadtplanerinWie Städte der Zukunft aussehen sollten

Lesezeit 6 Minuten
2 Press ParkNPlay (c) Rasmus Hjortshoj (1)

Ein Freizeit- und Sportfeld auf einem Parkplatz in Kopenhagen 

Die Städte wandeln sich, um Freiräume wird gekämpft. Der Bürger rückt mit seinen Bedürfnissen stärker in den Blick. Wie Städte für Menschen aussehen sollten, erklärt die Stadtplanerin und Architektin Yasemin Utku im Gespräch mit Jens Meifert.

Frau Utku, was macht eine menschenfreundliche Stadt aus?

Viele Aspekte spielen eine Rolle. Grundsätzlich brauchen wir eine stärke Gemeinwohlorientierung in unseren Städten, um eine „Stadt für alle“ zu ermöglichen. Im besten Fall entstehen mehr qualitätsvolle öffentliche Räume mit Platz für auch konsumfreie Begegnungen. Wir sprechen heute in der Stadtentwicklung viel von „Dritten Orten“, von neuen Räumen der Begegnung. Das kann eine Stadt mit definieren.

Zur Person

Yasemin Utku_(Foto Michael Heuss)

Yasemin Utku 

Yasemin Utku ist im rechtsrheinischen Köln groß geworden. Sie hat im Ruhrgebiet Architektur und Raumplanung studiert, heute betreibt sie ein Büro für Stadtentwicklung, Städtebau und Stadtforschung. Die 54-Jährige ist seit rund 20 Jahren an verschiedenen Hochschulen in NRW tätig. Seit 2018 hat sie eine Professur für Städtebau und Planungspraxis an der Fakultät Architektur der Technischen Hochschule Köln. Sie lebt in Bochum und Köln. (mft/Foto: Michael Heuss)

Was heißt das konkret?

Es gibt gute Beispiele für multifunktionale Räume. Ein prominentes Beispiel ist die Bibliothek in Helsinki, die weit mehr als nur eine Bibliothek ist. Da stehen zum Beispiel auch Nähmaschinen, wo Leute Dinge reparieren können. Nebenan machen Kinder ihre Schulaufgaben, ein Kino gibt es auch, und natürlich können Sie einfach Bücher ausleihen. Da haben Sie ganz verschiedene Angebote und Räume, die Gemeinschaft, Austausch und Bildung ermöglichen. Alles Dinge, die bei uns häufig noch sehr separiert sind.

Die Chefin der Kölner Stadtbibliothek würde einwerfen: Wir sind längst ein Ort der Begegnung.

Ja, stimmt. Da hat sich schon einiges verändert, und das ist wichtig für eine Stadtentwicklung. Aber das ist ja auch nur ein Aspekt für eine menschenfreundliche Stadt, um auf Ihre Eingangsfrage zurück zu kommen. Dazu kommen viele weitere Themen, etwa die Mobilität. Die starke Auto-Orientierung unserer Städte hat nicht nur zu Luftverschmutzung geführt, sondern auch zu Verlärmung. Da muss man ran, weil die Menschen es als zunehmend störend empfinden. Es gibt viele neue Konzepte. Eines ist die „15-Minuten-Stadt“, sie sieht vor, dass alle alltäglichen Funktionen in 15 Minuten zu erreichen sind: Nahversorgung, der Arzt, aber auch Begegnungsräume. Da finden Sie nicht die Spezialklinik, aber den Hausarzt. Die Kleinstadt in der Metropole. Wir haben uns angewöhnt, vieles mit dem Auto zu erledigen. Das muss aber nicht so sein.

Die moderne Stadt ist also kleinteiliger, grüner und hat weniger Verkehr?

Ja, die Potenziale sind auf jeden Fall da. Die Kölner orientieren sich ohnehin oft an dem, was in ihrem Veedel passiert. Das ist doch ideal. Wir sehen, dass die Menschen diese Nahorientierung suchen, weil es das Leben entstresst. In den Randlagen ist das natürlich nicht so leicht. Es mangelt in Köln gar nicht an guten Beispielen. Nehmen Sie den Yitzhak-Rabin-Platz, da hat sich in der Innenstadt etwas Nachbarschaftliches organisiert, Bürger haben das selbst gemacht. Aber man zieht keine Schlüsse daraus. Es gibt meines Wissens noch kein Konzept für Quartiersplätze, da könnte man ansetzen.

Ein oft erhobener Vorwurf: Das sind Wohlfühlkonzepte für die Zentren.

Einspruch. Das geht im Großteil der Stadt. Und bezogen auf das Verkehrsthema muss man sagen, gerade in den zentralen Lagen von Köln ist die Fahrradstruktur ein Desaster. Man hat nicht den Eindruck, dass die Stadt alles dafür tut, damit die Leute aufs Rad umsteigen.

Auf den Innenstadtringen schon.

