„Hart aber fair“ zu CoronaDürfen Freunde eigentlich noch in die Wohnung kommen?
Erst vor einer Woche fragte Frank Plasberg in seiner Sendung „Hart aber fair“, was bei der Coronakrise noch komme. Nur sieben Tage später sendete die ARD erneut eine Sendung zu dem Coronavirus. Die Frage nun: „Es ist ernst – wie viel Freiheit lässt uns Corona noch?“ An „Tag eins der neuen Regeln“, wie Plasberg nach der Tagesschau anmoderiert. Die Ereignisse hatten sich in dieser einen Woche zwischen den beiden Sendeterminen unglaublich oft selbst überholt.
Zunächst zeigt die ARD eine halbstündige Reportage, die die Auswirkungen des Virus auf den Alltag, den es so aktuell in Deutschland ja gar nicht mehr gibt, hat. Im Anschluss diskutierte Plasberg mit seinen Gästen, wie viel Freiraum den deutschen Bürgern noch bleibt, noch bleiben sollte.
Auch wer in den vergangenen Monaten hinter dem Mond gelebt und nun zu allererst „hart aber fair“ einschaltet, sieht sofort, dass hier in Deutschland momentan irgendetwas nicht stimmt. Ein Publikum im Studio gibt es sowieso nicht, die Gäste sind zweigeteilt. Vier sitzen, mit ausreichend Abstand, im Studio, die anderen zwei sind auf Monitoren zugeschaltet.
Die Gäste des Abends
Den bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, treibt vor allem die Frage um, was die Krise mit den Menschen macht. Zeichen der Liebe, eine Umarmung, ein Handschlag, seien jetzt „zum Feind der Liebe geworden.“ Man müsse nun andere Formen des Kontakts suchen, sagt er und nennt digitale Medien. Er selbst hatte mit seinem einjährigen Enkelsohn bereits Kontakt per Skype.
Hendrik Streeck ist Professor für Virologie und Direktor des Instituts für Virologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn. „Der Beruf, den alle gerade erst kennenlernen. Vorher wusste ja gar keiner, dass es uns gibt.“ Er ist der Experte, der diese Rolle in der Sendung nicht ausfüllen kann. Dies ist allerdings kein Vorwurf an ihn. Denn keiner, auch die Virologen, kann vorhersehen, wie die Lage sich entwickelt. „Erst in zwei Wochen sehen wir, welche Effekte die jetzt getroffenen Maßnahmen habe.“
Frank Bräutigam ist Rechtsexperte der ARD. Seit 2006 arbeitet er in der Rechtsredaktion des Senders, zunächst als Redakteur. Zum 1. Dezember 2010 wurde er Leiter dieser Redaktion. Er betont, dass der Staat in einer solchen Situation durchaus weitreichende Befugnisse habe. Man müsse sich aber bewusst sein, dass dies einschneidende Befugnisse in Grundrechte seien.
Aus der Praxis berichten kann Stefanie Büll. Die Fachkrankenpflegerin ist seit Juni 2019 stellvertretende Stationsleiterin einer Intensivstation an der Uniklinik Düsseldorf. Sie betont: „Wir bereiten uns auf Schlimmeres vor.“
Sabine Bätzing-Lichtenthäler hatte Kontakt zu einer Person, die mit dem Virus infiziert ist. Deshalb sitzt die SPD-Politikerin in Mainz, der Hauptstadt von Rheinland-Pfalz. Dort ist sie Ministerin für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie. Bätzing-Lichtenthäler spricht von der Erhöhung der Kapazität an Intensiv- und Beatmungszimmer, von einer Erhöhung des Personals. Fachkrankenpflegerin Büll lässt diese Aussagen unkommentiert, ihr etwas erstaunter Gesichtsausdruck hält jedoch eine stille Gegenrede.
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Bereits vor der halbstündigen Reportage kommt Stephan Pusch zu Wort. Der CDU-Politiker ist Landrat des besonders von Coronavirus betroffenen Landkreises Heinsberg. Er sendet vorab „kleine Lichtblicke“, wie er selbst sagt. Bei einem Erkrankten hätte die Beatmung abgesetzt werden können, das Tempo der Neuinfizierungen gehe leicht zurück. Zum Thema Kontaktverbot sagt er, Verbote würden nicht reichen. „Wir müssen die Leute auch überzeugen.“
Und was macht der Chef der Runde?
Frank Plasberg macht zunächst einmal vorbildlich das, was zur Zeit der Coronakrise am wichtigsten ist: Er hält Abstand. Dazwischengehen müsste er aber ohnehin nicht, eine scharfe Diskussion kommt nicht wirklich in Gang. Das mag daran liegen, dass ein Drittel der Gäste nur zugeschaltet ist, vor allem aber daran, dass es viel Konsens gibt.
Ansonsten gibt Plasberg einen guten „Fahrdienstleiter“, wie er selbst an einer Stelle sagt. „Erst der Professor, dann der Landrat“, regelt er die Reihenfolge der Redeanteile. Das funktioniert dann auch beim zweiten Versuch. Schuld an der Verspätung ist aber der per Satellit zugeschaltete und in der Reaktion dadurch etwas verzögerte Landrat.
Konsens
Beim Titelthema der Sendung, dem ausgesprochenen Kontaktverbot, sind sich alle in der Runde einig. Plasberg unterstützt diese Einigkeit noch mit einer massiven Zahl, auch 95 Prozent der Deutschen hielten das Kontaktverbot richtig. Nur drei Prozent seien anderer Meinung.
