GefängnisDer Offene Vollzug wird barrierefrei
Euskirchen – EUSKIRCHEN - Sinkende Zahlen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Euskirchen bereiten Anstaltsleiter Ulrich Beckheuer Freude und Sorgen zugleich. Gestern, als die oberste Dienstherrin des Gefängnisdirektors, Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter, den „Erlenhof“ besuchte, nannte Beckheuer Zahlen. So ist die JVA zwar mit 471 Gefangenen überbelegt, denn sie hat offiziell nur 450 Haftplätze. Doch gegenüber der Überbelegung vom Mai vergangenen Jahres mit 535 Gefangenen ist die Lage „entspannt“.
Sinkende Zahlen gibt es auch im Personalbestand. Statt 107 Bediensteten im Vollzugsdienst hat die JVA jetzt nur noch 87. Der Personalstand sei geschrumpft, die Qualität des Personals aber gestiegen, so Beckheuer.
Und auch die Ministerin, die von einem kleinen Mitarbeiterstab aus dem Ministerium begleitet wurde, stellte angesichts der weitläufigen Anlage des Erlenhofs und der Haftbedingungen für die Gefangenen fest: „Die Euskirchener Anstalt ist gut aufgestellt.“ Da hier in Euskirchen der offene Vollzug praktiziert wird, haben sechs von zehn Gefangenen ein freies Beschäftigungsverhältnis. Einmalig in Deutschland sei die in Euskirchen praktizierte Form der Sozialtherapie für Häftlinge mit langen Haftstrafen und Sexualstraftäter. Deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft sei das Ziel des offenen Vollzugs.
Der Baubestand müsse immer wieder an die Erfordernisse des Strafvollzugs angepasst werden, sagte die Ministerin mit Blick nicht nur auf die Liegenschaft Erlenhof. Sie habe jetzt schon 30 Anstalten im Bundesland besucht. Der Umbaubedarf sei gerade in hundert Jahre alten Haftanstalten groß. Man habe zur Verbesserung der Haftbedingungen in 800 Hafträumen Toilettenzellen mit Geruchsfilter installiert. Im Euskirchener „Erlenhof“, so Ulrich Beckheuer, soll der alte Gutshof im Westbereich, der kaum genutzt werde, zu 30 Hafträumen für Senioren ausgebaut werden. Dann werde es barrierefreie Zellen im offenen Vollzug geben. Denn ältere Häftlinge müssten keine neuen Berufe mehr erlernen, würden nach Haftverbüßung ohnehin in Rente geschickt. Ob reine „Senioren-Abteilungen“ in Gefängnissen die richtige Lösung seien, bezweifelte die Ministerin allerdings. Denn in altersgemischten Anstalten wirkten die älteren Häftlinge oft beruhigend auf die jüngeren Gefangenen.
Im Speisesaal nahmen die Ministerin und ihr Tross sowie die JVA-Mitarbeiter das Mittagessen zu sich, bevor sie sich zum Rundgang durch die weitläufige Anlage der JVA aufmachten. „Die Anstalt wirkt mit der Kapelle und den verschiedenen Häusern geradezu idyllisch“, schwärmte die Ministerin, die aber gleich hinzufügte, dass die haft auch im offenen Vollzug eine starke Einschränkung für die Gefangenen und damit kein Zuckerschlecken sei. Allerdings gebe es mit dem Kirchencafé und dem Verein „Brücke“ auch starke Integrationsangebote für die Häftlinge.
Am Nachmittag standen ausführliche Gespräche mit dem Gefangenenbeirat und dem Personalrat der Justizvollzugsanstalt auf dem Programm für Roswitha Müller-Piepenkötter, ehe die Ministerin wieder Richtung Landeshauptstadt abreiste.