Da schon, das stimmt. Aber wenn ich mir die Hauptverkehrsachsen angucke, sehe ich noch viel Luft nach oben. Wohlgemerkt: Ich rede nicht nur vom fließenden Verkehr. Der ruhende Verkehr ist vielleicht sogar das größere Problem. Weil wir die Seitenstraßen zugestellt haben mit parkenden Autos, die oft kaum noch bewegt werden. Das machen wir möglich, weil wir den Parkraum quasi verschenken, ein Anwohnerparkplatz kostet kaum etwas. Das ist aber wertvoller städtischer Raum, der ganz anders zu nutzen wäre.

Sie sagen, es sollte auch konsumfreie Orte geben. Gibt es zu wenig offene Räume?

Wir finden es toll, wenn es auf Plätzen Gastronomie gibt. Es fehlen aber oft die Möglichkeiten, sich dort aufzuhalten, ohne Geld auszugeben. Man muss es der Stadtgesellschaft ermöglichen, den öffentlichen Raum zu nutzen. Die Urban-Gardening-Initiativen haben das vorgemacht, wie zum Beispiel die Gruppe, die am Sachsenring die „Essbare Stadt“ erlebbar machen will. Mehr zu ermöglichen, auch und gerade von Politik und Verwaltung, das ist wichtig. Diese offenen Räume werden aber oft kritisch beäugt, weil man Angst hat, Wohnungslose oder Trinker anzuziehen. Oft werden Plätze sogar extra ungemütlich gestaltet, denken Sie an die Bänke mit einer Metalllehne in der Mitte, damit dort Obdachlose nicht schlafen können.

Nehmen wir mal an, ich wäre der Oberbürgermeister einer Millionenstadt, die vom Autoverkehr und Lärm geplagt ist. Was würden Sie mir raten, als erstes zu tun? Wo fange ich an?

Ich würde für ein eigenes Programm der Politik kämpfen. Paris will in den nächsten Jahren Tausende Stellplätze beseitigen, um Platz zu schaffen. Und ich würde raten, ruhig etwas radikaler vorzugehen. Einfach machen. In Paris ist ein Ufer der Seine komplett vom Autoverkehr befreit worden. Dadurch sehen und erleben die Menschen, was sie gewonnen haben. Es entstehen neue Bilder und Vorbilder, die Wirksamkeit ist eine ganz andere. Barcelona hat mit den „Superblocks“ den Verkehr neu geordnet und viel nutzbaren öffentlichen Raum in den Nachbarschaften geschaffen. Dadurch sehen die Bürger: Es verändert sich etwas, und ihre Stadt gewinnt an Qualität. Es fehlt nicht an Beispielen. Lyon hat ganz früh eine autofreie Innenstadt mit Parkquartieren eingerichtet, das geht schon.

In Kopenhagen hat man schon vor 60 Jahren angefangen, den Autoverkehr schrittweise zu reduzieren. Heute ist die Stadt leuchtendes Beispiel. Wollen wir zu viel zu schnell?

Es braucht Zeit und einen langen Atem, auf jeden Fall. Aber an einer Stelle muss man mit einem wirksamen Bild anfangen. Nur in Trippelschritten kommen Sie nicht vorwärts.

Das Gefühl ist eher: Es wird um jeden Meter Straßenraum gekämpft.

Es nützt nichts, nur den Autoverkehr zurückzudrängen. Die Stadtgesellschaft will auch sehen, warum das passiert, was sie davon haben. Auf den Ringen ist das sehr greifbar, an anderen Stellen aber nicht. In der Altstadt ist das Ergebnis bislang, dass dort nun weniger geparkt werden darf.

Welches Leuchtturmprojekt würden Sie sich wünschen? Einen umgestalteten Neumarkt?

Ja, warum nicht. Wenn man den mal weiterdenkt, man bündelt den Verkehr auf der Südseite, pflanzt dafür im Norden zusätzliche Bäume, schafft so ein verbindendes Grün, dann gewinnt die Stadt richtig. Die Bürger würden ihn vermutlich sehr gerne nutzen. Das kann auch für jüngere Menschen attraktiv sein, mit einem Basketballfeld oder Ähnlichem, man kann sich auch eine Art Viktualienmarkt nach Münchener Vorbild vorstellen. Was auch immer die Menschen an dem Ort sinnvoll finden und woran sie mitwirken möchten. Das Wichtige ist, es gibt dadurch einen Gewinn: öffentlicher Raum, den die Stadt bespielen kann.

Bei der Neunutzung muss die Stadt die Menschen mitnehmen. Wie macht sie das?

Ich halte den Ansatz, die „Menschen mitzunehmen“ für ungut. Weil das letztlich heißt: Ich gebe ein Konzept vor, und die Bürger dürfen ihre Meinung dazu sagen. Ich würde es umdrehen und zunächst den Menschen zuhören, ihren Ideen vertrauen und ermöglichen, dass sie die umsetzen. Es gibt viele Instrumente und gute Ansätze. Aber da geht noch was.