Großen Konsens gibt es auch beim Thema Solidarität. Bischof Bedford-Srohm fordert sie dringlichst ein, Stephan Pusch berichtet von großem Zusammenhalt aus Heinsberg. Das Gemeinschaftsgefühl sei trotz oder gerade aufgrund des Kontaktverbots sehr wichtig. Dieses Gemeinschaftsgefühl wird unter anderem durch den gemeinsamen Dank an alle Helferinnen und Helfer geschaffen. Zum Beispiel durch Applaus am offenen Fenster. Auch Bedford-Strohm applaudiert auf dem Balkon, berichtet er. Aber die Frage sei: „Erinnern wir uns später an diesen Applaus?“
Die Frage zielt auf die Wertschätzung gegenüber denjenigen ab, die das Land nun am Laufen halten. So auch Stefanie Büll, die gleich neben dem Bischof sitzt. Die Fachkrankenpflegerin fordert im Nachgang einen „sehr kritischen Blick“ auf das Gesundheitssystem. Auf das Finanzielle, aber vor allem die Arbeitsbedingungen. Natürlich ist es aber nicht nur das Pflegepersonal, dem großer Dank gebührt, Büll erwähnt auch die Verkäuferinnen und Verkäufer. „Die Helden des Alltags“, sagt der Heinsberger Politiker Stephan Pusch. Die Diskussion über eine Gefahrenzulage für Pflegepersonal wird einstimmig auf das Ende der Krise verschoben.
Kontroverse
Dafür sorgen vor allem die Bundesländer. Und zwar mit unterschiedlichen Richtlinien. Gleich zu Beginn der Sendung kommt die Frage auf, ob man denn noch wenige Freunde zu Hause empfangen dürfe? Das sei aufgrund der verschiedenen Regelungen in den Ländern eben nicht so klar zu beantworten, sagt Rechtsexperte Bräutigam. Im konkreten Fall Rheinland-Pfalz geht das, weil die zuständige Ministerin als Gast zugeschaltet ist. In ihrem Bundesland sei es in Ordnung, „wenn der eine Freund nach Hause kommt“, erklärt Sabine Bätzing-Lichtenthäler. Dabei liegt die Betonung klar auf der Anzahl. Auch Stephan Pusch kritisiert die verschiedenen Maßnahmen, es brauche einfache Regeln.
Der Vorschlag eines Zuschauers, nur Risikogruppen vom Rest der Gesellschaft zu isolieren und das Leben so normal wie möglich weiterlaufen zu lassen, wird schnell abgeschmettert. Abgesehen davon, dass die Risikogruppe gar nicht klar definierbar ist und das Virus auch für junge, sportliche Menschen tödlich sein kann: „Eine humane Gesellschaft wird daran gemessen, wie sie mit den Schwächsten umgeht“, sagt Stephan Pusch. Damit ist zu diesem Thema alles gesagt.
Ministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler spricht die Erhöhung der Bettenkapazitäten und des Personals an. Beides wolle man voranbringen. Stephan Pusch bringt etwas anderes ins Spiel: Die Schutzkleidung für das Fachpersonal sei das, was ihm am meisten Sorgen mache. „Ich habe sogar einen Brief an die chinesische Regierung geschrieben.“ Auf der Suche nach den Gründen, wie so etwas wie Mundschütze knapp werden könne, gibt Bätzing-Lichtenthäler zu: Auf so eine große Dimension sei man wohl nicht vorbereitet gewesen. Auch Virologe Hendrik Streeck verortet das Verschlafen bei der Politik. „Wir haben immer wieder gesagt, dass es jederzeit zu einer Epidemie oder einer Pandemie kommen kann.“
Was am Ende übrig bleibt
Letztendlich gibt es kaum Ergebnisse, die den Weg in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten vorzeigen können. Man habe so etwas eben „nie gehabt. Wir lernen das jetzt“, sagt Bischof Bedford-Strohm. Fragen zu ausbleibenden Tests, nach der Kinderbetreuung oder alten Menschen, die nach einer Heilung eventuell immun sind und in der Betreuung eingesetzt werden können, werden nur angerissen, aber nicht beantwortet. Einer Antwort würde wohl auch der Boden an Fakten und vor allem an Erfahrungswerten fehlen. Dafür ist die Pandemie noch nicht lang genug in Deutschland. „Wir alle, die gerade ständig gefragt werden, wissen nicht, was gerade der richtige Weg ist. Das wird sich erst noch zeigen“, betont Virologe Streeck.
Klare und starke Antworten gibt es dafür bei den weichen Themen. Der Dank an alle Helferinnen und Helfer wird betont, mindestens genauso oft zu Solidarität aufgerufen und diese bekräftigt. Und: „Ohne es romantisieren zu wollen, glaube ich, dass die Menschen gerade zusammenrücken.“ Sagt Stephan Pusch, Landrat des Kreises Heinsberg. Positiv zu erwähnen ist auch noch die von Stefanie Büll beschriebene Hilfsbereitschaft von ehemaligen Pflegekräften oder Medizinstudenten, die sich von sich aus melden und entlasten. Zu guter Letzt bleibt die Hoffnung von Bischof Bedford-Strohm: Dass am Ende dieser Krise die Gesellschaft auf eine ganz neue Art und Weise enger zusammengerückt sein wird.