„Hart aber fair“ zu CoronaParty-Fettnäpfe und eine Provokation, die ins Leere läuft
Bei „Hart aber fair“ ging es am Montagabend um Corona. „Streit um Corona-Verbote – Wie viel Freiheit ist noch drin?“ diskutierte Frank Plasberg mit seinen Gästen. Aufhänger der gefühlt 100. Sendung zum Thema war die aus dem Ruder gelaufene Demonstration von Gegnern der Corona-Eindämmungsmaßnahmen am Samstag. Einmal abgesehen von der etwas seltsamen Themenformulierung – verbieten wir jetzt das Virus? – hätte allein dieses Wochenende sicher genug Stoff für eine interessante Diskussion hergegeben. Am Ende hatte der Zuschauer aber eher das Gefühl, „Ein Kessel Buntes“ gesehen zu haben.
Die Gäste
Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin, rechtfertigt das später gekippte Verbot seiner Behörden für die Demonstration am Samstag. Er stellt sich vor seinen Innensenator Andreas Geisel, der sich weit aus dem Fenster lehnte, als er zur Begründung sagte, Berlin solle nicht noch einmal als Bühne für Corona-Leugner missbraucht werden.
Jasper von Altenbockum, „faz“-Journalist, lehnt Demonstrationsverbote aufgrund von Annahmen, wie sich die Teilnehmer verhalten werden, ab. Später in der Sendung outet er sich als bar jeder Kenntnis von Jugendkultur.
Bernd Stelter, Kölner Kabarettist. Er sieht kritisch, dass die Demonstration stattfinden durfte. Die Freiheit des Einzelnen gehe nur so weit, wie er die Freiheit der anderen nicht einschränkt. So richtig in Fahrt kommt er verständlicherweise erst beim Thema Karneval.
Lamya Kaddor, Publizistin und Lehrerin, glaubt, dass sich die Extremisten durch das Demonstrationverbot erst recht herausgefordert fühlten. Strategisch war das aus ihrer Sicht nicht klug. Von den Bildern der Rechten vor dem Reichstag fühlt sie sich persönlich betroffen, da sie häufig von Rechten bedroht wurde.
Julia Fischer, Ärztin und Medizinjournalistin, übernimmt den wissenschaftlichen Part. Ihre Einlassungen bringen den mit Abstand größten Erkenntnisgewinn.
Das haben wir gelernt
Plasberg stellt die Frage, die sich sicher viele beim Anblick der „denk- und merkwürdigen Demo“ gestellt haben. Wer geht da jedes Wochenende auf die Straße? Wie kann es sein, dass jemand seine Ausbildung, seine Lebenserfahrung und den gesunden Menschenverstand über Bord wirft und den abstrusesten Verschwörungstheorien anheimfällt? Die Ärztin und Wissenschaftsjournalistin Julia Fischer versucht, das Unerklärliche zu erklären. Das Coronavirus und die Einschränkungen des Alltags seien eine Bedrohung, die zu einem Kontrollverlust führe.
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Dieser löse wiederum eine große Stressreaktion aus, beleuchtet Fischer den wissenschaftlichen Hintergrund. In einer solchen Situation gibt die Evolution vor, wie wir zu reagieren haben. Einfache Muster wurden immer genutzt, um das Überleben zu sichern. Auf die heutige Situation bezogen heißt das: Wenn man ein Feindbild hat und dazu noch Gleichgesinnte findet, erhält man scheinbar die Kontrolle zurück.
Exkurs in die Kölner Schaafenstraße und ungläubiges Staunen
Schon switcht Plasberg zum nächsten Thema: Einspieler mit Szenen von jungen Menschen auf der Schaafenstraße in Köln. Fühlen sich diese in ihrer Feier-Freiheit eingeschränkt? Es wirkt nicht so. „Je mehr Angst du hast, desto schneller wirst du auch krank", ist eine gute Rechtfertigung, ohne Abstand zu saufen. „Ich habe überhaupt keine Angst“, wird da verkündet. Lamya Kaddor bricht aber eine Lanze für die „Feierbiester“, wie Plasberg sie nennt. Es sei hart, sich monatelang an die Einschränkungen zu halten. Man hätte Jugendliche überhaupt viel stärker in den Diskurs um die Einschränkungen einbeziehen sollen. Es sei auch nicht nachzuvollziehen, dass sich monatelang alles um die Wirtschaft gedreht habe und die jüngere Generation komplett aus dem Fokus verloren worden sei.
An dieser Stelle sorgt Journalist Jasper von Altenbockum für ungläubiges Staunen in der Runde und vor den TV-Geräten. „Ist es wirklich so schlimm, mal ein Jahr lang auf seine Partykultur zu verzichten?", will er wissen. Jugendliche sollten sich mal überlegen, was sie stattdessen machen. Ja was denn, fragt sich der Zuschauer. Stricken auf dem Sofa? Einen Online-Origami-Kurs? Da fällt Stelter mit gesundem Kölner Realismus ein: „Das Jahr zwischen 16 und 17 ist lang!"
Plasbergs Party-Hopping
Frank Plasberg springt thematisch von einer Party zur nächsten: Karneval. Das ist endlich auch Bernd Stelters Beritt. Wie könne man denn Karneval per se absagen? Klar, eine vollbesetzte Lanxess-Arena gehe nicht. Aber er hätte sich gewünscht, dass man kreativ wird und sage, was denn möglich sei. Die Menschen dürsteten nach Kultur und Unterhaltung. Das „Hart aber fair“-Team hat allerdings gemeinerweise den Praxistest gemacht und Menschen in Köln-Porz Tickets für eine Veranstaltung mit Stelter angeboten – mit recht ernüchterndem Ausgang für den Karnevalisten. Den meisten ist eine Veranstaltung im geschlossenen Raum noch zu unsicher, sie lehnen dankend ab. Andere wollen einfach nicht zu Stelter.
Würde denn Julia Fischer zu Bernd Stelter gehen, wird die Ärztin vom Moderator gefragt. Wenn der Saal gut gelüftet sei und die Abstände eingehalten werden könnten, würde sie das durchaus machen, antwortet die Berlinerin diplomatisch lächelnd.
Plasbergs Provokation läuft ins Leere
Plasberg scheint im Akkord ein Thema nach dem anderen abhaken zu wollen, was dazu führt, dass eigentlich interessante Diskussionen wie die über Corona-Leugner oder die Rechtmäßigkeit von Demo-Verboten abgewürgt werden und für alles andere fast nur noch Allgemeinplätze übrig bleiben. Er schafft es sogar, das Thema Migranten unterzubringen – vermutlich um seiner eher lahmen Sendung etwas Leben einzuhauchen. Die „Reiserückkehrer“, die das Virus nach Deutschland bringen, sind in Plasbergs Augen offenbar weniger Ballermann-Rückkehrer als Menschen mit Migrationshintergrund auf Heimaturlaub. Ob man nicht „Angst haben müsse“, dass irgendeine Bevölkerungsgruppe bei steigenden Infektionszahlen als „Sündenbock“ diene? Lamya Kaddor wundert sich demonstrativ und lässt Plasberg mit seiner Provokation auflaufen. Ob er meine, dass es gute oder schlechte Urlauber gebe? In den Niederlanden würden schließlich auch andere Regeln als in Deutschland gelten.